Kerber-Coach Dieter Kindlmann - „Man muss sein Ego ziemlich nach unten schrauben“

Dieter Kindlmann firmiert seit Ende 2019 als Coach von Angelique Kerber. Im Interview mit tennisnet spricht die ehemalige Nummer 130 der ATP-Tour über seine Anfänge als Coach, einen ganz besonderen Schützling und die Anforderungen an den idealen Hitting Partner.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 04.04.2020, 11:08 Uhr

Dieter Kindlmann mit Maria Sharapova 2014 in Roland Garros
© Getty Images
Dieter Kindlmann mit Maria Sharapova 2014 in Roland Garros

tennisnet: Herr Kindlmann. Vor knapp einem Jahr sind wir beim WTA-Turnier in Rom gesessen, haben uns dort das Match zwischen Amanda Anisimova und Kristina Mladenovic gemeinsam angesehen. Anisimova hat damals einen fast hilflosen Eindruck gemacht - und wenige Woche später in Roland Garros beinahe das Finale erreicht. Ist so etwas für einen Coach auf der WTA-Tour nachvollziehbar?

Dieter Kindlmann: Das ist eine Riesenchance. Wenn die Tagesform stimmt, man wirklich an sich glaubt und die Spielerin ein gewisses Niveau hat, dann ist heutzutage sehr viel möglich. Das hat man ja auch zuletzt bei den Australian Open gesehen. Sofia Kenin hat eigentlich auch keiner auf dem Schirm gehabt, das hat sich erst im Laufe des Turniers herauskristallisiert, dass die einen Durchmarsch startet. Diese Dominanz wie früher gibt es nicht mehr. Heutzutage musst Du von der ersten Runde an da sein.

tennisnet: Sie waren ja selbst Profi auf der ATP-Tour. Wie hat es sich ergeben, dass Sie nun einer der renommiertesten Coaches bei den Frauen geworden sind.

Kindlmann: Es war für mich immer klar, dass ich nach meiner Karriere beim Bayerischen Tennisverband anfange. So hat es sich auch ergeben, nachdem ich mit 30 aufhören musste, weil ich zu viele Schulteroperationen hatte. Ich habe einen super Übergang als Tour-Trainer beim Bayerischen Tennisverband bekommen. Ich war dort sehr glücklich. Ich wollte nicht mehr so viel reisen, jungen Spielern etwas zeigen. Nach drei Monaten beim Verband hat aber das Schicksal in Form eines Anrufs von Thomas Högstedt zugeschlagen. Den kannte ich aus seiner Zeit in Oberhaching. Thomas hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, für zwei Monate als Hitting Partner bei Maria Sharapova einzuspringen.

"Der Job des Hitting Partners wird unterschätzt"

tennisnet: Ein Angebot, das man im Grunde nicht ablehnen kann …

Kindlmann: Nach Absprache mit dem dem Verband und der Vereinbarung, dass ich danach auch wieder zurückkommen kann, habe ich zugesagt. Das war für mich eine neue Erfahrung, ich hatte damals überhaupt keine Ahnung vom Frauentennis. Und dann wurden aus zwei Monaten drei Jahre, in denen ich Sparringspartner von Maria Sharapova war. Und mein ganzer Plan, den ich für die Zeit nach meiner Karriere hatte, hat sich geändert. Und ich hatte auch das Glück, dass der Übergang von Hitting Partner auf Coach von Anastasia Pavlyuchenkova so reibungslos funktioniert hat.

tennisnet: Was wird eigentlich grundsätzlich von einem Hitting Partner erwartet?

Kindlmann: Dieser Job ist sehr, sehr schwierig und wird auch unterschätzt, teilweise sogar belächelt. Wenn man ihn richtig ausübt, dann ist die Aufgabe aber schwierig. Man sollte ein gewisses Niveau haben, ein sehr guter Spieler gewesen sein. Und man muss sein Ego ziemlich nach unten schrauben und sich anpassen. Man muss die Spielerin fordern, aber nicht überfordern. Man muss in der Lage sein, die Bälle mit verschiedenen Drallarten, verschiedenen Geschwindigkeiten zuspielen. Und man muss körperlich auch noch in einem sehr guten Zustand sein.

tennisnet: Eine Ihrer Spielerinnen war Madison Keys. Die hat unglaublich großes Potenzial, scheint aber von jüngeren Spielerinnen wie Naomi Osaka oder Bianca Andreescu überholt worden zu sein. Klappt es für Maddie noch mit dem ganz großen Titel?

Kindlmann: Madison Keys ist eine Spielerin, die extrem hohe Qualitäten hat. Wir waren bei den US Open 2017 ja im Finale. Sie hat in ihrem Spiel eine Power, die nur sehr, sehr schwer zu stoppen ist. Aber leider ist es teilweise sehr wild. Und wenn Plan A nicht funktioniert, wird es sehr schwierig. Keys steht seit Jahren in den Top 20, was eine absolut Top-Spielerin ist. Aber die junge Generation kommt nach, gerade auch bei den US-Amerikanerinnen. Und bei den großen Turnieren muss auch immer ein bisschen Glück dazukommen. Manche Türen müssen aufgehen.

"Bei Serena Williams habe ich mich schon öfters geirrt"

tennisnet: Bis zum Finale gegen Sloane Stephens hat das ja gut geklappt damals …

Kindlmann: Diese US Open waren schon etwas Besonderes. Im Halbfinale standen mit Keys, Stephens, dazu noch Venus Williams und Coco Vandweghe vier Amerikanerinnen. Keys und Stephens sind sehr gut befreundet, keine hatte bis dahin ein Grand-Slam-Turnier gewonnen. Und wir können uns alle auch nicht vorstellen, was es bedeutet, im eigenen Land die Chance zu bekommen, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen. Die US Open sind für die Amerikaner das größte Event der Welt. Dieses Finale war emotional sehr schwierig.

tennisnet: An den Emotionen gescheitert scheint auch Serena Williams in den letzten großen Endspielen zu sein. Sehen Sie noch den 24. Grand-Slam-Titel am Horizont?

Kindlmann: Ich hätte nie gedacht, dass Serena in so einem hohen Alter noch so toll Tennis spielen kann. Aber sollten wir jetzt wirklich nochmal ein Jahr Pause haben, dann ist sie schon 39. Und die langen Unterbrechungen tun ihr nicht gut, weil man nicht weiß, wie viel sie in der Zwischenzeit trainiert. In den verlorenen Major-Endspielen hat man gemerkt, dass sie unbedingt gewinnen wollte und deshalb verkrampft aufgetreten ist. Was überaus menschlich ist. Ich habe mich schon öfters geirrt, was die Comeback-Qualitäten von Serena Williams anbelangt. Ich bin sehr gespannt, wohin ihre Reise geht. Für das Tennis ist es jedenfalls immer noch gut, dass sie noch da ist.

tennisnet: Sie sind längst als einer der Top-Coaches auf der WTA-Tour etabliert, im Moment in Diensten von Angelique Kerber. Könnten Sie sich in ferner Zukunft auch vorstellen, bei den Männern zu coachen?

Kindlmann: Natürlich ist das irgendwann vielleicht einmal denkbar. Ich liebe den Sport Tennis. Ich liebe den Frauensport sehr, habe dort  meine Erfahrungen gemacht. Andererseits war ich 30 Jahre lang bei den Männern aktiv. Wichtig ist für mich immer: Ich möchte die Spieler, die mir ihr Vertrauen geben, besser und erfolgreicher machen.

von Jens Huiber

Montag
06.04.2020, 13:30 Uhr
zuletzt bearbeitet: 04.04.2020, 11:08 Uhr