tennisnet.com Kolumne

Tennis leidet unter der deutschen Sportkultur

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 21.04.2016, 09:30 Uhr

Geht es euch auch so wie mir? Ich bin ein riesengroßer Sportfan. Ob Tennis, Fußball, Leichtathletik, Biathlon oder American Football. Seit der Kindheit sauge ich Informationen über die verschiedensten Sportarten in mir auf. Meine große Leidenschaft gehört seit vielen Jahren dem Tennis, natürlich auch berufsbedingt. In den letzten Jahren und Jahrzehnten musste ich leider feststellen, dass Tennis in den deutschen Medien immer weniger stattfindet. Als ich begeisterter Tennisfan wurde, lieferten einander Boris Becker und Stefan Edberg in Wimbledon spannende Duelle. Tennis boomte damals in Deutschland und löste König Fußball zeitweise als beliebteste und medienträchtigste Sportart ab. Hochklassige Turniere auf der ATP- und WTA-Tour, dazu die ATP-WM und der Grand Slam Cup wurden in Deutschland ausgetragen. Es wurde sogar darüber diskutiert, ob Deutschland nicht Austragungsort eines fünften Grand-Slam-Turniers werden könnte. Die Zeiten haben sich mittlerweile geändert. Nach den Karriereenden von Becker, Steffi Graf und Michael Stich ging in Deutschland das Interesse am Tennis rapide zurück. Zwar ist die Talsohle mittlerweile durchschritten, aber Tennis hatte sich zwischenzeitlich von einer Volkssportart zu einer Randsportart entwickelt, zumindest in den deutschen Medien. Bei derzeit 1,5 Millionen Mitgliedern, die der Deutsche Tennis Bund hat, muss man Tennis aber auf jeden Fall immer noch zu den Volkssportarten zählen.

Faszinierende Sportkultur in Australien, Großbritannien und USA

Dass Tennis nicht mehr die Aufmerksamkeit von früher hat, liegt auch daran, dass Deutschland leider keine Sportkultur besitzt, wie ich finde. Für die meisten Deutschen geht es nicht um die Sportart und den Sport an sich, sondern um Personenkult. Die Beliebtheit einer Einzelsportart wie Tennis steht und fällt in Deutschland mit Personen und deren Erfolgen. Das war nicht nur im Tennis mit Becker, Graf und Stich gut zu beobachten, sondern auch im Boxen mit Henry Maske, im Skispringen mit Martin Schmitt und Sven Hannawald, im Schwimmen mit Franziska van Almsick oder aktuell im Basketball mit Dirk Nowitzki und in der Formel 1 mit Michael Schumacher und Sebastian Vettel. Bleiben die Erfolge von Deutschen aus, verliert die Sportart für viele Zuschauer ihren Reiz.

Dass es auch anders sein kann, zeigt der Blick über die deutsche Grenze hinaus. Länder wie Australien, England oder die USA haben eine tolle und faszinierende Sportkultur, in der viele verschiedene Sportarten einen hohen Stellenwert haben. In besagten Ländern steht meistens der Sport im Vordergrund und nicht der Erfolg einer einzelnen Person. Großbritannien hat eine lange Tennistradition. Obwohl die Briten seit sehr vielen Jahren kaum erfolgreiche Tennisspieler produziert haben - Andy Murray, Tim Henman und Greg Rusedski bilden die Ausnahme -, lieben sie den Tennissport und gehen auch sehr gerne ins Stadion, wenn kein Brite spielt. Wimbledon ist hier das beste Beispiel. Der Sport und das Turnier sind viel größer als einzelne Personen, und das sollte auch immer so sein. Australien hat über viele Jahrzehnte große Tennisstars am Fließband produziert. Mittlerweile ist das australische Tennis nur noch Mittelmaß. Dennoch tat das der Popularität von Tennis in Australien keinen Abbruch, wie ich auch selbst erfahren habe.

