Mira Antonitsch im Interview: „Nur einen Tag später lag ich im Spital“

Mira Antonitsch hat vor wenigen Wochen mit einem Turniersieg auf der ITF-Tour aufgezeigt. Nach einer langwierigen Verletzung an den Sprunggelenken, die sie 18 Monate beeinträchtigte, startet sie 2019 eine Comeback-Saison, bei der sie von Günter Bresnik und Vater Alex unterstützt wird.

von Lukas Zahrer
zuletzt bearbeitet: 30.06.2019, 07:46 Uhr

Im tennisnet-Interview spricht die 20-Jährige über ihre lange Leidenszeit, Trainings im Thomas-Muster-Style, und warum beim Turniersieg in Banja Luka Tränen flossen. Sie ärgert sich, dass das aktuelle ITF-Ranking ihre Karriere de facto beendete und kennt schon den Wimbledon-Sieger von 2019.

tennisnet: Frau Antonitsch, vor wenigen Tagen spielten Sie in der Qualifikation des Rasenturniers auf Mallorca. Wie war es, WTA-Luft zu schnuppern?

Mira Antonitsch: Es war meine Premiere auf Rasen. Bei den Jugend-Wettkämpfen in Wimbledon war ich zwar qualifiziert, musste aber immer aufgrund von Krankheit oder Verletzungen zurückziehen. Ich reiste etwas früher nach Mallorca und trainierte mit Anastasija Sevastova und Monica Puig. Es war eine coole Erfahrung, und für mein erstes Profi- Match auf Rasen war die Leistung in Ordnung.

tennisnet: Sie spielten gegen Ysaline Bonaventure, die Nummer 118 der Welt. Erst im Tiebreak des dritten Satzes mussten Sie sich geschlagen geben.

Antonitsch: Die Auslosung war vielleicht etwas hart. Eine Linkshänderin auf Rasen ist ein bisschen mühsam zu bespielen. Ich war sehr enttäuscht, aber ich konnte mit einer Spielerin, die sich am Ende locker für das Hauptfeld qualifizierte, gut mitspielen. Andererseits fragte ich mich, was passiert wäre, wenn ich zwei, drei Punkte anders gespielt hätte. Dann hätte ich plötzlich in der ersten Runde gegen Angelique Kerber gespielt.

tennisnet: Sind Ihnen die entscheidenden Punkte oft durch den Kopf gegangen?

Antonitsch: Gut geschlafen habe ich nach dem Match nicht (lacht). Ich kann mir nicht viel vorwerfen. Vielleicht spielte ich einen Hauch zu ängstlich, aber sie gewann den Tiebreak nicht aufgrund meiner Fehler, sondern mit direkten Punkten ihrerseits.

Mira Antonitsch: "Wusste nicht, ob ich zurückkehren würde"

tennisnet: Kommen wir zu einem erfreulicheren Thema. In Banja Luka gelang Ihnen Anfang Juni der Turniersieg bei einem 15.000-Dollar-Turnier.

Antonitsch: Dabei bin ich mit einem mulmigen Gefühl zum Turnier gereist. Ich spielte zwar im Training gut, konnte es aber nie in meinen Matches zeigen. Ich wusste, dass es über Matchpraxis besser werden würde. Es ist der erste Titel nach meiner Verletzung, der hat einen besonderen Stellenwert.

tennisnet: Zu Beginn des Turniers sah es aber gar nicht gut aus. In Runde zwei etwa verloren Sie den ersten Satz, dann spielten Sie aber mit einem 6:0, 6:0 Ihre Gegnerin an die Wand. Wie schafften Sie es, den Turbo zu zünden?

Antonitsch: Schon die erste Runde war hart umkämpft. Ich weiß gar nicht genau, wie ich das Match gewinnen konnte. Im zweiten Match waren viele enge Games dabei. Es hätte auch 6:2, 6:2 enden können, dann schaut das Ergebnis auch nicht so komisch aus (lacht). Dieses Match war aber der Schlüssel zum Erfolg. Ich hatte deutlich mehr Vertrauen in meine Schläge, von da an spielte ich mehr als solide.

tennisnet: Bei Ihrer Siegesrede sind sogar Tränen geflossen. Was ist Ihnen dabei durch den Kopf gegangen?

Antonitsch: Es kamen die Gefühle von der Zeit während meiner Verletzung hoch. Ich durfte ja fast ein Jahr lang keinen Schläger in die Hand nehmen. Ich wusste eine Zeitlang gar nicht, ob ich überhaupt wieder auf den Platz zurückkehren würde. Es war nur ein 15.000er-Turnier und soll nur der Anfang gewesen sein, aber es war ein sehr wichtiger und emotionaler Moment.

tennisnet: Sie wurden durch Knochenmarksödeme in den Sprunggelenken gestoppt. Was machte die Verletzung so kompliziert?

