Generation 30 – Die besten Jahre kommen zum Schluss

Die zehn besten Tennisspieler der Welt sind durchschnittlich fast 30 Jahre alt. Was sind die Gründe für den "Altersboom"?

von Björn Walter
zuletzt bearbeitet: 24.03.2016, 00:00 Uhr

LONDON, ENGLAND - JULY 08: Wimbledon Singles Champions Serena Williams and Roger Federer attend the Wimbledon Championships 2012 Winners Ball at the InterContinental Park Lane Hotel on July 8, 2012 in London, England. (Photo by Clive Brunskill/Gett...

Auf die Frage, warum er so viele ältere Spieler einsetzt, prägte der berühmte Fußballtrainer Otto Rehhagel einst den Leitsatz: "Es gibt keine alten und jungen Spieler, sondern nur gute und schlechte." Auch im Tennis gibt es kein Verfallsdatum für Leistung. Das gilt heute noch viel stärker als in der Vergangenheit. 1989 gewann Michael Chang die French Open im Alter von 17 Jahren. Boris Becker war bei seinem legendären Triumph in Wimbledon 1985 genauso alt. Der bislang letzte Teenager, der ein Grand-Slam-Turnier gewinnen konnte, war Rafael Nadal 2005 bei den French Open. Diese außergewöhnlichen Leistungen, scheinen heutzutage kaum noch möglich zu sein, betrachtet man die Altersentwicklung in der Weltspitze.

Aktuell beträgt das Durchschnittsalter unter den Top-10-Herren 29,7 Jahre. Die besten vier im Ranking sind sogar alle bereits Familienväter. Der Altersschnitt der ATP-Top-100 liegt bei 27,7 Jahren. 1990 waren es noch fast vier Jahre weniger. (24,08 Jahre). So gilt der Kroate Ivo Karlovic schon lange nicht mehr als Exot. Mit 37 Jahren ist er der Alterspräsident unter den Topspielern. Sein Pendant nimmt schon eher eine Sonderrolle ein. Der 18-jährige US-Amerikaner Taylor Fritz ist aktuell der jüngste Spieler unter den besten 100 im Ranking. Und damit nur einer von vier Profis in diesem Kreis, die noch keine 20 Jahre alt sind. Diese Entwicklung ist nicht neu, verstärkte sich aber in den letzten Jahren immer mehr. Debatten und Ursachenforschung gab es reichlich. So untersuchte das "tennis MAGAZIN" bereits im Oktober 2013 den Trend zum immer älter werdenden Top-Profi. Unter dem markigen Titel: "30 ist das neue 20", wurde das Phänomen eingehend beleuchtet. Die Kernaussagen sind auch auf die aktuelle Situation anwendbar und sollen hier noch mal Thema sein.

Federer trainiert nun viel professioneller als früher

Einer der Prototypen des goldenen Karriereherbstes ist Roger Federer. Der 17-fache Grand-Slam-Sieger sagte einst zu der Thematik: "Ich wärme mich besser auf, weil ich fühle, dass es das Richtige für mich ist. Als ich jung war, bin ich fünf Minuten herumgehüpft und dann auf den Platz gegangen. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist unser Sport so viel professioneller geworden. Jeder absolviert seine Extraschichten. Man will nicht der einzige Kerl sein, der nicht arbeitet."

Auch im Doppel geht die Entwicklung in eine ähnliche Richtung, wobei viele Spezialisten sogar noch älter sind als im Einzel. Der 43-jährige Kanadier Daniel Nestor (ATP 14) ist der Methusalem auf der Doppel-Tour. Die besten 100 Spieler sind im Schnitt 29,7 Jahre alt, die Top 10 sogar noch drei Jahre älter (32,7). Der immerhin schon 22 Jahre alte Franzose Lucas Pouille (ATP 83) ist momentan der jüngste Doppelspieler unter den Top 100. Christopher Kas - ehemalige Nummer 17 im Doppel-Ranking und heutiger Trainer von Sabine Lisicki - nannte zwei Faktoren für diesen Trend: "Zum einen ist das gesamte Leistungsniveau höher geworden. Das führt dazu, dass junge Spieler viel länger brauchen, um alle Stufen zu durchlaufen." Das bedeutet: Es müssen mehr Hürden genommen werden. Erst muss man sich durch Future-Turniere kämpfen, sich anschließend im Challenger-Circuit beweisen und erst dann folgt der Sprung in die Qualifikationen und Hauptfelder der ATP-Turniere.