Medien tragen Verantwortung

Die Frage, die ich mir stelle, ist folgende: Warum fehlt in Deutschland solch eine vielseitige Sportkultur wie in anderen Ländern? Aus meiner Sicht tragen die deutschen Medien, sei es Print, TV, Radio oder Online, eine erhebliche Verantwortung, dass sich in Deutschland mittlerweile alles nur noch um Fußball dreht und viele ehemals populäre Sportarten wie Leichtathletik und Schwimmen nur noch sehr selten Erwähnung finden. Ich bin selbst, seit ich denken kann, ein riesengroßer Fußballfan und verfolge die Bundesliga intensiv sowie die großen Turniere wie EM und WM bis ins kleinste Detail. Aber die Entwicklung, die der Fußball in den deutschen Medien genommen hat, missfällt mir. Über jedes noch so unwichtige Testspiel wird ausführlich und häufig live berichtet, jedes noch so skurrile Transfergerücht wird medial bis ins kleinste Detail ausgeschlachtet. Der Inhalt der "Sport Bild", die ich selbst wöchentlich lese, besteht in jeder Ausgabe aus über 80 Prozent Fußball-Berichterstattung. Da möchte man doch glatt zurufen: Nennt euch doch um in "Fußball Bild"! Auch in den meisten Tageszeitungen gibt es meist nur ein Thema: Fußball, Fußball, Fußball - und dann mit Glück etwas über andere Sportarten, wo aber häufig nicht der Sport im Vordergrund steht, sondern andere Geschichten.

Die Tennis-Berichterstattung in den deutschen Medien lässt mehr als zu wünschen übrig. Das hatten die French Open mal wieder bewiesen. Ein Turnier, wo es mit Tommy Haas, Angelique Kerber und Philipp Kohlschreiber drei Deutsche in die zweite Woche geschafft haben, dazu mit Antonia Lottner und Alexander Zverev zwei deutsche Junioren im Endspiel standen. Allgemein war die Berichterstattung über das Turnier leider sehr mager, wie ich feststellen musste. Dabei muss man festhalten, dass Tennis nach Fußball die Weltsportart Nummer zwei ist. Roger Federer, Rafael Nadal und Maria Sharapova sind Weltstars, die auch Tennislaien ein Begriff sind. Mit Federer ist der derzeit vielleicht bekannteste Sportler weltweit und einer der besten Sportler aller Zeiten sogar deutschsprachig. Dennoch wird in Deutschland die Beliebtheit von Tennis von den Medien teilweise mit Füßen getreten. Das lässt sich auch daran sehen, dass Tennis auf einigen Sport-Portalen und Online-Auftritten der Tageszeitungen nur im "Mehrsport" aufzufinden war oder es immer noch ist. Während des Wimbledon-Turniers erhöhte sich dank des Siegeszugs von Sabine Lisicki die Berichterstattung über Tennis dann schlagartig. Dies ging aber auch erst los, als Lisicki im Achtelfinale Serena Williams besiegt hatte. Ein typisch deutsches Phänomen, das aber auch zeigt: Das öffentliche Interesse an Tennis ist immer noch riesig. Man muss es aber auch bedienen.

Monokultur in der deutschen Sportlandschaft

Die Fernsehberichterstattung in Deutschland über Tennis ist sehr gut, wenn man denn Pay-TV-Kunde ist. Sport1+ überträgt alle neun ATP-Masters-1000-Turniere, dazu auch die Turniere der 500er-Serie. Die deutschen Turniere werden ebenfalls im Fernsehen angeboten. Wenn man genau sucht, wird man hier auch fündig. Eurosport überträgt die Grand-Slam-Turniere in Melbourne, Paris und New York in ausführlicher Länge und größtenteils mit viel Fachkompetenz. Wimbledon wird seit ein paar Jahren von Sky übertragen. Sky macht bei der Berichtererstattung einen tollen Job, wie ich finde. Dennoch ist es extrem schade, dass ausgerechnet das berühmteste und prestigeträchtigste Tennisturnier seit vielen Jahren nur noch im Pay-TV stattfindet. Wenn man bedenkt, dass die deutschen Spieler und Spielerinnen vor allem in Wimbledon zur Hochform auflaufen, ist das sehr bedauerlich. Bereits vor dem diesjährigen Finaleinzug von Sabine Lisicki erreichten Tommy Haas (2009), Lisicki (2011) und Angelique Kerber (2012) in Wimbledon das Halbfinale. Dazu kamen die Viertelfinalteilnahmen von Lisicki (2009 und 2012) sowie von Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer (beide 2012). Leider konnte der Tennisfan, der kein Pay-TV-Kunde ist, davon nichts sehen - genauso wenig wie vom vielleicht bislang besten Tennismatch, das Wimbledonfinale 2008 zwischen Federer und Rafael Nadal. Gerade solche starken deutschen Leistungen und epischen Matches beim prestigeträchtigsten Turnier der Welt hätten dem deutschen Tennis noch mal einen Schub geben können, wenn es auch im Free-TV Live-Bilder gegeben hätte.

