tennisnet.com Kolumne

ATP-Masters-1000-Serie – Die unterschätzten Turniere

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 25.08.2016, 11:56 Uhr

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MONTE-CARLO, MONACO - APRIL 17: Rafael Nadal of Spain celebrates with the trophy after victory in the singles final match against Gael Monfils of France during day eight of the Monte Carlo Rolex Masters at Monte-Carlo Sporting Club on April 17, 201...

Rafael Nadal hat in diesem Jahr nur zwei Grand-Slam-Matches gewonnen, beide bei den French Open. Da müsste man annehmen, dass "Rafa" in der Jahresweltrangliste nicht allzu weit vorne liegen sollte. Doch weit gefehlt: Denn Nadal ist in diesem Jahr derzeit der sechsterfolgreichste Spieler, zumindest was die Punkte betrifft. Der Grund: die Ergebnisse bei den ATP-Masters-1000-Turnieren, die gerne auch mal unterschätzt werden. Vor Beginn in Cincinnati lag der Spanier, momentan mit 3020 Punkten auf dem Konto, sogar auf Platz fünf im "Race to London".

1000er-Serie legt den Grundstein

Nadal ist also auf einem guten weg, sich zum zwölften Mal in Folge für das Saisonfinale der acht besten Spieler des Jahres zu qualifizieren. Bei dem großen Hype um die Grand-Slam-Turniere darf man nicht vergessen, dass der Grundstein für die Teilnahme an den ATP World Tour Finals bei den Turnieren der 1000er-Serie gelegt wird. Auch das jährliche Rennen um die Nummer eins wird in dieser Turnierkategorie meist entschieden. Wer bei den 1000ern kräftig punktet, hat immer sehr gute Karten. Die Grand Slams überstrahlen in der öffentlichen Wahrnehmung mittlerweile alles, aber, um an die ganz großen Fleischtöpfe zu gelangen, was die Punkte betrifft, muss man bei einem "Major" zumindest ins Viertelfinale kommen, damit es sich auch richtig lohnt.

Die 1000er-Turniere stehen oft im Schatten, und einige davon werden von Laien auch gerne mal als Vorbereitungsturniere auf ein Grand Slam bezeichnet. Dabei kann man als Topspieler, wenn man es konzentriert angeht, oft leicht Punkte abgreifen. Seit der ATP-Reform nach den Vorkommnissen im Jahr 2006, als Roger Federer und Rafael Nadal in Rom im Endspiel über fünf Stunden spielten und danach beide ihren Start in Hamburg wegen Erschöpfung absagten, gibt es bei den Masters-1000er-Turnieren, die seit 2009 so heißen, nur noch Endspiele über zwei Gewinnsätze. Die weitaus größere Änderung war jedoch die Einführung von Freilosen in der ersten Runde für die Top Acht der Setzliste (in Paris-Bercy sind es die Top 16). Statt wie früher sechs Siege brauchen die Topspieler nun fünf Siege auf dem Weg zum Turniersieg. Vielleicht auch ein Grund dafür, warum die "Big Four" auf dieser Turnierserie im letzten Jahrzehnt so dominant waren.

Die richtigen Spiele gewinnen

Hinzu kommt, dass man als Topspieler mit ein bisschen Auslosungsglück zügig wichtige Punkte auf sein Konto bringen kann. In der Vergangenheit kam es nämlich oft vor, dass Spieler wie Djokovic, Federer oder Nadal nach dem Freilos in der zweiten Runde auf einen Wildcard-Spieler oder einen Qualifikanten trafen, die sich zuvor in der ersten Runde duelliert hatten. Mit einem Sieg stehen gleich 90 Punkte und der Einzug ins Achtelfinale zu Buche. Als Top-Acht-Spieler braucht man zehn gewonnen Sätze für den Turniersieg bei einem 1000er-Event (außer Indian Wells und Miami). Bei einem Grand Slam kommt man mit diesen Sätzen nicht allzu weit, nämlich nicht mal bis ins Viertelfinale. Eine richtig starke Woche bei einem 1000er-Turnier, wo am Ende der Finaleinzug oder sogar der Titel herausspringt, ist meist viel mehr wert, als wenn man bei einem Grand Slam vier herausragende Siege feiert und dann im Viertelfinale gegen einen Topspieler trotz starker Leistung ganz knapp ausscheidet.

Dies lässt sich am Beispiel Marin Cilic illustrieren, der in Wimbledon im Viertelfinale trotz 2:0-Satzführung und zweier Matchbälle gegen Roger Federer verlor. Cilic hat inzwischen in Cincinnati sein erstes 1000er-Turnier gewonnen und nun wieder gute Karten auf die Teilnahme am Saisonfinale. Zuvor hatte er auf dieser Turnierebene nicht mal ein Halbfinale erreicht. Hier liegt der Grund, warum Cilic, der 2014 sogar die US Open gewonnen hat, in der Weltrangliste bislang nie besser als Platz acht klassiert war. Das Abschneiden bei den 1000er-Turnieren entscheidet darüber, wer in den Top Ten steht und wer nicht. Zurück zu Rafael Nadal: Sollte der Spanier bei den US Open früh ausscheiden, also vor dem Achtelfinale, könnte er dennoch mit einem starken Ergebnis bei den zwei noch ausstehenden 1000er-Turnieren seine Qualifikation für die ATP World Tour Finals fixieren. Letztendlich geht es nicht darum, wie viele Spiele man in einer Saison gewinnt, sondern darum, die richtigen Spielen zu gewinnen.

von Christian Albrecht Barschel

Donnerstag
25.08.2016, 11:56 Uhr