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Analyse von Novak Djokovic – Der US-Open-Sieger entschlüsselt

Eine für Novak Djokovic perfekt entwickelte Physis dient als Basis für das vielleicht beste Konterspiel aller Zeiten.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 14.09.2015, 14:30 Uhr

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Eine Analyse von Marco Kühn (tennis-insider.de)

Bestmögliche Kraft bei möglichst geringem Gewicht: Novak Djokovic steht für die glutenfreie Ernährung wie kaum ein anderer Spieler. Jedes Puzzleteil sitzt. Außerhalb des Platzes und auf dem Court selbst. Der Serbe hat eine Spielweise entwickelt, welche es für die meisten Spieler auf der Tour unmöglich macht, ihn zu besiegen. Aktion und Reaktion stehen dabei im Fokus. Djokovic beherrscht beides, besitzt aber insbesondere bei der Reaktion seine größten Stärken. Je druckvoller und schneller der Gegner spielt, desto stärker wird Djokovic. Er erkennt jeden Winkel, der sich ihm bietet. Er passt sich dem Spiel der Gegner meisterhaft an und kann jedes Tempo mitgehen. Sei es schnell oder auch langsam. Die Kunst ist es, einen langsamen Ball schnell, nicht einen schnellen Ball noch schneller zu machen.

Die körperliche Stärke von Novak Djokovic

Wenn sich Djokovic zum Return stellt, dann ist es am besten zu sehen. Er achtet darauf, den Rücken samt Halswirbelsäule so gerade es geht zu halten. Diese Stabilisation des Rumpfes ist eine Grundlage, um kompliziertesten und anspruchsvollsten Belastungen standzuhalten. Diese stabile Haltung ermöglicht es ihm, auch in Extremsituationen seine Körperspannung zu halten, den Körperschwerpunkt beim Schlag jederzeit zu regulieren und aus fast jeder Lage zu kontern. Dabei ist es vollkommen egal, wie schnell der Gegner spielt. Djokovic hat ganz einfach die Grundvoraussetzung, diese harten Grundschläge seiner Gegner zu entschärfen. Die enorme körperliche Fitness ist dabei aber nur das Grundgerüst, auf welchem er sein Spiel aufbaut. Seine größte Stärke ist das Reagieren auf Aktionen des Gegners. Und das beginnt bereits beim Return.

Djokovic und der Schlüssel zu seiner Returnstärke

Flexiblität ist hier das Stichwort. Der Serbe kann sich auf jeden Aufschlag einstellen und die für ihn bestmögliche Position beim Return einnehmen. Dabei unterscheidet er zwischen drei Positionen beim Return:

1. Auf der Grundlinie, fast im Feld stehend

2. Ein bis maximal zwei Schritte hinter der Grundlinie

3. Drei bis fünf Schritte hinter der Grundlinie

Position eins setzt er zumeist beim zweiten Aufschlag des Gegners ein. Hierbei besteht sein erstes Teilziel daraus, den Ball möglichst früh und in Hüfthöhe zu spielen. Dazu trifft er den Ball vor dem Körper, was die Elemente komplettiert, um ihn zu seinem nächsten Ziel beim Return zu bringen: die Länge des Schlages. Novak Djokovic versteht es wie kein zweiter Spieler, den Return lang und vor die Füße des Gegners zu spielen. Besonders auffällig ist das in seinen Matches gegenRafael Nadal. Dabei geht Djokovic zumeist über die Mitte, was dem Gegner wiederum kaum Winkel bietet, um gut und aggressiv in den Ballwechsel zu kommen. Im Gegenteil. Der Gegner reagiert auf diesen langen Return zumeist mit einem verhältnismäßig langsamen, in vielen Fällen auch zu kurzen Ball. Dann kann Djokovic eine Qualität einsetzen, die ihm vor einigen Jahren vielleicht noch gefehlt hat. Er selbst kann das Kommando übernehmen und den Ballwechsel diktieren.

Position zwei wählt er gegen harte Aufschläger, um den ersten Aufschlag zu entschärfen und trotzdem den Ball vor dem Körper zu treffen. Dies ist vielleicht seine größte Stärke in seinem Returnspiel. Natürlich ist hierbei die beidhändige Rückhand ein Vorteil. Doch ist es die unheimliche Qualität, den Return lang zu spielen, welche das gesamte Returnspiel des Serben so gefährlich für jeden Gegner macht. Djokovic besitzt die Klasse, jeden Aufschlag gut zu lesen und den Ball beim Return früh zu nehmen. Eine grandiose Mischung. Position drei dient der bereits erwähnten Flexibilität. Es ist eine weitere Variation, welche Djokovic ab und an beim zweiten Aufschlag des Gegners wählt. Bei dieser Variante steht er recht weit hinter der Grundlinie, spielt den Return halbhoch mit viel Topspin und orientiert sich direkt nach dem Schlag Richtung Grundlinie. Mit dieser Methodik kommt Djokovic gut in den Ballwechsel, kann seinen Gegner allerdings nicht wie bei den anderen Variationen direkt unter Druck setzen.

Das Zusammenspiel aus Aktion und Reaktion

Die fast beängstigende Sicherheit in den Grundschlägen von Novak Djokovic ist deswegen so beeindruckend, weil er diese bei jedem Tempo besitzt. Es ist egal wie schnell der Gegner spielt. Die Sicherheit in den Schlägen bei Djokovic bleibt. Aus jeder Lage, bei jedem Tempo kann Djokovic mit einem grandiosen Schlag reagieren. Doch wäre er nicht die Nummer eins der Welt, hätte er nur diese Qualität von der Grundlinie. Was sein Spiel einzigartig macht, ist das Ausnutzen der sich ihm bietenden Winkel.

Selbst wenn Djokovic unter starkem Druck steht, weiß er auch in diesen Situationen den Gegner selbst unter Druck zu setzen. Sei es, wenn der Gegner ans Netz kommt oder von der Grundlinie. Wenn es um das Reagieren auf Situationen in einem Ballwechsel geht, dann ist Novak Djokovic der beste Spieler – vermutlich aller Zeiten. Niemand beherrscht das Spiel aus der Defensive so wie die aktuelle Nummer eins der Welt. Das Erkennen, was der Gegner als nächstes spielen wird. Darauf bereits Antworten zu haben, bevor es im Ballwechsel überhaupt so weit gekommen ist. Dies sind die Qualitäten, die Novak Djokovic zurzeit zum besten Tennisspieler machen. Ohne Wenn und Aber.

von tennisnet.com

Montag
14.09.2015, 14:30 Uhr