Fischs Erfolgscoach Joachim Kretz

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 25.06.2010, 07:32 Uhr

Martin Fischer galt als theoretisch hoffnungsvoller Spieler mit praktisch bescheidenem Entwicklungsfortschritt und der Aussicht, sein Profidasein im wenig ertragreichen Biotop der Plätze 200, 300 oder 400 zu fristen. Das änderte sich in den vergangenen Wochen rapide. Der 23-jährige Vorarlberger qualifizierte sich in Paris erstmals für ein Grand Slam-Turnier, gewann in Wimbledon erstmals eine Runde in einem Grand Slam-Hauptbewerb. Und ist plötzlich so weit, dass er sich schrecklich ärgert, wenn er die Nummer 24 der Welt von der Schaufel lässt: Fischer führte in der zweiten Wimbledon-Runde gegen Thomaz Bellucci aus Brasilien mit 7:6 und 5:3, lag auch im dritten mit Break vor. Und verlor das Match – noch.

Fischers wundersame Wandlung hängt mit einem Namen zusammen: Joachim Kretz. Der 39-jährige Deutsche, der in der Schweiz eine Tennis-Akademie betreibt und seit September in Vorarlberg mit Fischer und dessen Freund Philipp Oswald arbeitet, erklärte tennisnet.com die Gründe für den tollen Aufstieg Fischers – und wohin die Reise gehen soll.


Herr Kretz, zunächst Gratulation zur Leistung von Martin gegen Bellucci. Aber wieso hat er den Sack dann doch nicht zugemacht? Ein Super-Tiebreak im ersten gewonnen, 5:3 im zweiten geführt … alles hat nach der Sensation ausgesehen. Was ist dann passiert?


Partien zuzumachen, das geht eben ab einem gewissen Niveau nur dann, wenn man's aktiv macht, wenn man selbst die Initiative übernimmt. Martin hat früher in wichtigen Situationen dem Gegner die Verantwortung übergeben. Er hat's zwar mittlerweile gut im Griff, aktiv zu bleiben und seinen Stärken auch in heiklen Situationen zu vertrauen. Aber dass das noch nicht jedes Mal klappen kann, das ist klar. Und heute hat's eben nicht geklappt.

Unterschied zwischen erster und zweiter Runde bei einem Grand Slam sind 45 ATP-Punkte … soviel wie ein Challenger-Finale, das sind gleich einmal 20, 25 Plätze. Und zwischen dem Preisgeld der ersten und der zweiten Runde liegen schlappe 12.500 Pfund, über 15.000 Euro. Sie gehen ziemlich cool damit um …


Das hat mit cool oder uncool nichts zu tun. Das ist eine Frage der Analyse, was gut und was nicht gut war. Dann muss man sehen, woran man arbeiten muss, und dann muss man daran konsequent arbeiten. So machen wir das seit September.

Was haben Sie denn im September des Vorjahres als erstes angepackt?

Klar war, dass Martin eine sehr starke Rückhand hat, das wusste jeder auf der Tour. Aber klar war auch, dass, Aufschlag, Vorhand und Beinarbeit zwar reichen, wenn man die Top 200 als Ziel hat, aber darüber hinaus nicht. Also sind wir diese Dinge angegangen.

Nur kurz eingeworfen: Martin war vorher im nationalen Leistungszentrum des ÖTV, wurde dort jahrelang betreut. Und dann übernehmen Sie einen 23-Jährigen, der allein aufgrund seiner Technik auf Platz 200 limitiert ist?

So kann man das nicht sagen.

Wie kann man's denn sagen?

Ich will nicht über die Arbeit anderer Trainer reden. Es ist doch klar, dass jeder Trainer andere Schwerpunkte setzt. Für den einen Spieler passt dies besser, für den anderen jenes. Das muss man individuell sehen.

Aber technische Mängel sind nichts, was man als individuelle Stärke sehen würde.

Fakt ist, wir haben an der Technik seiner Beinarbeit, an der Technik seines Aufschlags und an der Technik seiner Vorhand gearbeitet. Und Martin ist jetzt zum Glück in der Lage, zu einem Ball nicht nur schnell, sondern auch richtig hinzulaufen – nämlich so, dass er den Ball auch in schwierigen Situationen kontrolliert zurück spielen kann. Jetzt kann er mit dem ersten und dem zweiten Aufschlag Druck machen. Und er kann die Vorhand sicher und schnell dorthin spielen, wo er sie hin spielen möchte, auch unter Druck.