Antonitsch: Ich hatte immer wieder Schmerzen, ignorierte sie aber, weil ich zu diesem Zeitpunkt mein bestes Ranking und gute Ergebnisse hatte. Ich hörte erst auf zu spielen, als ich kaum noch gehen konnte. Es ging recht schnell: Ich war damals in Nürnberg beim WTA-Turnier und hätte mich fast qualifiziert. Nur einen Tag später lag ich im Spital. Bei einem MRT stellte sich heraus, dass die Knochen mehr oder weniger zerbröselt waren. Erst dann realisiert man, wie schnell es gehen kann und wie wichtig die Gesundheit ist.

tennisnet: Wie sah die Behandlung aus?

Antonitsch: Ich probierte es mit einer Infusionskur, um die Ödeme „rauszuschwemmen“.  Abgesehen davon gab es von den Ärzten nur ein Wort: Entlastung. Es war schnell klar, dass ich meine Beine über ein halbes Jahr kaum belasten darf.

tennisnet: Also war in dieser Zeit nicht an ein Training zu denken?

Antonitsch: Immer wieder brachte mich jemand in die Kraftkammer oder zur Physiotherapie. Und teilweise spielte ich im Sitzen.

tennisnet: Ganz im Thomas-Muster-Style?

Antonitsch: Ja genau (lacht). Ich habe mir einen Sessel angefertigt, und konnte so ein paar Bälle spielen.

tennisnet: Gut, dass der Sessel nicht mehr gebraucht wird. Wie hart war das Comeback?

Antonitsch: Ich machte mir zu Beginn zu viel Druck. Es wollte nicht so laufen. Aber nach eineinhalb Jahren bin ich endlich wieder schmerzfrei.

tennisnet: Inwiefern hat Sie das aktuelle Ranking-System der ITF bei Ihrem Comeback behindert?

Antonitsch: Ich musste meine Karriere von vorne beginnen. Zum Zeitpunkt der Verletzung stand ich um Platz 500. Ein Protected Ranking gibt es zwar auch bei den Damen, es gilt aber nur für die besten 250 Spielerinnen der Welt. Ich wusste also, dass ich mein Ranking komplett verlieren würde, wenn ich länger als ein Jahr pausiere. Somit bildete ich mir ein, ich sei fit genug für Turniere, was ein Fehler war. Das ist dieses Ranking-Denken, das die Spielerinnen mittlerweile haben müssen.

tennisnet: Gerald Melzer erzählte von einer ähnlichen Situation, auch er war gezwungen, verletzt zu spielen.

Antonitsch: Absolut, mit Gerald tauschte ich mich zu diesem Thema auch intensiv aus. Ich verstehe die Protected-Ranking-Regel bei den Damen nicht. Dadurch, dass es bei meinem Comeback zunächst gut klappte, spielte ich weiter, ohne wirklich fit zu sein. Dann kam die Änderung der Transition-Tour, wodurch ich wieder mein Ranking verlor: Ich spielte nur auf kleinen Turnieren, die plötzlich keine WTA-Punkte mehr wert waren. Ab August sollen 15.000er-Turniere wieder zum WTA-Ranking zählen. Ich hoffe, es fällt ihnen nicht wieder etwas Neues ein.

Antonitsch: Günter Bresnik? "Bester Trainer, den es gibt"

tennisnet: Seit Jänner 2019 ist ein neuer Trainer an Ihrer Seite, Vater Alex betreut Sie nun bei den Turnieren. Fällt es schwer, Familiäres von Ihrem Beruf zu trennen?

Antonitsch: Es war mein Wunsch, dass er mein Trainer wird. Er selbst wäre wohl nie auf die Idee gekommen. Natürlich gibt es Situationen, in denen ich ihm auf den Hammer gehe – oder er mir (lacht). Wir haben aber eine Abmachung: Sollten wir merken, dass die familiäre Beziehung unter der Trainer-Spielerin-Beziehung leidet, beenden wir die Zusammenarbeit. Ich habe großen Respekt vor dem, was er erreicht hat. Bis jetzt funktioniert es echt gut und ich denke, es macht auch ihm Spaß. Außerdem bekomme ich seit April eine zusätzliche Unterstützung.

tennisnet: Sie sprechen die Zusammenarbeit mit Günter Bresnik an, bei dem Sie aktuell trainieren. Wie ist es dazu gekommen?

Antonitsch: Zu Beginn des Jahres waren meine Ergebnisse bescheiden. Günter bot mir an, mich zu unterstützen. Da braucht man als Spielerin nicht lange überlegen. Die Trainings in der Südstadt leitet er gemeinsam mit meinem Vater, zu den Turnieren reist aber nur der Papa mit.

tennisnet: Was können Sie von Bresnik lernen?