In der deutschen Sportlandschaft hat sich in den letzten Jahren leider eine Monokultur entwickelt. Fußball wird immer mächtiger und hält die restlichen Sportarten klein, die unter der deutschen Fußballkultur zunehmend leiden. Das wird nur unterbrochen, wenn alle zwei Jahre Olympische Spiele stattfinden oder große Sportereignisse wie die Handball- oder Leichtathletik-WM in Deutschland ausgetragen werden. Da ich nicht nur Fußballfan, sondern generell ein großer Sportfan bin, finde ich die derzeitige Situation alarmierend. Aus meiner Sicht muss man jetzt gegensteuern, damit sich die Spirale zugunsten des Fußballs nicht noch weiterdreht. Ich finde, dass die deutschen Medien in der Pflicht sind und auch anderen Sportarten vermehrt eine faire Chance geben müssen. Zeitschriften wie "Sportsfreund" oder die Online-Plattform Sportradio360, wo tennisnet.com auch regelmäßiger Gast sein darf, sind hier als tolles Beispiel zu nennen. Dass sich der deutsche Sportfan nicht nur für Fußball, sondern auch für die verschiedenen Sportarten interessiert, beweisen die Olympischen Spiele immer wieder. Die Medien sollten darüber hinaus vermehrt berichten, sei es im TV, in den Print- oder Onlinemedien oder im Radio.

Tennisprofi als selbständiger Unternehmer

Die Leistungen, die Sportler in verschiedenen Sportarten vollbringen, sollten zudem mehr honoriert werden. Ich denke dabei vor allem an Einzelsportler wie Timo Boll, die Ruderer und Hockeyspieler. Auch die Leistungen von Tennisspielern kommen mir manchmal etwas zu schlecht weg. Immerhin sind Tennisprofis selbständige Unternehmer, die für ihren Verdienst selbst aufkommen und somit auch das finanzielle Risiko tragen. Wenn Tennisspieler keine Leistung abrufen, wird es irgendwann schwer, die weitere Karriere zu finanzieren, zumal Reisekosten und Ausgaben für Betreuer dennoch gezahlt werden müssen. Anders sieht es natürlich im Mannschaftssport aus, vorwiegend im Fußball, wo man auch bei schlechten Leistungen und im Verletzungsfall weiterhin, manchmal auch sehr fürstlich, entlohnt wird. Die Nummer 100 der Welt im Tennis verdient verglichen mit einem mittelmäßigen Fußballspieler in der Dritten Liga extrem wenig und hat zudem noch Fixkosten, die ein Fußballer nicht hat. Fairerweise muss natürlich auch gesagt werden, dass mittelklassige Tennisprofis im Vergleich zu anderen Sportlern aus Randsportarten exorbitant viel verdienen.

Wir von tennisnet.com verfolgen seit unserem Start im April 2010 das Ziel, dass dieser schöne Sport wieder mehr Aufmerksamkeit bekommt - die Aufmerksamkeit, die er verdient. Wir bemühen uns, das Geschehen im Tennis so interessant und facettenreich wie möglich aufzubereiten. Dazu gehört nicht nur das Geschehen auf dem Platz, sondern auch abseits des Platzes - mit bunten und interessanten Randgeschichten sowie einem Blick in die Tennis-Historie. Denn erst die Leistungen der Spieler aus der Vergangenheit haben Tennis zu dem gemacht, was es heute ist: eine der populärsten Sportarten auf der Welt. Dass das auch in Deutschland wieder der Fall ist, sollte das gemeinsame Ziel von allen Unternehmen und Institutionen sein, die sich mit Tennis beschäftigen: sei es Deutscher Tennis Bund, Fachblätter wie das Tennismagazin oder die gesamte Tennis-Industrie. Ich finde, dass man freundschaftlich und nicht konkurrenzbewusst miteinander umgehen sollte, um den Tennissport wieder dahin zu führen, wo er hingehört: in den Spitzenbereich im deutschen Sport.

von Christian Albrecht Barschel

Donnerstag
21.04.2016, 09:30 Uhr