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"Kerbers Zähigkeit ist einfach unglaublich"

Die Fed-Cup-Chefin spricht im Interview über den Erfolgslauf von Angelique Kerber und über die Entwicklung von den anderen deutschen Damen.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 04.06.2012, 11:38 Uhr

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Von Jörg Allmeroth aus Paris

Barbara Rittner (38) ist seit Januar 2005 die Chefin des deutschen Fed-Cup-Teams. Die Leverkusenerin spielte selbst 15 Jahre auf der Profitennis-Tour und gewann dabei zwei Titel. 1991 siegte sie in der Juniorinnen-Konkurrenz in Wimbledon. Rittner förderte und begleitete die Karrieren der deutschen Spielerinnen, die seit anderthalb Jahren für Furore im Welttennis sorgen:Andrea Petkovic,Sabine LisickiundAngelique Kerber.

Frau Rittner, erinnern Sie sich noch an den French-Open-Tag 2011, an dem Angelique Kerber ihr Erstrundenspiel verlor?

Barbara Rittner: Es war eine ganz, ganz traurige Veranstaltung. Draußen auf Platz 5, gegen die Rumänin Edina Gallovits. Es war der Tiefpunkt für Angie. Anschließend hat sie sich die große Sinnfrage gestellt: Soll ich überhaupt noch mit dem Tennis weitermachen, hat das alles eine Perspektive? Sie ist dann weggefahren in einer total unglücklichen Stimmung, mit Riesenzweifeln.

Und schied in Wimbledon auch noch einmal in der ersten Runde aus?

Rittner: Ja, wahrscheinlich musste es so richtig schlimm kommen, um danach besser zu werden. Sie hat sich dann ja gesagt: So kann es nicht weitergehen. Ich muss mein Tennisleben irgendwie neu sortieren – oder ich höre auf.

Wundern Sie sich, wie die Geschichte weitergegangen ist: US-Open-Halbfinale 2011, Sprung in die Top Ten, jetzt Viertelfinale bei den French Open?

Rittner: Natürlich. Denn wir alle im Tennis haben lange eine Angelique Kerber gekannt, die nie so richtig wusste, wie sie ihre Karriere denn nun anpacken sollte. Sie hat oft zwischen allen Stühlen gesessen. Hat hin- und hergeschwankt, war unsicher und unentschlossen. Das war ja auch im Fed Cup so, wo sie nicht wusste, ob sie für Polen oder für Deutschland spielen sollte. Und solch eine Unentschlossenheit überträgt sich halt auch auf den Platz.

Beschreiben Sie doch mal die Kerber des Jahres 2011 und die des Jahres 2012.

Rittner: Letztes Jahr war das eine sehr talentierte Spielerin, die aber sehr an sich selbst gezweifelt hat, ständig mit sich unzufrieden war. Sie konnte irgendwie nicht 100 Prozent geben, weil es kein funktionierendes Team um sie herum gab. Als sie dann in die Offenbacher Tennis-Academy ging, da sagte sie fast staunend zu mir: "Mensch, da habe ich jetzt richtig wochenlang nach einem klaren Plan gearbeitet." Und das ist der Knackpunkt überhaupt gewesen – neben der besseren Fitness: Angie brauchte und braucht nämlich die Gewissheit, alles für eine gute Leistung getan zu haben. Diese Sicherheit hat sie sich nun geschaffen, ein mentales Fundament. Vorher hat sie auf eine Petkovic, eine Görges geschaut und gesehen: Da ist eine Ordnung drin bei denen, die haben ein funktionierendes Team – und was ist bei mir? Jetzt hat sie selbst eine tolle Mannschaft zusammen.

Erleben wir da nun eine totale Kehrtwende bei Kerber?

Rittner: Gut, sie braucht schon hin und wieder eine Anleitung, etwas Führung. Aber was sie von der Kerber der letzten Jahre unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie die allermeisten Entscheidungen in ihrem Leben selbst trifft. Dass sie weiß, was sie will. Und dass sie bereit ist, diese Entscheidungen auch mit allen Konsequenzen zu tragen. Früher fragte ich sie: Was denkst du über dies und das? Und da kam dann: Mmmh, ich weiß nicht. Und heute? Da gibt es eine klare Meinung.

Zu den French Open und Kerbers Perspektiven. Im Achtelfinal-Spiel gegen die Kroatin Martic wirkte sie manchmal etwas müde und matt.

Rittner: Es ist eigentlich unglaublich, welche Zähigkeit sie im Moment auf dem Platz hat, welche Widerstandskraft. Denn sie ist schon deutlich gerädert von dem Programm, was sie in den letzten Monaten gespielt hat. Das kennt sie ja noch nicht, das ist sozusagen eine ganz neue Tennistour für sie. Eine Tour, bei der sie bei jedem Turnier vorne mit dabei ist. Hier in Paris hat sie schon mal gesagt: Ich will mich in die Spiele reinpushen, aber es ist wahnsinnig schwer. Und doch schafft sie es – so wie im Achtelfinale. Das ist beeindruckend.

Roger Federer hat dazu gerade in Paris festgestellt: "Bei einem Grand Slam zählen für mich nur Siege, sonst nichts."

Rittner: Die Angie kam ja auch nach dem Spiel gegen Martic zu mir und sagt: "Das war schlecht, oder?" Da hab' ich ihr gesagt: "Vergiss es, nur der Sieg zählt für dich. Nichts kann dir einen Sieg ersetzen, gerade so einen, wo du nicht gut gespielt hast." Und dann hab' ich sie noch aufgefordert, lieber ein schönes Grinsen aufzusetzen als Viertelfinalistin von Paris. Hat sie dann wohl auch gemacht.

Abseits von Kerbers Viertelfinaleinzug fiel die Bilanz durchaus gemischt aus, da war sogar mal die Rede vom Ende des deutschen Fräuleinwunders?

Rittner: Ach Gott, das kennt man ja: hochschreiben, runterschreiben. Ich sehe einfach, dass manche aus unserem Team noch die letzten Schritte in ihrer Entwicklung gehen müssen, auch eineJulia Görges,die hier eine Riesenchance ausgelassen hat.Mona Barthelhat nach Super-Monaten hier in Paris den ersten harten Rückschlag eingesteckt, das ist nicht tragisch, aber man muss auch mit dieser Enttäuschung umgehen können. Unddie kämpft immer noch um den Anschluss an die Spitze nach ihrer Verletzung.

Und wie steht es eigentlich um Andrea Petkovic, die erste Spielerin aus dieser Generation und Gruppe, die in die Weltspitze aufrückte?

Rittner: Sie ist in einer sehr positiven Stimmung, will baldmöglichst auch mit dem Belastungstraining beginnen. Der Heilungsprozess verläuft sehr gut, auch nach Aussage von Dr. Müller-Wohlfahrt. Ich bin sehr optimistisch, was ihren Start bei den Olympischen Spielen angeht. Ich sage mal: Sie ist dabei.(Foto: Porsche Grand Prix)

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