Practice what you preach
von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
20.02.2015, 15:20 Uhr

Als Michael Stich vor zwei Wochen in einem Interview mit der "Sport Bild" die derzeitige Generation im Herrentennis kritisierte und diese als zu perfekt mit keinen Ecken und Kanten bezeichnete , rieb sich manch einer verwundert die Augen. Das fordert ausgerechnet Stich, der in seiner Karriere nicht zu den schillerndsten Persönlichkeiten im Herrentennis zählte, zumindest im Ausland, und von sich nur wenig preisgab. Stich hat sich nach seiner Karriere zu einer Person mit vielen Ecken und Kanten entwickelt und ist jemand, der im deutschen Tennis gerne polarisiert und seine Meinung lautstark vertritt.
Ein weiterer ehemaliger deutscher Spitzenspieler, der mittlerweile mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält, ist Nicolas Kiefer . "Kiwi" attackierte in seiner Kolumne im "tennis Magazin" Philipp Kohlschreiber scharf und sprach der deutschen Nummer eins die Teamfähigkeit ab. Lieber solle das deutsche Davis-Cup-Team absteigen als mit Kohlschreiber antreten, so die Devise von Kiefer. Und auch hier reibt man sich verwundert die Augen. Meint Kiefer das ernst oder hat er das im Anfall von Fieberwahn gesagt? Denn Kiefer fordert von Kohlschreiber genau das, was er zu seiner Zeit im deutschen Davis-Cup-Team häufig vermissen lassen hat - die Teamfähigkeit. "Practice what you preach" ist ein schönes Sprichwort. "Lass Worten Taten folgen" oder noch etwas freier übersetzt: "Fordere nur das von anderen ein, woran du dich selbst hältst."
Nicht mit Ruhm bekleckert
Kiefer hat sich in seiner Davis-Cup-Zeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert und lag mit dem DTB, den deutschen Teamchefs und seinem deutschen Rivalen Tommy Haas immer wieder im Clinch. Der ehemalige Weltranglisten-Vierte hat in seiner langen Karriere 15-mal für das deutsche Davis-Cup-Team gespielt. Besonders viel ist das nicht, wobei man Kiefer zugute halten muss, dass er durch zahlreiche Verletzungen immer wieder zurückgeworfen wurde. Die Davis-Cup-Bilanz von Kiefer ist sowohl im Einzel als auch im Doppel negativ. Herausragende Siege von Kiefer sucht man vergeblich, wenn man den Erfolg gegen Jürgen Melzer und das zweimalige Drehen eines 0:2-Satzrückstandes gegen die Südafrikaner Grant Stafford und Wesley Moodie außen vor lässt. Vielmehr bleiben bei Kiefer jedoch Einzelniederlagen in Erinnerung, wenn es darauf ankam.
Zum Vergleich: Kohlschreiber wird Anfang März gegen Frankreich seine 14. Davis-Cup-Partie bestreiten und hat sowohl im Einzel als auch im Doppel eine positive Bilanz. Im Davis Cup spielte Kohlschreiber vor allem auswärts häufig groß auf. So wie bei seiner Premiere im Jahr 2007 in Belgien oder bei seinen beiden Siegen gegen Spanien in der Stierkampfarena in Marbella. Seitdem "Kohli" das erste Mal für den Davis Cup berufen wurde, hat er nur die Erstrundenpartie 2012 gegen Argentinien aus freien Stücken sausen lassen, als er sich wegen einer Magen-Darm-Grippe krank meldete und deswegen vom Teamkollegen Tommy Haas öffentlich gerügt wurde. Es folgten die Ausbootungen für die Relegationspartie 2012 gegen Australien von Patrik Kühnen sowie für das Viertelfinale 2014 gegen Frankreich von Carsten Arriens.
Ein schmaler Grat
Über die "Causa Kohlschreiber" ist Arriens nun genauso wie bereits Kühnen zuvor gestolpert. Kiefer nimmt der deutschen Nummer eins dies nun übel und findet, dass sich Arriens "korrekt verhalten" habe. Die Kritik von Kiefer ist in einigen Punkten verständlich und nachvollziehbar, weil auch Kohlschreiber in der Vergangenheit nicht immer das beste Bild in der Öffentlichkeit abgegeben hat, um es mal vorsichtig auszudrücken. Stichwort: Olympia-Absage. Doch man sollte generell immer vorsichtig sein, wenn man eine einzige Person zum Buhmann oder Sündenbock macht. So einfach ist das in den meisten Fällen nicht. Es hat fast den Anschein, dass Kiefer persönliche Animositäten gegenüber Kohlschreiber und auch Sabine Lisicki , die immer wieder Spott abbekommt, hegt. Es ist ein schmaler Grat zwischen fundierter Kritik und Dampfplauderei.
Kiefers Forderung, lieber abzusteigen als mit Kohlschreiber zu spielen, ist riskant. Denn das Geschrei im deutschen Tennis wird sicherlich groß sein, wenn Deutschland im Davis Cup auf einmal wieder zweitklassig ist. Dass es viel Mühe bedarf, wieder in die Weltgruppe zu kommen, davon können große Tennis-Nationen wie Australien ein Lied singen. Das Trio Kiefer, Haas und Rainer Schüttler , dass das Potential hatte, den Davis Cup zu gewinnen, hat leider nur selten an einem Strang gezogen. Kohlschreiber hat Kiefer eines voraus: den Einzug in ein Davis-Cup-Halbfinale, und zwar im Jahr 2007. Der neidische Blick geht in Richtung des deutschen Gegners Frankreich. Die "Equipe Tricolore" hat eine Vielzahl an Topspielern, die sich zumindest nach außen prächtig verstehen. Es wird interessant werden in zwei Wochen, nicht nur auf dem Platz, sondern auch daneben. Und zwar wenn sich Kiefer, der seiner Funktion als Experte für Sat.1 Gold nachgeht, und Kohlschreiber vermutlich gegenüberstehen werden.
