Spielmanipulation – Wetten, dass… Tennis ein Problem hat?

Auch vor Novak Djokovic machte die Wettmafia einst nicht Halt. ATP-Boss Chris Kermode sieht indes keine Beweise.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 18.01.2016, 17:20 Uhr

Es begann eigentlich mit einem Feuerwerk der Superstars, das Grand-Slam-Festival von Melbourne, die Australian Open 2016. Alle waren sie im Einsatz: Roger Federer , Maria Sharapova . Und auch die Nummer-eins-Spieler, die Titelverteidiger Serena Williams und Novak Djokovic . Doch in gewisser Weise waren sie bloß Nebendarsteller an diesem Montag, dem 18. Januar. An dem Tag, an dem die Tennis-Welt zwar (noch) nicht von einem Beben in ihren Grundfesten erschüttert, aber in jedem Fall aufs Neue mit ihrem sorglosen, allzu betulichen und gelegentlich naiven Umgang mit möglichen und realen Wettmanipulationen konfrontiert wurde. Viele der Vorwürfe, die aus Recherchen der BBC und des Internetportals BuzzFeed resultieren, sind nicht neu, aber konkreter, detaillierter. Und auch besorgniserregender.

Tatenlosigkeit der Tennisbosse, Spielerorganisationen und Verbände

15 Profis aus den jeweiligen Top 50 der Weltrangliste sollen nach den neuen Berichten in den vergangenen Jahren in Matches mit auffälligen Spielverläufen und auffällig hohen Wetteinsätzen verwickelt gewesen sein, darunter auch ein Wimbledon-Doppelsieger. Namen nennen die BBC und BuzzFeed nicht, aber sie nennen Hintermänner, die in die dunklen Machenschaften verwickelt sein sollen: Wett-Konglomerate aus Russland und Italien. Und es geht auch um die Tatenlosigkeit der Tennisbosse, der Spielerorganisationen, der großen Tennisverbände, die Hinweisen auf den Betrug nicht mit aller Konsequenz und Entschiedenheit nachgegangen seien. Auch diese Kritik ist nicht neu, aber das macht sie nicht weniger alarmierend - mehr als acht Jahre nach einem Match, das schon einmal für Aufsehen und Skandal-Schlagzeilen im Welttennis sorgte und auch jetzt noch einmal prominent im Zentrum der Anschuldigungen steht, nämlich die Partie zwischen dem einstigen ATP-Weltmeister Nikolay Davydenko und dem Argentinier Martin Vassallo Arguello 2007 im polnischen Sopot.

Rund sieben Millionen Dollar wurden damals mit diesem Match umgesetzt, das an der polnischen Ostseeküste unter dem Radar der internationalen Öffentlichkeit stattfand. Es war etwa das Zehnfache der Summe, die, wenn überhaupt, auf ein Match dieses Zuschnitts gewettet wird. Doch nicht die Summe war entscheidend, sondern die Tatsache, dass schließlich fast alle Einsätze gegen den haushohen Favoriten Davydenko liefen, selbst noch, als der den ersten Satz gewann. Als Davydenko schließlich im dritten Satz wegen einer Fußverletzung aufgab, wurden die Millioneneinsätze storniert. Es gab keine Wettgewinner, aber zwei Verlierer: den sofort verdächtigten Davydenko. Und überhaupt das Tennis, dessen Reputation und Glaubwürdigkeit. Geklärt wurde die Affäre nie restlos, aber eine Schuldvermutung blieb immer hängen.

Kermode: "Nur Vermutungen und Spekulationen"

Und was noch blieb, war der Blick auf einen Sport, der wie kaum ein zweiter für Mauscheleien und Tricksereien im milliardenschweren Wettgeschäft anfällig ist. Und der auch nicht wirklich aufwachte und genügend tat, um die Probleme zu bekämpfen. Die Tennis Integrity Unit, die in den Nachwehen der ersten bekanntgewordenen Wettaffäre gegründet wurde, ein Anti-Korruptions-Werkzeug vor allem, gilt vielen in der Branche als vergleichsweise zahnloser Tiger, personell nicht ausreichend ausgestattet, auch nicht mit der nötigen Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit arbeitend. Oft erfährt die Öffentlichkeit erst von Zwischenfällen auch bei Wettangelegenheiten, wenn Spieler längst verurteilt sind - wie sich das alles abgespielt hat, bleibt meist im Dunkeln und Ungefähren. 18 Verfahren hat die TIU seit 2008 abgeschlossen, für Branchen-Insider eher eine bescheidene Bilanz. Man habe 16 Millionen in das gesamte Programm investiert, sagte ATP-Chef Chris Kermode in Melbourne, "außerdem haben wir nie irgendwelche Verfahren unterdrückt." Die aktuellen Berichte befassten sich mit Vorfällen, so Kermode, die teils zehn Jahre zurücklägen und "nur Vermutungen und Spekulationen enthalten, aber keine Beweise."

