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Von gut zu großartig: Drei Eigenschaften großer Champions

Die Technik und die physischen Voraussetzungen sind das eine - was aber macht die Champions auf der mentalen Seite aus? Der Tennis-Insider Marco Kühn hat einen Blick drauf geworfen.

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 05.09.2021, 15:22 Uhr

Einer der größten Champions aller Zeiten - Rafael Nadal
© Getty Images
Einer der größten Champions aller Zeiten - Rafael Nadal

Sie liegt ein wenig außerhalb der verschlafenen Stadt Manacor. Nachdem man einen staubigen Kreisverkehr passiert hat, kann man noch nicht viel von ihr sehen. Doch dann, einige Meter weiter, ragt sie plötzlich empor.

Die Rafael Nadal Academy ist beeindruckend. Nicht nur von außen, auch von innen. Klar, die Trainingsanlage und das Museum mit Virtual-Reality-Unterhaltung sind modern. Was aber schnell auffällt: Hier wird nicht nur Tennis, sondern auch der Charakter geschult. Bummelt man durch den Shop der Academy, so findet man dort ein praktisches Notizbuch. Und auf diesem steht: "Lessons in Life. Performance in Tennis".

Grund genug sich einmal die charakterlichen Eigenschaften der großen Champions während eines epischen Matches anzuschauen.

Hast du Lust auf ein bisschen Kopftraining? Dann komm mit.

Warum ist der Charakter überhaupt wichtig beim Tennis?

Du denkst dir jetzt vielleicht: "Halt! Beim Tennis brauche ich eine gute Technik, viele Vorhand-Winner und ein Brett von Aufschlag. Charakter ist nebensächlich, cool bin ich eh!".

Und du hast recht. Aber jetzt stell dir vor, du kannst dein Aufschlag-Brett und die für deine Gegner schwindelerregenden Vorhand-Winner auch noch bei 4:2 und 30:30 abfeuern. Oder nachdem du ärgerlich einen verdammt engen ersten Satz 5:7 verloren hast, in dem du der klar bessere Spieler warst.

Deine Vorhand und dein starker Aufschlag sind der Porsche, der vor deiner Tür steht. Dein Charakter lenkt diesen Porsche.

Schau dir den verrückten Andy Murray an.

Sein Talent und sein Spielwitz heben ihn von vielen anderen Spielern ab. Sein Charakter, dieses bissige niemals Aufgeben, führte ihn zu seinen größten Erfolgen. Es ist eben auch dieser Charakter, der ihm sein Comeback und ein absolut fantastisches Match gegen Stefanos Tsitsipas, beschert hat.

Die Schläge entwickeln einen Spieler, der Charakter formt daraus einen Champion.

Eigenschaft #1: Sich selbst ein Freund sein

Ja, ich weiß. Es ist verdammt nicht leicht sich seine zahllosen dämlichen Fehler während eines Matches zu vergeben. Die unnötig versiebte Vorhand aus dem Halbfeld bei 3:3 und 30:30. Oder der Überkopfball bei 4:5 und 15:30.

Und weil exakt das so schwierig ist, hebt diese charakterliche Eigenschaft die erfolgreichen von den nicht ganz so erfolgreichen Spielern ab. Während in Benoit Paire ein 60 Minuten anhaltender Krieg seiner knapp 22 Persönlichkeiten tobt, schreit Novak Djokovic einmal kurz Richtung Box und macht danach für 120 Minuten keinen einzigen Fehler mehr.

Wir werden gleich noch über Frustrationstoleranz sprechen, sollten aber jetzt notieren: Lerne dir ein Freund und Coach auf dem Platz zu sein. Du bist die einzige Person während eines Matches, die dich motivieren, aufbauen und unterstützen kann.

Eigenschaft #2: Emotionale Kontrolle

Ich war in Mathe eine Null. Geometrie konnte ich kaum aussprechen und Bruchrechnen war für mich eine Kampfsportkunst. Vor jeder Matheklausur hatte ich größere Angst als vor einem ausgehungerten Gorilla. Magenkrämpfe, rasender Puls, schweißnasse Handflächen und Horrorszenarien im Kopf waren ganz normal. Was wird Dad nur sagen, wenn ich mal wieder eine Fünf mit nach Hause bringe?

