tennisnet.com Kolumne

Wetterkapriolen in Melbourne

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 14.01.2016, 00:41 Uhr

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during 2016 Australian Open Qualifying at Melbourne Park on January 13, 2016 in Melbourne, Australia.

Melbourne ist in der vom Magazin "Monocle" jährlichen aufgestellten Liste der lebenswertesten Städte im Jahr 2015 auf Platz vier gelandet und hat damit im Vergleich zum Vorjahr einen Platz eingebüßt. Aber immerhin ist man einen Platz besser gelistet als der große Konkurrent Sydney. Melbourne ist jedoch nicht nur eine der lebenswertesten Städte der Welt, sondern auch bekannt als Stadt der vier Jahreszeiten an einem Tag. Das Wetter in der Millionen-Metropole am Yarra River ist unvorhersehbar und spielt immer wieder verrückt. Eine Herausforderung für alle Beteiligten bei den Australian Open. Auch wenn ich mit dem Klima in Melbourne bereits vertraut bin, ist es jedes Mal eine Herkulesaufgabe.

Gerne wird von der Akklimatisierung gesprochen, wenn man durch verschiedene Klima- und Zeitzonen reist. Der Trip von Deutschland nach Down Under ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Der Körper ist zwar ein Phänomen, steckt sehr viel weg und passt sich schnell Gegebenheiten an, aber dennoch ist solch eine lange Reise auch Raubbau am Körper. Immerhin ist von Deutschland aus fast kein Land der Welt so weit entfernt wie Australien. Wer nach Melbourne reist, muss sich mindestens auf einen Tagestrip einstellen. Die immer wieder leise Hoffnung, auf einem der Flüge von einer charmanten Flugbegleiterin gesagt zu bekommen, dass man ein Upgrade von der Economy Class in die Business Class erhält, hat sich mal wieder in Luft aufgelöst. Dabei wollte ich so gerne einmal wie die meisten Tennisprofis reisen. Doch anstatt halbwegs ausgeruht anzukommen, sitze ich erneut wie ein Schwein eingepfercht mit vielen Menschen, um die ich im täglichen Leben einen großen Bogen machen würde.

Melbourne, die drittgrößte "griechischste Stadt" der Welt

In Melbourne nach knapp 40 Stunden ohne richtigen Schlaf angekommen, gehen sie dann so richtig los: die leichten Zweifel, dass das Gepäck nicht angekommen sein könnte. Nach einigen Minuten dann das Aufatmen: Der Koffer samt Inhalt rollt unbeschädigt auf dem Band und wartet auf den Zugriff. Und nun nix wie los zum Hotel. Es ist 9 Uhr morgens, draußen sind bereits 30 Grad im Schatten. Schon merkwürdig: Denn ein paar Tage zuvor habe ich mir bei -10 Grad noch den Arsch abgefroren, und nun das komplette Gegenteil. Zum Glück ist ein Taxi schnell gefunden, denn bei diesen Temperaturen in Flugzeugskleidung, bestehend aus langer Hose und Pullover, zu warten, wäre schweißtreibend. Petros heißt mein Taxifahrer, er kommt aus Griechenland. Dieses Mal also keiner aus Indien oder Pakistan.

Auf meine Feststellung, dass in Melbourne zahlreiche Griechen leben, antwortet Petros cool: "Nein, nicht sehr viele. Nur ca. 800.000." Und Recht hat er. Melbourne ist in griechischer Hand. Schätzungsweise eine halbe bis eine Million Menschen griechischer Abstimmung leben in Melbourne - nach Athen und Thessaloniki die größte "griechische Stadt" der Welt. Die Frage, ob er denn Nick Kyrgios, der einen griechischen Vater hat, kennt und welche Meinung er zu ihm hat, habe ich mir zwar verkniffen, aber schnell landen wir beim Gesprächsthema Sport. Ich berichte von der Dominanz des Fußballs in Deutschland, die alle anderen Sportarten in den Schatten stellt. Petros, Anhänger von Olympiakos Piräus, ist ebenfalls riesengroßer Sportfan, aber was er überhaupt nicht leiden kann: Cricket. "Ich lebe hier schon so lange, aber bis heute verstehe ich die Regeln im Cricket nicht. Warum die Sportart in Australien so beliebt ist, bleibt mir ein Rätsel." Ich stimme ihm zu und sage, dass Cricket noch langweiliger als Baseball sei.

