tennisnet.com Kolumne

Die harten Zeiten stehen erst noch bevor

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 28.06.2014, 10:56 Uhr

In diesem Jahr gab es in Wimbledon leider keine Erfolgsgeschichte für das deutschen Herrentennis zu vermelden. Nach der zweiten Runde geht das prestigeträchtigste Tennisturnier der Welt im Einzel und im Doppel ohne deutsche Beteiligung bei den Männern weiter . Auch 2011 und 1987 war das der Fall. Dabei war Wimbledon in den letzten 30 Jahren meist ein Garant für deutsche Husarenstücke und Märchengeschichten. Boris Becker wurde hier mit 17 Jahren der jüngste Wimbledonsieger aller Zeiten, gewann das Turnier dreimal und stand insgesamt siebenmal im Finale. Michael Stich siegte im Jahr 1991 und ein Jahr später im Doppel an der Seite von John McEnroe . Alex Radulescu (1996) und Alexander Popp (2000 und 2003) spielten sich als völlige Nobodys ins Viertelfinale vor, ebenso wie Nicolas Kiefer (1997) mit 19 Jahren . Für Tommy Haas (2009) und Rainer Schüttler (2009) ging die Reise bis ins Halbfinale. Vor zwei Jahren schafften es mit Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer sogar zwei Deutsche unter die besten Acht.

Doch in diesem Jahr herrschte deutsche Tristesse an der Londoner Church Road. Zugegeben, erwarten konnte man vor Turnierbeginn nicht allzu viel von den deutschen Herren. Mit Tommy Haas (Schulteroperation) und Florian Mayer (Schambeinverletzung) waren zwei Spieler nicht am Start, die in Wimbledon bereits gezeigt haben, was sie auf Rasen drauf haben. Wenn man die Weltrangliste als Grundlage nimmt, ist der Rest der DTB-Cracks innerhalb seiner Möglichkeiten geblieben. Nur Philipp Kohlschreiber tanzte aus der Reihe und wurde seiner Rolle als gesetzter Spieler mit dem Zweitrunden-Aus nicht gerecht. Dennoch ist das Abschneiden ernüchternd und macht kaum Hoffnung für die Zukunft. Dass bei einem Grand-Slam-Turnier immer alles möglich ist und sich plötzlich Türen öffnen, hat die Vergangenheit immer wieder bewiesen. Mit etwas Glück hätte es Grand-Slam-Debütant Tim Pütz in die dritte Runde schaffen können. Doch auch im Sport wird das Geschehen nicht durch den Konjunktiv bestimmt.

Fehlende Wertschätzung und Anerkennung

"Im Herrentennis sehe ich niemanden, der in den nächsten fünf Jahren Wimbledon gewinnt", sagte Michael Stich im Interview mit dem "Tennismagazin". Ein deutscher Wimbledonsieger in naher Zukunft ist utopisch. Darüber braucht man nicht zu diskutieren. Vielmehr sollte man sich in Zukunft freuen, wenn ein deutscher Spieler die zweite Woche bei einem Grand-Slam-Turnier erreicht. Tommy Haas, sollte er tatsächlich noch ein weiteres Comeback schaffen, wird sicherlich nicht mehr allzu lange spielen. Und auch Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer befinden sich eher in den Endzügen ihrer Karriere. Die Generation hinter Kohlschreiber und Mayer macht derzeit kaum Hoffnung darauf, dass Deutschland im Herrentennis in den nächsten Jahren eine tragende Rolle spielen wird.

Wer meinte, dass nach den Karriereenden von Becker und Stich eine harte Zeit für das deutsche Herrentennis kommen würde, sieht sich im Nachhinein mehr als getäuscht. Nach Becker und Stich gab es sofort die Generation Haas, Kiefer und Schüttler. Alle drei schafften es in die Top Ten und spielten sich immer wieder ins Rampenlicht - bei Grand Slams oder anderen Turnieren. Und doch fehlte seitens der Medien und den deutschen Fans oft die nötige Wertschätzung und Anerkennung für die Leistungen, die dieses Trio erbracht hat. Der Schatten und die Erwartungshaltung, die Becker und Stich hinterlassen hatten, waren damals einfach zu groß.

Regel anstatt Ausnahme

Es folgte die Generation Kohlschreiber und Mayer, die ebenfalls nicht an die Erfolge ihrer Vorgänger anknüpfen konnte. Immerhin schafften es die beiden mehrmals in die zweite Woche eines Grand-Slam-Turniers und in die Top 20. Die Aussichten im deutschen Herrentennis für die nächsten paar Jahre sind nicht rosig. Die harten Zeiten stehen erst noch bevor. Ein kollektives Ausscheiden bei den Grand-Slam-Turnieren nach der zweiten Runde, so wie dieses Jahr in Wimbledon, könnte die Regel anstatt die Ausnahme sein. Man muss sich mit kleineren Brötchen zufrieden geben, so schwer das auch fällt. Ein Blick auf die Juniorenkonkurrenz in Wimbledon macht auch wenig Mut. Mit Jan Choinski ist nur ein deutscher Spieler im Wettbewerb vertreten.

Es bleibt die Hoffnung, dass Spieler wie Jan-Lennard Struff , Daniel Brands , Peter Gojowczyk oder Cedrik-Marcel Stebe in den nächsten Jahren leistungsmäßig explodieren. Wenn das nicht passiert, wird die Erwartungshaltung, die an den 17-jährigen Alexander Zverev gerichtet wird und ohnehin schon riesig ist, immer weiter ansteigen. Wie Zverev, ehemalige Nummer eins bei den Junioren, mit diesem Druck und der Rolle des Retters des deutschen Herrentennis umgehen wird, bleibt abzuwarten. Eine gute Karriere bei den Junioren bedeutet nicht zwangsläufig, dass es auch später bei den Profis klappt und man vorne mitspielt. Im Fall von Zverev ist es dem deutschen Herrentennis zu wünschen, dass er den Übergang zu den Profis erfolgreich meistert - damit die schwarz-rot-goldene Fahne bei den Grand Slams auch noch in der zweiten Turnierwoche weht.

von Christian Albrecht Barschel

Samstag
28.06.2014, 10:56 Uhr