tennisnet.com Kolumne

Olympia und das, was in Erinnerung bleibt

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 02.08.2016, 14:46 Uhr

RIO DE JANEIRO, BRAZIL - JUNE 8: In this handout provided by Jogos Rio 2016, the front of the gold, silver and bronze medals for the 2016 Summer Olympics are shown June 8, 2016 in Rio de Janeiro, Brazil. (Photo by Alex Ferro/Jogos Rio 2016 via Gett...

Nur noch wenige Stunden bis zum Beginn des olympischen Tennisturniers in Rio de Janeiro. Der Blick auf die Absagenliste gleicht leider einem Trauerspiel. Während bei den Damen recht wenige Spielerinnen passen mussten, darunter die verletzten Dominika Cibulkova und Belinda Bencic sowie die schwangere Victoria Azarenka, ist die Ausfallliste bei den Herren extrem lang. Wobei man dabei unterscheiden muss zwischen Spielern, die unbedingt zu Olympia wollten, aber nicht können, darunter Roger Federer , Philipp Petzschner und zuletzt auch Stan Wawrinka, und Spielern, die schlichtweg keine Lust auf Olympia haben, darunter Dominic Thiem, John Isner und Bernard Tomic. Das Gute daran: Die betreffenden Spieler geben zumindest anderen Kollegen, die unbedingt zu Olympia wollen, die Chance auf die Teilnahme. Ein fader Beigeschmack bleibt trotzdem. Dass parallel zu Olympia ein ATP-Turnier in Los Cabos ausgetragen wird, kann man auch anprangern. Glücklicherweise gibt es auf der WTA-Tour während Olympia kein Turnier, sonst hätte es wohl auch hier mehr Absagen gegeben.

Der Zika-Virus in Brasilien war und ist in den letzten Monaten ein großes Thema gewesen. Tomas Berdych, Milos Raonic, Simona Halep, Karolina Pliskova und auch indirekt die Bryan-Brüder erklärten ihren Verzicht auf Olympia in Rio de Janeiro wegen des Zika-Virus. Auffallend ist jedoch, dass es nahezu nur in den Sportarten Tennis und Golf, wo es zahlreiche Preisgeldmillionäre gibt, Absagen wegen des Zika-Virus gegeben hat. In den Kernsportarten Leichtathletik und Schwimmen sowie in zahlreichen anderen Sportarten sucht man prominente Absagen vergebens. Auch viele bekannte Fußballspieler werden in Rio de Janeiro dabei sein, wobei man hier noch erwähnen sollte, dass die Spieler durch Olympia sowieso keinen Verdienstausfall haben, da sie weiterhin vom Verein bezahlt werden. Der Verzicht von Golfer Rory McIlroy, der erklärte, dass Olympia für ihn belanglos sei, führte dazu, dass der deutsche Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste den Nordiren als "Idioten" deklarierte. "Du bist kein Sportler. Kein echter. Du bist Geschäftsmann", schrieb Fürste auf Facebook in Richtung McIlroy. Harte Worte, die vielleicht etwas überzogen sind.

Keine Weltranglistenpunke - gut so!

Gehört Tennis überhaupt zu Olympia, wurde im Vorfeld oft gefragt. Selbstverständlich! Welche Bedeutung Tennis hat, sieht man schon daran, dass es zahlreiche Spieler und Spielerinnen gab, die als Fahnenträger auserkoren wurden. Das fehlende Preisgeld ist kein Indiz für die vielen Absagen, Preisgeld gab es bei Olympia ohnehin noch nie. In Peking und in London war bei den Herren auch die komplette Weltelite am Start. Was aber diesmal neu ist: Es gibt keine Weltranglistenpunkte bei Olympia. Das monierte unter anderem auch Dominic Thiem. Dennoch war es der einzig logische Schritt, auf Weltranglistenpunkte zu verzichten. Denn Olympia ist ein Sonderfall. Denn viele Spieler müssten bei den geltenden Regularien auf einen Start verzichten, obwohl sie für jedes andere Turnier qualifiziert wären. Sie wären der Chance beraubt worden, Weltranglistenpunkte zu sammeln. 2012 gab es übrigens für Andy Murray 750 Punkte für den Olympiasieg.