Melbourne, die Stadt der Drogen

Petros fragt, wer denn die besten Tennisspieler aus Deutschland sind. "Philipp Kohlschreiber bei den Herren und Angelique Kerber bei den Damen, immerhin Nummer sieben der Welt", erzähle ich ihm. Von beiden hat er noch nie gehört. Kein gutes Zeichen für das deutsche Tennis. Auch Österreichs Dominic Thiem kennt er nicht. Als Petros dann von Steffi Graf berichtet, überschlägt sich seine Stimme vor Begeisterung und seine Augen fangen an zu leuchten. Ach ja, die "Gräfin" ist und bleibt ein deutsches Kulturgut, geliebt und respektiert in aller Welt. Während der Fahrt bekräftigt Petros immer wieder, wie gerne er in Melbourne lebe, aber dass es eine der lebenswertesten Städte der Welt sein soll, das verstehe er nicht wirklich. "Es ist alles so teuer hier. Außerdem ist die Kleinkriminalität sehr hoch. Hier ist alles voller Drogen. Crystal Meth beherrscht die Stadt", erklärt er und berichtet von einem Zwischenfall, als er im Taxi angegriffen und niedergestochen wurde. Das Leben als Taxifahrer in Melbourne sei für ihn sehr hart. Man könne sich im Straßenverkehr gar nichts erlauben. Er nennt mir die Summen für Bußgelder für Geschwindigkeitsüberschreitungen und bei sonstigen Fehlverhalten. Ein Glück, dass es in Deutschland noch nicht so ist, denke ich mir.

Mittlerweile hat Petros mich sicher zum Hotel gebracht. Nun heißt es Abschied nehmen. Für immer? Nein, denn was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß: In wenigen Minuten würden wir uns wiedersehen. Denn als ich mein Hotelzimmer betrete und meine Taschen leere, fällt mir auf: Mein Handy ist weg. "Verdammte Kacke", schreie ich und bin schon in voller Panik, als ich es nirgendwo finden kann. Zig Gedanken schießen mir durch den Kopf. "Das passiert mir jetzt nicht wirklich. Wo und wie habe ich es verloren? Was kann ich nun tun? Wie kann ich in Melbourne ohne Telefon leben? Wie bekomme ich ein Ersatztelefon?" Denn solch ein Handy ist in der heutigen Zeit elementar wichtig. Meine Hoffnung besteht darin, dass es bei der Taxifahrt aus meiner Hosentasche gefallen ist und mir nicht am Melbourner Flughafen geklaut wurde. In weiser Voraussicht habe ich mir eine Taxiquittung geben lassen, sodass die Hotelrezeption das Taxiunternehmen ausfindig machen konnte. Und tatsächlich: Das Handy ist im Wagen von Petros. Großes Aufatmen bei mir. Das ist das erste Mal, dass mir das passiert ist, und ausgerechnet am anderen Ende der Welt am ersten Tag. Nach einigen Minuten kehrt Petros zurück. Die Extragebühr und den Finderlohn zahle ich sehr gerne. Das Abenteuer Australian Open kann nun endlich beginnen.

Die " Extreme Heat Policy " ist gefragt

Als ich nach einem 35-minütigen Fußmarsch schweißnass im Melbourne Park ankomme, bin ich froh, meine Akkreditierung in Empfang nehmen zu können und meinen Körper im klimatisierten Presseraum etwas abzukühlen. Der erste Qualifikations-Tag ist bereits in vollem Gange. Acht Deutsche und drei Österreicher sind im Einsatz. Ich wage mich wieder in die Dampfsauna. Die Anlage ist gespenstisch leer. Bei den Matches sind neben den Betreuern und Trainern nur vereinzelt Zuschauer zu sehen. Kein Wunder, denn die Thermometer-Skala steigt immer weiter nach oben. Bei mir werden Erinnerungen wach an die Hitzeperiode in Melbourne vor zwei Jahren. Als das Thermometer schließlich 44 Grad anzeigt, greift die "Extreme Heat Policy". Die Matches werden abgebrochen. Was die Spieler, Ballkinder und alle Offiziellen bis dahin in dieser Gluthitze geleistet haben, verdient allerhöchsten Respekt.

Nach einigen Stunden Unterbrechung werden die Matches am frühen Abend wiederaufgenommen. Doch für mich ist der Tag beendet. Nach einem schweißtreibenden Arbeitsspaziergang komme ich wieder im Hotel an. Endlich schlafen, denke ich mir. Bei der kurzen Nachbereitung des Tages fällt es mir schwer, die Augen offen zu halten. Nach 50 Stunden ohne Schlaf gönne ich mir dann endlich den Sprung ins Bett. Am nächsten Tag, am heutigen Donnerstag, zeigt Melbourne dann sein anderes Gesicht. Ohne großes Unwetter und mit nur ein paar kleinen Regenschauern hat sich die Luft dermaßen abgekühlt, sodass am Mittag nur 17 Grad gemessen werden. Der Himmel ist dabei voller Wolken. Ich denke mir, dass solch ein Temperatursturz um über 25 Grad innerhalb kürzester Zeit in Deutschland ohne ein gewaltiges Gewitter nicht möglich wäre. Aber das gehört zu Melbourne einfach dazu. Wie Forrest Gump sagt: "Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man kriegt." In Melbourne trifft es auf das Wetter zu.

von Christian Albrecht Barschel

Donnerstag
14.01.2016, 00:41 Uhr