Barbara Rittner - "Das Gesamtbild ist etwas beängstigend"

Barbara Rittner beobachtet in dieser Woche in ihrer Eigenschaft als Women´s Head of Tennis im Deutschen Tennisbund den Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart. Jörg Allmeroth hat mit der langjährigen Fed-Cup-Chefin gesprochen.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 25.04.2019, 11:35 Uhr

Barbara Rittner hat die deutschen Damen im Griff
© Getty Images
Barbara Rittner hat die deutschen Damen im Griff

tennisnet: Frau Rittner, welchen Wert hat der angelaufene Porsche Grand Prix für das deutsche Frauentennis?

Barbara Rittner: Es ist eine Schaubühne, auf der sich unsere Besten vor ihren eigenen Fans präsentieren können. Es ist aber auch ein Sehnsuchtsort für die Kids, für unsere Juniorinnen, weil sie hier aus nächster Nähe sehen, wofür sie in frühen Jahren schon so hart arbeiten. Man könnte sagen, es ist ein Theater für deutsche Tennisträume – natürlich mit den Stars aus aller Welt, mit allen Grand-Slam-Siegerinnen.

tennisnet: Zu denen ja auch Wimbledon-Siegerin Angelique Kerber gehört. Waren Sie eigentlich überrascht, dass Rainer Schüttler der neue Chefcoach an ihrer Seite wurde?

Rittner: Ja, schon im ersten Moment. Aber dann dachte ich auch: Da hätte man ja eigentlich drauf kommen können. Weil Angie und Rainer sich vom Typ her sehr ähneln, wesensverwandt sind im Charakter. Beide haben sich im Tennis alles durch harte, seriöse Arbeit verdient, beide zeichnet eine hohe Professionalität in ihrem Job aus, und beide sind eher zurückhaltende Menschen, die nicht unbedingt jeden Tag in der Öffentlichkeit stehen müssen.

tennisnet: Gleichwohl ist es ja nicht die Regel, dass ein ehemaliger Weltklassespieler auf der Frauentour als Trainer unterwegs ist.

Rittner: Ich bedauere das sehr. Genau so, wie ich bedauere, dass nicht mehr Frauencoaches im Herrencircuit unterwegs sind. Es gibt definitiv eine Trennlinie, die nicht da sein sollte. Ich hatte Rainer schon vor Jahren mal im Sinn, als Andrea Petkovic einen neuen Trainer suchte. Das klappte aber nicht. Nun bin ich froh, dass er diese Aufgabe übernommen hat. Es war zu erkennen, dass er den Fokus klar auf ein noch aggressiveres Spiel bei Angie legte. 

"Der Trend bei Angie zeigt nach oben"

tennisnet: Sportlich lief es für Kerber nicht immer rund in dieser Saison.

Rittner: Der Trend zeigt dennoch nach oben. Auch wenn sich Angie gewiss gewünscht hätte, zuletzt das Endspiel in Indian Wells gewonnen zu haben. Oder bei den Australian Open noch länger im Turnier geblieben zu sein. Ihr Fokus liegt auf den Grand Slams. Sie wird noch ihre Momente haben in dieser Saison, keine Sorge. Für mich hat sie traditionell auf großer Bühne immer die aussichtsreichsten Chancen in Wimbledon. Der Sieg letztes Jahr hat mich nicht verblüfft.

tennisnet: Kerber, Görges, Petkovic – noch immer ruhen ja die meisten deutschen Hoffnungen auf dieser goldenen, in die Jahre gekommenen Generation.

Rittner: Ich bewundere diese Spielerinnen wirklich, weil ich sehe, mit viel Lust, Energie und Power sie immer noch unterwegs sind nach all den Jahren. Ich hatte selbst mit Anfang 30 echte Motivationsprobleme, hatte keine Lust mehr an diesem Nomadenleben und hörte dann auch auf. Aber für Angie, Jule und Petko heißt es: Weiter, immer weiter. Sie versuchen stets an ihr Limit zu gehen, leben für ihr Tennis. Das ist ein starkes Statement. Da ziehe ich meinen Hut.

"Hier haben wir wirklich ein Problem"

tennisnet: Wobei Julia Görges in dieser Saison noch nicht an ihr sehr gutes Tennisjahr 2018 anknüpfen konnte.