Rauchende und trinkende Spieler sind ausgestorben

Der zweite Grund lautet: "Die älteren Profis halten ihre Leistung länger. Sie sind fitter und weniger anfällig für Verletzungen, weil sie mehr über Training, Prävention und Rehamaßnahmen wissen als die Spieler in früheren Jahren." Ex-Profi Karsten Braasch, wird gern als Beispiel genommen für den lockeren Tennisprofi von früher. Dieser rauchte vor dem Match gern noch eine Zigarette und trank abends an der Bar ein Bierchen - unvorstellbar in Zeiten von glutenfreier Ernährung und Regeneration im Eisbad. Professor Dr. Bernd Kabelka, Orthopäde und langjähriger Turnierarzt in Hamburg, spricht von einem neuen Körperbewusstsein unter den Profis im fortgeschrittenen Tennisalter. Das Rezept sei "Fitness, eine gesunde Lebensführung und die Bereitschaft, sich zu quälen." Vorbilder sind die Fitnessfanatiker früherer Generationen. So ebneten Ivan Lendl oder Andre Agassi - die überdurchschnittlich auf ihre Körper achteten - den Weg für die heutige "Ü-30-Riege".

Ein weiterer elementarer Faktor im Tennis ist die Erfahrung. Mats Merkel, der seit Jahren als Coach und Berater im Tenniszirkus unterwegs ist, beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Altersdurchschnitt und weiß: "Die steigenden Zahlen hängen damit zusammen, dass die Spieler ihren Körper im Laufe der Jahre immer besser kennenlernen. Deshalb kann das extrem belastende Training ab einem gewissen Alter nicht mehr absolviert werden, weil die Spieler festgestellt haben, dass sie eigentlich ganz anders trainieren sollten, um ihr Potenzial zu maximieren." Oft wird auch Kritik am modernen Ranglistensystem laut, welches es jungen Spielern erschwert, an die Spitze vorzustoßen. Claus Marten, Tennis-Marketing-Experte bei Adidas, glaubt an keine 16-jährige Nummer eins mehr, da es das System nicht zulässt: "80 Prozent der Punkte werden von den ersten zehn Spielern gewonnen. Die Straße nach oben wird immer enger und unten an der Kreuzung drängeln sich immer mehr Spieler, um nach oben zu kommen."

Frühentwickelte Damen und weniger Geld für Junioren

Im Damen-Einzel beträgt das Durchschnittsalter in den Top 100 aktuell 24,9 Jahre und damit etwa drei Jahre weniger als bei den Herren. Die durchschnittliche Top-10-Spielerin ist im Moment 26,7 Jahre alt. Auch hier stieg der Altersschnitt kontinuierlich an, doch es gibt Unterschiede zu den Männern: Im Wesentlichen liegt es daran, dass Mädchen im Allgemeinen eher reifen als Jungen und der Faktor Athletik auf der WTA-Tour längst noch nicht ausgereizt ist - trotzdem die Tendenz auch hier zur immer fitteren Spielerin geht.

Ein baldiges Ende, des "Altersbooms" im Tennis ist nicht zu erwarten. Junge, aufstrebende Talente wie Alexander Zverev, Taylor Fritz oder Hyeon Chung werden umso sehnsüchtiger als Erben des Establishments ersehnt. Doch auch finanziell ist es schwerer geworden für die "Next-Gen". Viele Sponsoren unterstützen heute lieber ältere Spieler, die ganz oben mitspielen, als junge Talente mit Riesensummen zu subventionieren. Claus Marten skizziert den steinigen Weg an die Geldtöpfe: "Ein 14-jähriger Nachwuchsspieler wird, wenn alles gut läuft, erst zehn Jahre später nennenswerte Preisgelder einspielen." Die finanzielle Unterstützung bleibt deshalb nur einem sehr kleinen Kreis von Talenten vergönnt. Im Jahr 2013 waren es bei Adidas etwa zehn Nachwuchsspieler weltweit.

von Björn Walter

Donnerstag
24.03.2016, 00:00 Uhr