tennisnet.com Kolumne

Die große Hysterie und das Tennis-Beben, das gar keins ist

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 20.01.2016, 01:30 Uhr

Kurz vor Beginn der Australian Open ließen die BBC und das US-Medium BuzzFeed die Bombe platzen und berichteten von umfassenden Spielmanipulationen im Tennis. Die Hysterie nach der Veröffentlichung war riesengroß. So berichtete "bild.de" umfassend von einem Tennis-Beben. Tennis auf der Titelseite - das hatte es lange nicht mehr gegeben. Auch alle anderen Medien, sei es aus Deutschland, Österreich oder international, stürzten sich auf das Thema. Doch ist diese umfassende Berichterstattung gerechtfertigt? Keineswegs, sie ist völlig übertrieben! Hier von einem Tennis-Beben zu sprechen, das den "weißen Sport" erschüttert, geht völlig an der Realität vorbei. Der Großteil der Journalisten vor Ort in Melbourne hatte für die sogenannten Enthüllungen der BBC und BuzzFeed nur ein müdes Lächeln übrig. Für den Tennis-Laien mag das zwar eine große Geschichte sein, für den Experten bot der Bericht aber keine neuen Erkenntnisse. Es sind Anschuldigungen und Vermutungen, die seit Jahren im Raum stehen und bislang nicht bewiesen wurden. So ist derzeit die Faktenlage.

Dennoch war der Pressekonferenz-Raum rappelvoll, als unter anderen ATP-Präsident Chris Kermode zum Bericht Stellung nahm. Kurz und knapp dementierte Kermode, dass die Verantwortlichen Informationen über vermeintliche Absprachen von Tennisspielen zurückhalten würden. Es gebe eine "Null-Toleranz-Politik" im Bezug auf Manipulationen, sagte der Brite. Dass die Berichte der BBC und BuzzFeed ausgerechnet wenige Stunden vor Spielbeginn bei den Australian Open veröffentlicht wurden, hat einen Beigeschmack. Es lässt erahnen, dass man sich dieses Veröffentlichungsdatum absichtlich ausgesucht hat, um so viel Aufmerksamkeit wie möglich zu schaffen. Vor einem Monat im Dezember, wo im Tennis generell spielfrei ist, hätte der Bericht sicherlich nicht so hohe Wellen geschlagen. Willkommen in der Medienlandschaft!

Das ominöse Davydenko-Match

Die BBC und BuzzFeed berichten, dass 16 Spieler aus den Top 50 in den vergangenen zehn Jahren in Spielabsprachen verwickelt gewesen sein sollen, darunter Matches in Wimbledon. Unter den Beschuldigten sollen auch Grand-Slam-Sieger sein. Man habe geheime Dokumente, wolle aber keine Namen nennen, da es keinen Zugang zu Telefon, Bank- und Computerdaten gebe. Als Beispiel wird stets die Partie zwischen dem Russen Nikolay Davydenko und dem Argentinier Martin Vassallo Arguello beim ATP-Turnier im polnischen Sopot im Jahr 2007 angeführt, in der es Wetteinsätze von knapp sieben Millionen US-Dollar gab. Die Ermittlungen dazu wurden eingestellt.

Die BBC berichtete am Dienstagabend deutscher Zeit im Radio in einer Sondersendung über ihre Recherchen im Bezug auf die Spielmanipulation (hier zum Nachhören!). Neue Erkenntnisse: So gut wie keine! So kam der wegen angeblichen Spielmanipulationen lebenslang gesperrte Daniel Köllerer zu Wort. Der Österreicher erzählte, dass ihm dreimal Geld angeboten wurde, um ein Match absichtlich zu verlieren (50.000 US-Dollar im Jahr 2009 in Chennai gegen Nikolay Davydenko, 100.000 US-Dollar im Jahr 2009 bei den French Open gegen Nicolas Massu, 50.000 US-Dollar im Jahr 2009 in Moskau gegen Janko Tipsarevic ). Köllerer lehnte laut eigenen Angaben ab. Was auffällt: Es sind Partien, in denen Köllerer Außenseiter war und im Normalfall wohl sowieso verloren hätte. Gute Wettquoten hätte es bei einer Niederlage von Köllerer sowieso nicht gegeben.

Bis zum Rufmord ist es nicht mehr weit

Was jetzt passieren muss? Es müssen nun endlich Namen und Beweise auf den Tisch! Die BBC sollte als seriöses Medium ihre Behauptungen untermauern, sonst wäre das ganze nur Effekthascherei. "Ich würde gerne die Namen wissen. War es ein Spieler oder seine Entourage? Wann? Ein Einzel- oder Doppelspieler? In welchem Grand Slam? Dann hätten wir wenigstens etwas Konkretes und könnten das Thema vernünftig diskutieren", sagte Roger Federer, der vor zu großer Hysterie warnte, aber die Verantwortlichen auch aufforderte, die Berichte "ernst zu nehmen". Es wurden in den Berichten zwar keine Namen genannt, indirekt aber schon. Wenn von einem Grand-Slam-Sieger die Rede ist, sei es nun Einzel, Doppel oder Mixed, kommen nicht allzu viele Spieler in Frage. Wer sich im Tennis auskennt und die früheren Berichte zu Spielmanipulationen liest, kann sich selbst einen Reim darauf machen, welche Spieler gemeint sein könnten. Bis zum Rufmord ist es dann auch nicht mehr weit. Vor allem, wenn eine "Schwarze Liste" sowie eine "Warnungsliste" im Umlauf ist, die nun von der Schwedischen Zeitung "Svenska Dagbladet" wieder in Umlauf gebracht wurde .

Das sogenannte Tennis-Beben nun womöglich mit den großen Dopingskandalen im Radsport bei der Tour de France 1998 und 2006 auf eine Stufe zu stellen und viele Tennisspieler als korrupt und Betrüger darzustellen, ist völlig übertrieben. Aber machen wir uns nichts vor. Betrug wird es auf der Welt immer geben, damals, heute und auch in der Zukunft. Es macht auch vor dem Tennissport nicht halt. Sollte dieses Problem gelöst werden, indem man vielleicht Wetten auf kleinen Turnieren unterbindet oder den Spielern aus der zweiten Reihe mehr Preisgeld zahlt, wird in absehbarer Zeit ein neues Problem auftauchen, für das eine Lösung her muss. Das ist der Kreislauf des Lebens. Wir leben in einer Welt der Polarität: Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Oben und Unten, Links und Rechts. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Sollte es handfeste Beweise für Spielmanipulationen geben, müssen im besten Fall lebenslange Sperren her, um ein abschreckendes Signal zu senden. So wie es bei einigen Spielern, größtenteils in unteren Ranglisten-Regionen, bereits passiert ist. Was man jetzt aber nicht machen sollte: in übertriebene Hysterie verfallen. Ein bisschen Sachlichkeit sowie Nüchternheit wäre nun mehr als angebracht.

von Christian Albrecht Barschel

Mittwoch
20.01.2016, 01:30 Uhr