Rittner: Die Ergebnisse haben noch nicht gestimmt. Aber es ist jetzt auch keine Krise, in der sie stecken würde. Ich weiß, dass sie eine unheimlich gute Vorbereitungszeit hatte – und dass sie davon auch noch profitieren wird in dieser Saison. 2018 war in jedem Fall ein wichtiges Jahr für Jule, weil sie sich gezeigt hat, wie konstant gut sie weiter spielen kann. Und dass sie sich auch bei den wichtigsten Turnieren durchzusetzen vermag, der Halbfinaleinzug in Wimbledon war ein klarer Beweis dafür. Ich bin sicher, dass wir bald wieder von ihr hören werden.

tennisnet: Man würde gern auch etwas über Erfolge von jüngeren deutschen Spielerinnen hören, von starken Auftritten der nächsten Generation.

Rittner: Ich auch, da können Sie sicher sein. Aber hier haben wir wirklich ein Problem. Hinter den deutschen Topspielerinnen klafft eine Lücke, und ist in letzter Zeit nicht etwa kleiner geworden, sondern größer. Da ist mir schon ein bisschen bange, wenn die Kerbers und Görges´ mal abtreten werden. 

tennisnet: Und warum gibt es diese Nachwuchsprobleme, trotz eines zuletzt immer besser gewordenen, besser strukturierten Fördersystems?

Rittner: Es gibt nicht die eine, verbindende Ursache. Es sind individuelle Versäumnisse bei manchen Spielerinnen, es gibt Verletzungspech, sogar Rücktritte wie den von Annika Beck. Aber das Gesamtbild ist etwas beängstigend. Ich sehe es knallhart: Zumindest für die Generation hinter den aktuellen Stars sieht es so aus, als wäre der Anschluss an das internationale Topniveau verloren gegangen. Von Spielerinnen wie Carina Witthöft oder Antonia Lottner hatte ich mir eindeutig mehr erwartet. Sie haben natürlich durchaus noch die Möglichkeit, ihrer Karriere einen entscheidenden Dreh zu geben, immer noch. Dann müssen sie aber in jeder Beziehung ein, zwei Gänge höher schalten.

tennisnet: Sie setzen aber die Hoffnungen eher auf die ganz jungen Spielerinnen, die jetzt noch im Teenager-Alter in der Entwicklung sind.

Rittner: Ich hoffe, dass Angie, Jule und Co. noch ein paar Jahre weiterspielen, damit diese Talente die nötige Zeit bekommen. In den Jahrgängen 2002, 2003 und 2004 sind einige wirklich viel versprechende Spielerinnen dabei. Da müssen wir jetzt als DTB auch wirklich Vollgas geben in der Förderung, damit sie in mittlerer Zukunft diese Lücke schließen werden – jedenfalls ansatzweise. Wir können nicht sofort Wunderdinge erwarten, aber es wäre eben schön, wenn sich da eine neue, starke Generation herausbilden würde. Und wenn wir wieder eine Perspektive haben. 

"Es ist immer wichtig, Identifikationsfiguren zu haben"

tennisnet: Was bedeutet es, wenn Sie von Vollgas-Förderung sprechen?

Rittner: Wir werden diese Spielerinnen noch enger an den DTB binden. Sie werden noch gezielter in ihrem Alltag unterstützt, auch von unseren Bundestrainern Dirk Dier und Jasmin Wöhr. Sie werden noch häufiger zu Lehrgängen zusammen gezogen, werden über die Kooperation mit einer speziellen Schule besser die Verknüpfung mit ihrer Tennisausbildung schaffen können.

tennisnet: Aber auch Sie selbst engagieren sich direkt in dieser Ausbildung.

Rittner: Das ist richtig. Meine frei gewordene Zeit nach dem Abschied als Fed-Cup-Chefin steckt nun in diesem Programm für unsere Toptalente. Ich gebe dann auch selbst Lehrgänge in den Leistungszentren in Stuttgart-Stammheim und im westfälischen Kamen. Es wird darum gehen, dass wir diese Mädels so schnell und zugleich so sorgfältig wie möglich an den Profibetriebheranführen.

tennisnet: Wie sehr profitiert man in der Arbeit mit diesen Nachwuchsspielerinnen von Erfolgen wie dem Wimbledontriumph Kerbers oder dem Sieg Zverevs bei der ATP-WM?

Rittner: Es ist immer wichtig, Identifikationsfiguren zu haben. Spieler aus dem eigenen Land, die Großes schaffen. Ich merke schon allgemein, dass wieder mehr über Tennis gesprochen wird, dass mehr Menschen hinschauen bei den Topevents. Und dass sich in den Vereinen wieder mehr bewegt. Diese Stimmungen und Strömungen müssen wir als DTB natürlich aufnehmen und nutzen.

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