Jede technische Umstellung bringt zu Beginn Verunsicherung – ein Schützling wird in der Regel zunächst schlechter statt besser …

… oh, da waren einige Erstrundenniederlagen dabei …

Martin hat nie gezweifelt, ob dieser relativ radikale Schritt der richtige ist? Mit 23 so stark in die Technik einzugreifen, das muss ja nicht unbedingt gut gehen.

Wir haben zu Beginn drüber geredet, welche Ziele er hat. Und was notwendig ist, sie zu erreichen. Darauf haben wir uns dann geeinigt. Aber es reicht ja nicht, nur zu reden. Man muss Dinge auch tun. Zum Beispiel hat man jahrelang gehört, Martin ist zu leicht, es fehlt ihm an Kraft. Man muss die Arbeit erkennen, man muss die Arbeit machen – und heute hat Martin sechs, sieben Kilo mehr Muskelmasse als vor einem dreiviertel Jahr.

Martin selbst hat gesagt, dass es für ihn auch ein Schritt in die Selbstständigkeit war, den ÖTV zu verlassen. Ist es für ihn nun nicht schwieriger, in einem privaten Umfeld, wo man mehr auf sich allein gestellt ist?

Was das Umfeld betrifft, haben wir in Dornbirn mit dem Sportservice Vorarlberg einen super Partner, dem Olympiastützpunkt des Landes Vorarlberg. Die Infrastruktur dort ist perfekt, wir haben bis hin zum Physiotherapeut dort alles an einem Ort.

Ihr anderer Schützling, Philipp Oswald, entwickelt sich nicht so gut wie Martin. Woran liegt das?

Er entwickelt sich nicht weniger gut, das stimmt nicht. Er ist in einer anderen Phase, er ist ein, eineinhalb Jahre dahinter. Philipp muss jetzt erstmals Punkte auf Challenger-Niveau verteidigen. Das ist neu für ihn, das ist alles andere als leicht. Aber da muss er sich durchbeißen. Er muss solider werden, in jeder Hinsicht.

Solider wurde Martin vor allem auf Sand – seinem davor mit Abstand schwächsten Belag. Dass Sie ihn so lange auf Sandplatzturniere geschickt haben, hat viele verwundert.

Das war in der Phase der technischen Umstellungen logisch. Sand ist langsamer, Martin hatte daher mehr Zeit, konnte die neuen Schläge unter geringerem Druck im Match erproben. Das hat sehr gut funktioniert. Es war kein Zufall, dass Martin ausgerechnet in Paris erstmals die Qualifikation für einen Grand Slam geschafft hat. Und er wird nach Wimbledon auch wieder auf Sand gehen, zwei Challenger spielen.

Wie geht’s denn jetzt abgesehen vom Turnierplan weiter? Die nächsten Ziele?

Wir haben uns vorgenommen, dass Martin bis Jahresende um Platz 120 steht, vielleicht an den Top 100. Sieht nicht so schlecht aus, dass wir dieses Ziel erreichen.

Martin ist jetzt Nummer 164, wird nach Wimbledon zwischen 140 und 150 stehen. Das sieht alles andere als schlecht aus mit dem Erreichen des Jahresziels … wo liegen langfristig die Möglichkeiten?

Da spielen so viele Faktoren eine Rolle, das kann man nicht vorher sagen.

Kann man Martin vom Potenzial her mit Ihrem früheren Schützling Nicolas Kiefer vergleichen? Kiefer war einmal Nummer vier der Welt.


Man sollte Spieler nicht miteinander vergleichen. Jeder Spieler ist anders. Aber wenn Sie nach dem Potenzial fragen: Martin hat hier gegen die Nummer 24 als ziemlicher Neuling auf diesem Niveau drei Sätze lang mehr als ebenbürtig gespielt. Also kann er logischerweise auch dorthin kommen – Betonung auf „kann“.

von tennisnet.com

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25.06.2010, 07:32 Uhr