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US-Open-Doppelsiegerin Laura Siegemund gibt sich noch ein paar Jahre

Als "neue Steffi" gehandelt, dann ohne den großen Durchbruch, und als der dann kam, folgte eine schwere Verletzung. Die Karriere von US-Open-Doppelsiegerin Laura Siegemund ist verblüffend - und die Pokaljagd noch nicht zu Ende.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 14.09.2020, 11:09 Uhr

Vera Zvonareva, Laura Siegemund
© Getty Images
Vera Zvonareva, Laura Siegemund

Als Laura Siegemund mit zwölf Jahren die weltbeste Spielerin ihrer Altersklasse war, da passierte in Deutschland etwas sehr Vertrautes. Siegemund, damals auch stolze Gewinnerin des prestigeträchtigen Orange Bowl-Turniers, der Nachwuchs-WM in Florida, wurde vor allem am Zeitungsboulevard zur „neuen Steffi“ erklärt – zur scheinbar folgerichtigen Erbin der Tennis-Superheldin. „Es war schon eine verrückte Zeit. Ich wurde vollkommen überrollt damals“, erinnert sich Siegemund. Zuhause, in ihrer schwäbischen Heimat, schwirrten Agenten, Vermarkter und Sponsorenvertreter umher, alle in der Hoffnung, den nächsten Superstar für sich verpflichten zu können.

Siegemund blickt inzwischen etwas belustigt auf diese turbulenten Anfänge ihrer wechselvollen Karriere zurück, sie hat ja lernen müssen, dass oft nichts so kommt, wie man es sich vorstellt oder erhofft. „Du kannst nicht wissen, was aus Dir wird. Schon gar nicht im Tennis“, sagt die 31-jährige, die am verlängerten letzten US Open-Wochenende als Sensationsgewinnerin im Frauendoppel, an der Seite der Russin Vera Zvonareva, ins Scheinwerferlicht rückte.

"Laura Überall" im US-Open-Finale

Am wenigsten durfte Siegemund in ihrer Laufbahn mit vielen Höhen und Tiefen von diesem außergewöhnlichen New Yorker Coup träumen, von einem Sieg beim allerersten gemeinsamen Auftritt mit ihrer erfahrenen Partnerin, von einem fulminanten Durchmarsch bis zum 6:4, 6:4-Endspielsieg gegen Nicole Melichar (USA) und Yifan Xu (China), von einem Preisgeldscheck in Höhe von 400.00 Dollar. Ausgerechnet der Geister-Grand-Slam in New York, dieses zuschauerfreie Turnier der Stille, brachte Siegemund in ihren späten Tennisjahren den spektakulärsten und wertvollsten Triumph überhaupt, den ersten Doppelerfolg mit deutscher Beteiligung seit 1985 (Claudia Kohde-Kilsch mit Helena Sukova/TCH).

Dass es eine emotionale Grenzerfahrung nicht nur wegen der fremdartigen Grand Slam-Welt war, enthüllte Siegemund angefasst nach dem sportlichen Happy-End: „Vor drei Wochen ist meine Tante Helga gestorben, die Zwillingsschwester meiner Mutter“, erklärte die deutsche Nationalspielerin mit stockender Stimme, „du funktionierst irgendwie, du machst deinen Job. Aber natürlich war da immer was in meinem Kopf.“ Gerade beim Finalauftritt konnte Siegemund die private Trauer offensichtlich ausblenden, sie war die überragende, prägende Figur dieses Titelmatchs der Offenen Amerikanischen Meisterschaften 2020. „Laura Überall“ nannte TV-Experte Boris Becker die zupackende Metzingerin.

Siegemund: "Bis 2014 keine richtige Profispielerin"

Seit der frühen Euphoriewelle in Kindertagen hat Siegemund so ziemlich alles erlebt, was in einer komplizierten Tennis-Karriere möglich ist. Lange Zeit gab es mehr schwierige als schöne Momente, es gab viele Sorgen, viele Zweifel. Und mehr als einmal die Frage, ob sie überhaupt in dieser unwägbaren Wanderzirkus-Branche weitermachen solle. Zwischendrin hörte sie auch einmal auf, machte 2012 als Jahrgangsbeste ihren Trainer-A-Schein, begann ein Psychologie-Fernstudium. „Bis Mitte 2014 war ich gar keine richtige Profispielerin“, sagt Siegemund, „aber im Kopf war immer der Gedanke: Das kann es doch noch nicht gewesen sein.“

Siegemund startete vor rund sechs Jahren noch einmal durch, kämpfte sich beharrlich in der Weltrangliste empor. Sie feierte ihr Grand-Slam-Debüt erst 2015 in Wimbledon, ein Jahr später aber grüßte sie schon als Mixed-US Open-Siegerin aus New York. 2017 folgte ein bitterer Rückschlag: Gerade erst hatte Siegemund ihr Heimturnier, den Porsche Grand Prix in Stuttgart, gewonnen, da erlitt sie beim Turnier in Nürnberg einen Kreuzbandriss. Fast zwei Jahre dauerte die Zwangspause nach dem Malheur, aber Siegemund kämpfte sich ein weiteres Mal entschlossen in die internationale Spitze zurück – eine Frau, die dafür steht, niemals, absolut niemals aufzugeben, selbst nicht nach all dem Unglück und den Widrigkeiten zuvor. „Sie ist schon der Wahnsinn“, sagt DTB-Frauenchefin Barbara Rittner über die resolute Berufsspielerin, die auch dafür bekannt ist, wie ein Wasserfall zu reden. Auf den Mund gefallen sei „die Laura nun wirklich nicht“, meint Beobachter Becker schmunzelnd.

„Versagen unter Druck“ lautete einst der Titel der Bachelor-Arbeit, für die Psychologiestudentin Siegemund mit der Note 1,4 ausgezeichnet wurde. Im Endspiel von New York schüttelte sie mögliche Ängste vorm Scheitern schnell ab, der Erfolg sei nun „absolut irre, die Krönung“, so Siegemund, „ich glaube, dass ich mir das jetzt echt verdient habe. Nach allem, was so passiert ist.“ Ein „paar gute Jahre, vor allem im Doppel“, gibt sich die 31-jährige noch. Aber der unmittelbare Fokus liegt nun auf den French Open, dem Pariser Grand-Slam-Turnier, das schon in zwei Wochen beginnt. Auch dort will sie mit Partnerin Vera Zvonareva antreten und für allerhand Unruhe im Grand-Slam-Titelrennen sorgen. „Das Jahr ist noch längst nicht zu Ende“, sagt Siegemund. Die Pokaljagd auch nicht.

von Jörg Allmeroth

Montag
14.09.2020, 16:08 Uhr
zuletzt bearbeitet: 14.09.2020, 11:09 Uhr