Rücktrittsgerede um Federer nervt
von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
21.04.2016, 09:32 Uhr
Geht es euch so wie mir? Ich bin bekennender Bewunderer von der Spielweise und der Persönlichkeit von Roger Federer. Die Ära des Schweizers ist zu Ende oder geht je nach Betrachtungsweise dem Ende entgegen. Federer hat seinen Zenit schon längst überschritten. Das ist offensichtlich. Was mir allerdings sauer aufstößt, ist das ganze Gerede in den Medien nach jeder Niederlage von Federer. Dort kommt vermehrt das "R"-Wort vor, also der Ruf und die Frage nach dem Rücktritt des 17-maligen Grand-Slam-Siegers. Diese Stimmen und Berichte werden sich in der nächsten Zeit noch verstärken. Das ist üblich bei einem Spieler, der sich in den Endzügen seiner Karriere befindet. Doch das ganze Rücktrittsgerede um Federer und andere Spieler finde ich nur nervig und völlig überflüssig. Den richtigen Zeitpunkt für ein Karriereende gibt es nicht und wird es auch nie geben. Jeder Spieler muss das mit sich selbst ausmachen und in sich und seinen Körper hineinhorchen.
Keiner hat das Recht, einem Sportler vorzuschreiben, wann er seine Karriere zu beenden hat. Federer und auch andere Spieler sollen solange spielen, wie sie wollen. Wenn die Liebe zum Spiel immer noch vorhanden ist, ist es völlig egal, wenn die großen Triumphe ausbleiben. Ich würde es auch ungern sehen, wenn mir jemand dazu rät, dass ich meinen Beruf und meine Leidenschaft nicht mehr ausüben soll. Wir reden bei Federer von einem Spieler, der vor einem knappen Jahr noch die Nummer eins der Welt war. Der Schweizer hatte 2013 kein gutes Jahr. Das ist Fakt. Allerdings waren auch nur die letzten drei Monate für seine Verhältnisse schwach. Immerhin ist Federer noch die Nummer sieben der Welt und würde vielleicht noch ein paar Plätze höher stehen, wenn er nicht ein paar Masters-1000-Turniere ausgelassen hätte. Das ist Jammern auf hohem Niveau. Viele Spieler würden solch eine Saison mit Kusshand nehmen. Natürlich wird Federer derzeit seinen eigenen Maßstäben nicht gerecht, aber er ist immer noch ein Spitzenspieler.
Jede Niederlage eine kleine Katastrophe
Wird Federer noch mal die Nummer eins? Nein, das ist auszuschließen, vor allem weil Federer immer wieder einige Turniere auslässt. Gewinnt Federer noch mal ein Grand-Slam-Turnier? Nein, das denke ich nicht, dazu müssten einige Faktoren zusammenspielen. Als Federer nach seinem frühen Aus in Wimbledon kurzfristig bei den Turnieren in Hamburg und Gstaad an den Start ging, war von einer Panikreaktion zu lesen. Das war es sicherlich nicht. Generell ist es schön zu sehen, wenn die Topspieler auch bei kleineren Turnieren am Start sind. Federer wird sich mit seinen Starts in Hamburg und Gstaad schon etwas dabei gedacht haben, auch um zusätzliche Punkte für die Teilnahme am Saisonfinale zu ergattern - was mit dem Halbfinale in Hamburg aber nur bedingt klappte. Würde er das Saisonfinale in London um ein paar Punkte verfehlen, wäre das Geschrei in den Medien sicherlich groß. Die Punkte aus der Teilnahme in Hamburg könnten sich noch als wichtig herausstellen.
Das Zweitrunden-Aus in Wimbledon hat Spuren bei Federer hinterlassen. Nicht nur seine unglaubliche Serie mit 36 Viertelfinalteilnahmen in Folge bei Grand-Slam-Turnieren ging zu Ende, sondern auch sein Selbstvertrauen hat gelitten, was man neuerlich bei der Achtelfinal-Niederlage bei den US Open gegen Tommy Robredo sehen konnte. Während der Achtelfinal-Einzug eines anderen Grand-Slam-Siegers und ehemaligen Weltranglisten-Ersten, nämlich Lleyton Hewitt, mittlerweile als großer Erfolg bezeichnet wird, ist das Scheitern von Federer in der gleichen Runde eine kleine Katastrophe.
Federer und die Erschaffung seines "Monsters"
Federer hat durch seine Erfolge und die immer wieder neuen Rekorde auch selbst dazu beigetragen, dass frühe Niederlagen etwas Außergewöhnliches geworden sind. Selbst bei Ausnahmespielern wie Pete Sampras, Andre Agassi und Boris Becker kamen Pleiten gegen niedrig platzierte Spieler immer mal wieder vor. Bei Federer dagegen waren solche Pleiten bis vor kurzem eine echte Rarität. "Ich habe ein Monster erschaffen", erklärte Federer 2008 nach seiner Halbfinal-Niederlage gegen Novak Djokovic bei den Australian Open. Er hatte gerade zum ersten Mal seit den French Open 2005 ein Grand-Slam-Finale verpasst. Dieses Monster, der Erwartungsdruck, belastet Federer heute immer noch. Auch Rafael Nadal und Novak Djokovic könnten bald unter diesem Monster leiden - sofern sie es nicht schon tun -, wenn sie mit ihren Erfolgsserien so weitermachen.
Es wird spannend zu beobachten sein, wie es mit Federer in den nächsten Monaten und - so wie ich es hoffe - in den nächsten Jahren weitergeht. Sicherlich muss der Schweizer vermehrt an seiner Fitness arbeiten, um wieder auf ein höheres Niveau zu kommen. Als gutes Beispiel dienen da Serena Williams und Tommy Haas, die in ihren Dreißigern so fit wie nie zuvor wirken. Zu seinem 30. Geburtstag habe ich 30 Gründe aufgeführt, warum Federer der Beste aller Zeiten ist. Nicht nur wegen seiner sportlichen Erfolge bleibt Federer für mich der Beste aller Zeiten. Komme, was wolle!