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Dolgopolov: „Mein Leben als Tennisprofi war eine völlig andere Existenz“

Noch immer kämpft der ehemalige Tennisprofi Alexandr Dolgopolov für seine ukrainische Heimat an vorderster Front gegen die russischen Invasoren. In einem Interview mit Mike Dickens gab der 35-jährige in der „Daily Mail“ tiefe Einblicke in seine Erlebnisse der vergangenen Monate.

von Dietmar Kaspar
zuletzt bearbeitet: 08.12.2023, 13:40 Uhr

Tennis spielt aktuell im Leben von Alexandr Dolgopolov nur eine untergeordnete Rolle.
© Getty Images
Tennis spielt aktuell im Leben von Alexandr Dolgopolov nur eine untergeordnete Rolle.

Aufgrund seines unorthodoxen Spielstils durfte man den ehemaligen Tennisprofi Alexandr Dolgopolov in die Sparte der Künstler auf der Tour einordnen. Mit seinen raffinierten Winkel-Schlägen und Slice-Varianten entnervte die ehemalige Nr. 13 der Welt zahlreiche Kollegen, so auch einmal Rafael Nadal, den er 2015 beim Turnier in Queens besiegen konnte. Im April 2021 gab der gebürtige Kiewer sein Karriereende bekannt und stellte sich nach dem russischen Einmarsch wie sein Kollege Sergej Stachowski ohne Wenn und Aber in den Dienst seines Vaterlandes, um dieses an vorderster Front zu verteidigen.

Drohne als aktuelles Arbeitsgerät

War es in seiner aktiven Zeit auf dem Court das Tennisracket, mit dem er gekonnt zu Werke ging, ist aktuell das Handling eines Fluggeräts sein Arbeitsalltag. An der Front hat sich der ehemalige Viertelfinalist der Australian Open zu einem erfahrenen Drohnenbediener entwickelt, dessen Aufgabe es ist, direkt hinter den vorderen Positionen zu sitzen und bei der Steuerung von Angriffen zu helfen: „Sie sehen das Video und können genauer arbeiten. Wenn unsere Jungs Druck machen, kontrollieren wir das aus der Luft. Sie erfahren, welche Waffen der Feind hat, wie sie klingen und wo er sie sehen kann. Wenn sie fahren, müssen sie wissen, wo der Feind Sichtkontakt zu ihrem Auto haben kann, was gefährlich ist.“

Zudem berichtete Dolgopolov, dass er in den zahlreichen Stunden im Schützengraben in der Region Saporischschja viel über die Flugbahnen von 120-Millimeter-Geschossen gelernt hat. Dabei spricht er sachlich über ihre Abflüge und Ankunft, als würde er die Geschehnisse an einem zivilen Flughafen beschreiben: „Man sitzt da und fängt schon nach ein paar Runden an, die Reihenfolge zu verstehen. Man spürt wirklich, wie sie durch den Körper gehen, wenn sie landen. Nach dem Austritt wissen sie, dass die Granate etwa 20 Sekunden lang auf sie zufliegt. Sie hören also den Ausgang und warten auf die Ankunft. Da sitzen dir interessante Gedanken im Kopf herum und du kannst nichts dagegen tun.“

Entsetzen über russisches Einladungsturnier

Die Geschehnisse auf der Tour kann der dreifache ATP-Titelträger nur am Rande verfolgen: „Ich sehe einige Ergebnisse, weil ich auf Twitter (X) bin, aber ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal ein Spiel live gesehen habe. Es scheint ein anderes Leben zu sein.“ Geschockt zeigte er sich, als er von der Teilnahme von Spielern wie Roberto Bautista Agut und Adrian Mannarino beim Einladungs-Turnier im russischen St. Petersburg hörte: „Das ist eine Schande, vor allem von den europäischen Spielern. Ich weiß nicht, was sie denken, sie bekommen nur das Schwarzgeld. Die Russen bedrohen Europa täglich mit nuklearen Angriffen und Energieerpressungen, und sie entscheiden sich immer noch dafür, dorthin zu gehen und etwas Geld zu verdienen.“

Seine eigene Zukunft sieht Dolgopolov ungewisser denn je: „Alle Projekte für die Zukunft müssen auf Eis gelegt werden. Ich plane einen Tag, zwei Tage, drei Tage, was auch immer. Etwas anderes kann man auch nicht tun, wenn man sich in einem Krieg befindet ohne zu wissen, wie lange man darin verstrickt sein wird.“

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von Dietmar Kaspar

Freitag
08.12.2023, 13:45 Uhr
zuletzt bearbeitet: 08.12.2023, 13:40 Uhr