Die Regularien sehen vor, dass im Einzel nur vier Spieler pro Land für den Wettbewerb zugelassen sind. Es kann also der Fall eintreten, der zugegeben sehr unwahrscheinlich ist, dass ein Spanier, der Weltranglisten-Fünfter ist, auf Olympia verzichten muss, weil die vier Spieler, die vor ihm in der Rangliste stehen, ebenfalls Spanier sind. In diesem Jahr traf es Benoit Paire, der beim Stichtag als Nummer 24 im ATP-Ranking und fünftbester Franzose zunächst nicht qualifiziert war. Eine Ranglistenposition, die normalerweise zu Teilnahme bei jedem Turnier ermächtigt. Nun ist Paire nach der Verletzung von Richard Gasquet aber trotzdem dabei. Viele Tennisspieler unterschätzen anscheinend die Strahlkraft von Olympischen Spielen. Olympia bietet den Sportlern die riesengroße Chance, auf einen Schlag weltberühmt zu werden und etwas Historisches zu leisten, wovon man sein gesamtes Sportlerleben zehren und auch seinen Marktwert definieren kann. Eine gewonnene Medaille bleibt ewig in Erinnerung, eine Finalteilnahme beim ATP-Turnier in Los Cabos bestimmt nicht.

Wenn man durch Olympia zum Nationalhelden wird

Olympia kann das Leben eines jeden Sportlers nachhaltig verändern. Diese Chance sollte man unbedingt nutzen, auch wenn man selbst seine Aussicht auf Edelmetall als gering einschätzt. Wunder gibt es immer wieder, das hat auch die olympische Tennishistorie oft genug bewiesen. Im Tennis ist unter anderem das Beispiel Nicolas Massu zu nennen, der 2004 in Athen sensationell Gold im Einzel und Doppel gewann und nun ein Nationalheld in Chile ist. Unglaublich, aber wahr: Leander Paes gewann Edelmetall, aber nicht wie vermutet im Doppel. 1996 in Atlanta holte sich der Inder sensationell Bronze im Einzel, als Nummer 126 der Welt. Im Tennis gibt es nun sogar für einige Spieler drei Chancen auf eine Medaille, drei Chancen auf großen Ruhm. Natürlich ist es jedem selbst überlassen, was für ihn das Beste ist. Berdych, der wahrscheinlich nie ein Grand-Slam-Turnier gewinnen wird, hätte an der Seite von Radek Stepanek gute Chancen auf die Goldmedaille im Doppel gehabt. Immerhin hat sich Berdych in Tschechien bereits mit dem zweimaligen Gewinn des Davis Cups unsterblich gemacht. Apropos Davis Cup: Die Deutschen Carl-Uwe Steeb und Patrik Kühnen wären in Deutschland sicherlich nicht so bekannt, wenn sie den Davis Cup nicht gewonnen hätten. Denn im kollektiven Gedächtnis sind die beiden nicht haften geblieben wegen einer durchschlagenden Einzelkarriere, sondern durch die Erfolge im Davis Cup. Kühnen war sogar bei allen drei Titeln dabei.

Auch wenn einige prominente Spieler bei Olympia fehlen werden, besonders die Absage von Federer ist schmerzhaft, darf man sich mich auf eine tolle Turnierwoche mit historischen Momenten freuen. Es ist jedenfalls schön zu sehen, dass die Vorfreude auf Olympia bei vielen Spielern trotzdem sehr groß ist und dass die meisten sich der Außenwirkung und Bedeutung von Olympischen Spielen bewusst sind. Da verzichtet man doch gerne auf Preisgeld und Weltranglistenpunkte und nimmt Strapazen in Kauf. Die Spieler sollten vielmehr darüber nachdenken, was sie langfristig durch Olympia, aber auch durch den Davis Cup, gewinnen können, anstatt sich an den kurzfristigen Auswirkungen zu stören.

von Christian Albrecht Barschel

Dienstag
02.08.2016, 14:46 Uhr