Fakt aber ist, allen Beschwichtigungen und Relativierungen zum Trotz: Tennis hat ein Problem mit dem gigantischen Wettmarkt. Aus vielerlei Gründen. Da wäre der Umstand, dass die unerlaubten Eingriffe bei einer Einzelsportart viel leichter fallen als bei einem Teamsport. Da wäre das riesige Gehaltsgefälle im Profitennis, die märchenhaften Verdienste der Top-Leute gegen die fast prekären Verhältnisse in der zweiten oder dritten Liga - genau dort liegen ja auch meistens die Angriffspunkte der Betrüger. Bei einkommensschwachen Spielern, die bei Turnieren antreten, die selten richtig beachtet werden, auf Challenger- oder Future-Ebene. Wer dort mauschelt, sagte bereits vor drei Jahren ein ATP-Profi aus Westeuropa, "kann potenziell ruck zuck, an ein paar Tagen, mehr verdienen als mit seinem Tennis im ganzen Jahr." Das ginge sogar, ohne den Ausgang eines Spiels zu beeinflussen: Weil Wettanbieter nämlich so ziemlich alles im Angebot haben an Wetten, etwa Einsätze auf die Dauer eines Matches (beispielsweise drei Sätze) oder gar auf einzelne Spiele (Wer gewinnt das sechste Spiel im zweiten Satz?), können sich Profis rein theoretisch darauf einigen, dass jeder erst mal einen Satz gewinnt und dann im dritten, entscheidenden Satz die Partie eigentlich erst beginnt. Wie gesagt: ein Gedankenspiel, eine Möglichkeit.

Djokovic lehnte Manipulation 2007 "kategorisch" ab

Novak Djokovic, die Nummer eins der Branche, der Tennis-König, sagte am Montag in Melbourne, Wettbetrügereien seien ein "Verbrechen am Sport, ein krimineller Akt." Aber er berichtete auch, wie Vertraute aus seinem Umfeld im Jahr 2007 von Mittelsmännern der Wettpaten angesprochen wurden: Es ging darum, dass Djokovic absichtlich ein Spiel in St. Petersburg verlieren sollte. Sein Gewinn dabei: 200.000 Dollar. Natürlich sei das "kategorisch" abgelehnt worden, so Djokovic. Spieler der Challenger-Ebene, also Spieler, die am anderen Ende der Gehaltsskala im Tennis liegen, erklärten in der Vergangenheit immer mal wieder, wie sie vor Matches von Drahtziehern der Tricksereien angesprochen werden - wie man ihnen Tausende von Dollars anbietet, um bestimmte Wetten eintreten zu lassen. Jeder muss das nach den gültigen Regularien zwar sofort und ausnahmslos der Anti-Korruptionseinheit melden, aber, sagt ein Spieler jenseits der Top 200 der Weltrangliste, "die Verlockung und Versuchung ist wahnsinnig. Vor allem, wenn es sportlich nicht läuft bei jemandem." Er selbst habe für sich beschlossen, "das nie, nie, nie zu tun": "Denn wenn du auffliegst, ist dein Leben ruiniert."

Gehandelt und gedealt wird allerdings auch in allen möglichen Grenzbereichen, die Players Lounges oder die Umkleideräume sind dabei die Nachrichtenbörse - und der denkbare Ausgangspunkte für Zockereien, nicht notwendigerweise von Spielern selbst. Wer ist angeschlagen, wer ist aus welchen Gründen nicht in Form, wer geht vielleicht hier und da nur auf den Platz, um sich noch die Einsatzprämie für die jeweilige Turnierrunde abzuholen? Das sind kursierende Informationen, die Gold und Geld wert sein können. Und die kaum kontrollierbar sind. Abseits des Mailverkehrs und aller Telefonate - beides Überwachungsmöglichkeiten der Korruptionsjäger - können diese Informationen weitergereicht werden, um viele Ecken und Schleichwege herum. Und das alles in einer Tennisszene, die im boomenden Wettbusiness zum größten und bedeutendsten Markt hinter dem Fußball aufgestiegen ist.

von tennisnet.com

Montag
18.01.2016, 17:20 Uhr