Antonitsch: Die Frage muss eher lauten, was man nicht von ihm lernen kann. Für mich ist er der beste Trainer, den es gibt. Ich bin sehr dankbar, denn man darf nicht vergessen: Er könnte sicher viele andere Spieler trainieren. Ich spüre, wie sehr er an mich glaubt. Das allein tut schon gut. Von seinem Knowhow brauchen wir gar nicht erst zu reden. Schon in den wenigen Wochen, seitdem wir zusammenarbeiten, ist viel weitergegangen.

tennisnet: Welche Dinge haben sich verbessert?

Antonitsch: Dinge, die einen gewissen Feinschliff bringen – etwa in der Beinarbeit und in den Schlägen. Das sind Kleinigkeiten, die einfach nur er sieht und erkennt.

tennisnet: Verspüren Sie einen zusätzlichen Druck, weil Sie aus einer Tennis-Familie kommen?

Antonitsch: Das hat sogar fast nur Vorteile, denn jeder kennt sich in dem Sport aus. Meine Familie weiß, was es bedeutet, eine Profikarriere zu verfolgen. Druck mache ich mir trotz den gelegentlichen Vergleichen nicht, denn ich mache das nur für mich. Meinen Eltern wäre es wahrscheinlich ganz recht, wenn ich etwas anderes machen würde (lacht). Aber das kommt für mich nicht in Frage.

tennisnet: Wann haben Sie mit dem Tennis begonnen?

Antonitsch: Ich weiß, dass ich im Alter von vier Jahren auf der Terrasse in unserem Haus begonnen habe zu spielen. Mit meinem Papa war ich außerdem oft beim lokalen Tennisclub wo sich meine Liebe zum Sport entwickelte.

Wimbledon: Rafael Nadal für Antonitsch Favorit

tennisnet: Wie haben Sie den Tennissport mit ihrer schulischen Ausbildung vereinbart?

Antonitsch: Mir war klar, dass ich die Oberstufe auf einer externen Schule absolvieren möchte. Damit ich den Schritt früher gehen konnte, übersprang ich sogar die vierte Klasse. Im Alter von 15 Jahren wechselte ich zu einer Externisten-Schule in Wien. Ich lerne mir den Stoff selbst an und muss nur für Prüfungen anwesend sein. Eine steht noch aus, dann darf ich auch zur Matura antreten. Mir ist es wichtig, neben dem Tennis etwas für meinen Kopf zu tun. Sonst wird man irgendwann verrückt. Es tut sogar ganz gut, etwas lernen zu müssen.

tennisnet: Hätten Sie sich eine gewisse Schulform in Österreich gewünscht, mit der eine Tennis-Karriere vereinbar ist?

Antonitsch: Für mich ist dieses Modell optimal. Ich kann mir frei einteilen, wann ich für eine Prüfung lerne. Das funktioniert ja auch auf Turnieren super. Der einzige Nachteil, der von vornherein klar war: Die Ausbildung dauert etwas länger. Man muss sich den Stoff eben ganz allein eintrichtern, das ist nicht so lustig (lacht). Wenn man eine Lernschwäche hat, ist es wahrscheinlich weniger ideal.

tennisnet: Zurück zum Tennis: Wie würden Sie Ihren Spielstil am besten beschreiben?

Antonitsch: Ich bin eine aggressive Allrounderin. Ich kann schnell spielen, beherrsche aber den Spin genauso gut wie den Slice oder einen Stoppball. Ich gehe gern ans Netz und volliere ganz gut für eine Dame. Mein Aufschlag ist solide. Ich spiele alles gerne, was aus meiner Sicht auch eher untypisch für das Damentennis ist.

tennisnet: Wie sehen Ihre nächsten Wochen und Monate im Idealfall aus?

Antonitsch: Es mag abgedroschen klingen, aber ich will nach so einer langen Verletzung gesund bleiben. Das ist mir das Wichtigste. Dann würde ich gerne das, woran ich fünf Stunden pro Tag im Training arbeite in den Matches umsetzen. In dem Fall wäre es nur eine Frage der Zeit, bis ich mich im Ranking rauf spiele.

tennisnet: Wie sieht die Turnierplanung aus?

Antonitsch: Ich möchte möglichst viele 25.000-Dollar-Turniere spielen. Als Nächstes geht es nach Stuttgart. Auf mich wartet eine kleine Deutschland-Tour mit fünf Stationen.

tennisnet: Abschließend müssen wir über Wimbledon sprechen. Wer gewinnt?

Antonitsch: Ich bin der größte Nadal-Fan, den es auf diesem Planeten gibt. Die Antwort bei den Herren ist für mich daher alternativlos (lacht).

tennisnet: Vamos, Rafa! Und wer gewinnt bei den Damen?

Antonitsch: Es ist unglaublich offen. Wenn eine Serena Williams fit ist, spielt sie in einer anderen Liga. Ich schätze aber dennoch die Chancen von Angie Kerber hoch ein. Es gleicht zur Zeit einer Lotterie, ich bin auf jeden Fall gespannt.

von Lukas Zahrer

Sonntag
30.06.2019, 08:00 Uhr
zuletzt bearbeitet: 30.06.2019, 07:46 Uhr