Auf dem Court erleben wir ähnliche, sagen wir mal: Symptome. Dazu erleben wir Panik, Angst, Wut, Frust, starke Nervosität, Hoffnung, Hoffnungslosigkeit - eine ganze Palette an Emotionen.

Jedes Match schickt uns in einen Tornado der Gefühle. Und unser geliebter Tennissport ist auch so komplex, weil das Meistern dieser ganzen Emotionen fast eine Sportart für sich ist. Große Champions sind absolute Großmeister darin diese Emotionen kontrollieren zu können.

Hier ist für uns wichtig zu verstehen, dass es nie darum geht diese Emotionen bekämpfen zu wollen. Wer Angst bekämpfen möchte, der befindet sich in einem aussichtslosen Kampf. Die Kunst besteht darin diese Emotionen zuzulassen und mit diesen Emotionen, Hand in Hand, sein bestes Tennis zu spielen.

Emotionale Kontrolle ist kein Kampf, sondern eine Partnerschaft.

Eigenschaft #3: Hohe Frustrationstoleranz

"Ein Match gewinnt man zwischen Ohren". Schön, aber was bedeutet das? Stell dir vor du spielst als klarer Favorit dein Meisterschaftsspiel vor 42 Zuschauern. Dein Kontrahent war bei deiner Internetanalyse einige Spielstärken unter dir. Auf dem Papier (beziehungsweise Smartphone-Bildschirm) eine glasklare Geschichte.

Doch dann löffelt dieser Kontrahent jeden Ball hoch auf deine Rückhand. Zunächst umläufst du diese Mondbälle, triffst jede Vorhand und führst rasch 3:0. Keine 30 Minuten später stehst du fluchend, wild Richtung Teamkollegen gestikulierend und schulterzuckend an der Grundlinie, weißt nicht mehr wie du den Schläger halten sollst und die Ergebnistafel sagt: 3:6 aus deiner Sicht.

Wie reagierst du? Das, was dann folgt zeigt, wie hoch deine Frustrationstoleranz ist - oder eben auch nicht.

Ein Tennismatch besteht aus Dynamiken. Mal spielst du für 15 Minuten stark und dein Gegner schwach. Dann spielst du schwach und dein Gegner stark. Und dann gibt es Phasen, wo ihr beide euer bestes Tennis spielt.

Eine wichtige Eigenschaft großer Champions besteht darin diese Dynamiken zu akzeptieren und auch dann cool zu bleiben, wenn vollkommen verrückte Sachen auf dem Platz passieren. Das kann eine verschenkte 5:1-Führung sein, irrationales Verhalten des Gegners oder ein nur schwer bespielbarer Platz.

Eine hohe Frustrationstoleranz zeichnet sich durch das schnelle Abhaken bereits gespielter Punkte aus. Eine Fähigkeit, die deine Performance beim Tennis entscheidend verbessern kann.

Was haben wir gelernt?

Lass uns zum Ende kurz schauen, was wir von den großen Champions lernen können.

Sich selbst auf dem Court zu verfluchen führt uns nie zum Sieg. Wir sollten uns leichte Fehler verzeihen, immer mal wieder einzelne Ballwechsel analysieren und uns auf diese Weise selbst ein Freund und Coach auf dem Platz sein.

Dazu gesellt sich das Spielchen mit unserer Nervosität, unseren Ängsten. Diese gehören zum Turniertennis dazu wie der Doppelfehler zu einem Zverev-Match. Wir sollten diese Emotionen nie "wegwischen" oder "bekämpfen", sondern Wege finden mit diesen Gefühlen bestes Tennis zu spielen.

Und, zum Schluss: Neben Technik, Taktik und Strategie ist eine hohe Frustrationstoleranz eine Fähigkeit, die dein Spiel nach vorne bringen kann.

Diese drei Eigenschaften können dein Tennis vielleicht schon bald von gut zu großartig transformieren.   

Mehr von unserem Tennis-Insider findet ihr hier!

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