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Bernard Tomic – Im Skandaljahr heimlich auf dem Weg nach oben

Fast still und unaufgeregt hat sich Bernard Tomic nach seinem Gefängnis-Besuch unter die Top 20 gespielt.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 23.11.2015, 06:15 Uhr

Auch wenn Kumpel Nick Kyrgios drauf und dran ist, ihm den Rang abzulaufen: In den letzten Jahren stand Bernard Tomic für das Bild des talentierten Newcomers aus Australien, der so gar nicht zum Image seiner Vorgänger Rod Laver, Roy Emerson, Patrick Rafter oder dem spätenLleyton Hewittpassen sollte. Der gerne mal in zu schnellen Autos die Gold Coast entlang raste, dessen Vater sich mit dem australischen Tennisverband anlegte, und der, wenn die Erwartungen vor Spielen gegen die ganz Großen hoch waren, nur wenige Glanzlichter setzte oder gänzlich kniff.

„Ich hatte nichts falsch gemacht“

Im Juli war’s mal wieder so weit: Tomic griff den australischen Tennisverband an, im Zuge dessen ebenso Australiens Saubermann Patrick Rafter („Er ist ein guter Schauspieler“). Die Folge:Rausschmissaus dem Davis-Cup-Team vorm Viertelfinal-Spiel. Zwei Wochen später die Nachricht:Tomic steckt im Knast– Widerstand gegen die US-amerikanische Staatsgewalt, nachdem er in einem Luxushotel bei einer Party mit Promis zunächst zu laut Musik gehört und sich kurz darauf geweigert habe, sein Zimmer zu verlassen. Dass Tomic die Zeit im Gefängnis mehr mitgenommen hat, als man im Lichte seines Öffentlichkeitsbildes annehmen mochte, verriet er kürzlich in einem Gespräch mit„Fairfax Media“. „Ich war ziemlich verängstigt, in dieser Situation zu stecken. Ich kam ins Gefängnis, und nach der ganzen Geschichte sah ich wie ein Krimineller aus. Dabei hatte ich letztlich nichts falsch gemacht.“ Eine Sache, die er gelernt habe: Mit der Polizei in Amerika kann man nicht verhandeln. „In Australien sind sie freundlich und so, sie reden mit dir. Nicht in Amerika. Ich denke, das erste Mal habe ich gesagt: ‚Nein, ich muss hier nicht raus, das ist mein Zimmer.’ Dann wurde ich verhaftet, weil ich mein Hotelzimmer nicht verlassen habe. Ich sagte ‚Warum? Warum soll ich gehen?’ und sie verhaften einen, das ist abstrus. Offenbar ist das ihre Macht – ich wurde verhaftet, ich muss mit.“

Aus dem Knast in die Top 20 der Welt

So heftig dieses Erlebnis wohl selbst für Tomic war: Es steht möglicherweise für einen Wendepunkt in seiner Karriere. Der Zwischenfall und die schlechte Presse haben zumindest an ihm genagt. „Jeder schaut dich komisch an – für nichts. Es war die bizarrste Sache, die ich je erlebt habe: in den Knast geschickt zu werden, um mit einem Polizisten zu sprechen.“ Tomic kam schnell wieder auf freien Fuß und nutzte die zurückgewonnene Freiheit auf bestmögliche Weise. Nur eine Woche später siegte er beim Turnier von Bogota und machte sich still und heimlich daran, das Jahr 2015 als bestes seiner Karriere abzuschließen: als Weltranglisten-18. und mit knapp 23 Jahren nachDominic Thiemals zweitjüngster Spieler in den Top 20. Zudem wurde er von der ATP für den „Most Improved Player of the Year“-Award nominiert (den schließlichHyeon Chunggewann).

Djokovic sieht noch Potenzial nach oben

Dass dies nicht das Ende der Fahnenstange für den in Stuttgart geborenen Australier sein muss, konstatierte zuletzt BranchenprimusNovak Djokovic, der vor allem im Bereich Beweglichkeit noch Verbesserungsbedarf bei Tomic sieht. „Er hat eine gewisse Raffinesse im Spiel, eine sehr gute Antizipation. Er ist groß, hat gute Winkel beim Aufschlag. Das Potenzial ist also da. Es liegt an ihm, wie sehr er es wirklich will, wie engagiert er ist.“ Man kann gespannt sein, ob Bernard Tomic seinen Fokus auch im kommenden Jahr darauf legen wird, sein Talent auf den Tenniscourts auszuspielen – und ob er die Gastauftritte auf kriminellen Nebenschauplätzen möglichst vermeidet.

(Text: fg)

von tennisnet.com

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23.11.2015, 06:15 Uhr