Titelverteidiger-Killer Robin Soderling
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
01.06.2010, 20:27 Uhr

Von Jörg Allmeroth, Paris.
Am Pfingstsonntag 2009 vertrieb Robin Soderling den Sandplatzmatador Rafael Nadal aus seinem Pariser Tennisparadies, es war die erste Niederlage Nadals überhaupt bei den French Open. Ein Jahr später ist der Mann aus dem hohen Norden aufs Neue das Schreckgespenst der Roland Garros-Festspiele, das Phänomen der Open. Und wieder hat Soderling - in einer kuriosen Wiederholung des Drehbuchs - keinen geringeren als den amtierenden Titelverteidiger erwischt, nämlich Nadals größten Rivalen Roger Federer: Als Soderling in einer regengeplagten, mehrfach unterbrochenen Viertelfinal-Partie schließlich um 19:42 Uhr seinen Matchball zum 3:6, 6:3, 7:5, 6:4-Sieg gegen den Maestro verwandelte, stand nicht nur wieder die Tenniswelt auf dem Centre Court auf dem Kopf, sondern gleichzeitig war auch eine historische Serie von Federer gerissen.
Erstmals seit dem Jahr 2004 war der 28-jährige Branchenführer nun wieder vor einem Grand Slam-Halbfinale ausgeschieden, damals hatte ihn in Paris der dreifache Champion Gustavo Kuerten in der dritten Runde ausgeschaltet. Und Soderling war im genau 13. Spiel gegen Federer der erste Coup gelungen, nach einem vernichtenden Dutzend Fehlschlägen zuvor: „Ich habe großartig gespielt. Am Ende war ich wie im Rausch, da ist mir einfach alles gelungen“, sagte der Schwede. Beobachter John McEnroe brachte Federers Aus so auf den Punkt: „Er war zu passiv, oft nur der reagierende Spieler. Und endlich hat sich einmal einer richtig was gegen Federer getraut.“ Soderling spielt am Freitag im Halbfinale gegen den Tschechen Tomas Berdych, der Mikhail Youzhny mit 6:3, 6:1 und 6:2 schlug.
Federer muss nach dieser Niederlage aus nicht gerade heiterem Himmel sogar befürchten, seinen Spitzenplatz in der Weltrangliste zu verlieren: Sollte Nadal, der French-Open-Champion der Jahre 2003 und 2005 bis 2007, am Sonntag ein fünftes Mal den Coupe des Mousquetaires in die Höhe stemmen (er spielt am Mittwoch im Viertelfinale gegen Landsmann Nicolas Almagro), wäre er wieder der Mann auf dem Thron - und das nach Eröffnungsmonaten dieser Saison, in denen Federer tausende Punkte vor dem mallorquinischen Herausforderer lag.
Doch in der Sandplatzserie war Federer schon zuvor nicht richtig in Schwung gekommen und hatte in den letzten neun Jahren zum zweiten Mal die Reise nach Paris angetreten, ohne einen Titel in dieser Spezialdisziplin gewonnen zu haben. Zuletzt hatte er beim Masters in Madrid im Finale gegen Nadal verloren. Auch die Verbesserung einer weiteren Bestmarke muss Federer womöglich länger verschieben: Mit dem Viertelfinalsieg wäre schon besiegelt gewesen, dass Federer den ewigen Rekord von Pete Sampras an der Spitze der Tennischarts einstellt, genau 286 Wochen. Auch hier kommt es nun darauf an, ob Nadal sich aufs Neue zum Champion aufschwingt.
Für Soderling, den mächtigen Tempomacher mit reihenweise Schlägen im Formel1-Tempo, war der denkwürdige Triumph süße Revanche fürs letzte French-Open-Jahr: Da hatte ihn Federer im Endspiel kühl abserviert, chancenlos gelassen und sich selbst den ersten Pariser Titel zur Vervollständigung des Karriere-Grand Slam gesichert - also wenigstens einen Sieg bei allen vier Majorwettbewerben. Doch dieses Mal war mit Soderling nicht mehr zu spaßen und locker, lässig, leicht zu spielen - der Schwede, seit seinem Pariser Topauftritt 2009 in die Spitzengruppe des Welttennis aufgerückt, demonstrierte sein neues Selbstbewusstsein und seine gewachsene Statur eindrucksvoll. Selbst den schnell verlorenen Auftaktsatz steckte Soderling kühl weg und schlug danach noch härter, präziser und konsequenter auf den Ball. Wie ein Revolverschütze feuerte der Hüne aus der Hüfte die Siegpunkte ab, oft konnte Federer nur staunend dastehen und sich wundern, wie ihm geschah.
Mit einem Feuerwerk von direkten Volltreffern selbst in kritischsten Situationen zermürbte Soderling den Nummer 1-Spieler, der sich in seinem Champions-Jahr noch und nöcher aus heiklen Lagen retten konnte - 2009 machte er sowohl einen 0:2-Rückstand gegen Tommy Haas im Achtelfinale wie auch ein 1:2-Satzdefizit im Halbfinale gegen Juan Martin del Potro wett. Aber Soderling war an diesem 1. Juni aus anderem Holz geschnitzt, der Schwede ließ sich durch nichts und niemanden, selbst nicht den Besten aller Zeiten auf der anderen Seite des Netzes, in seinem Tatendrang beirren. Wie nach Belieben dominierte der 25-jährige die Mehrzahl der Ballwechsel ab dem zweiten Satz - nach Punktgewinnen mit seiner peitschenartigen Vorhand ging jedes Mal ein Raunen durchs Publikum.
Auch im letzten Satz, der zweimal durch Regenschauer unterbrochen wurde, behielt Soderling einen kühlen Kopf: Zwar vergab er beim Gleichstand von 2:2 schon die ersten Breakbälle zur Führung, doch beim 4:4 nutzte er die zweite Breakchance zum 5:4-Vorsprung. Anschließend servierte er die Sensation sicher nach Hause. Der König war gestürzt.