„Die Südstadt hätte ich schon vor zehn Jahren zugesperrt“
Thomas Muster über den Hype um Dominic Thiem, das heutige Tennis, den ÖTV, facebook und Twitter und vieles mehr.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
09.05.2014, 14:27 Uhr

Thomas Muster gewann in seiner Tennis-Karriere 44 Turniere, darunter die French Open 1995. Im Februar 1996 war er die Nummer 1 der Welt - seit 2012 fungiert der 47-jährige Steirer als Turnierbotschafter für die Erste Bank Open in der Wiener Stadthalle. Das traditionsreiche Tennisturnier steigt heuer vom 11. bis 19. Oktober - und das bereits zum 40. Mal!
Neben den heimischen Stars wieDominic ThiemundJürgen Melzersollen auch internationale Top-Stars aufschlagen. MitJo-Wilfried Tsonga, der Franzose war Wien-Sieger 2011 und im Vorjahr im Halbfinale, ist Turnierdirektor Herwig Straka ebenso in Gesprächen und Verhandlungen wie mit den „Big Four" -Roger Federer,Rafael Nadal,Novak DjokovicundAndy Murray. „Die Bereitschaft von ihnen ist deutlich höher als letztes Jahr", hofft Straka auf den großen Coup.
Und Muster machte sich auch seine Gedanken - über den Hype um Thiem, den ÖTV, das Punktesystem und das heutige Tennis.
Thomas Muster über...
...Dominic Thiem:Der Hype ist übertrieben. Er ist noch nicht in ein Viertelfinale bei einem ATP-Masters-1000-Turnier gekommen und hat gerade einmal die Quali-Hürden geschafft. Er wird jetzt dann in der Weltrangliste so um Platz 60 platziert sein - da fehlen dann noch über 12.000 Punkte zur Nummer 1. Das sind einmal die nackten Zahlen.
Er ist nicht der Erste, der die Hürde Challenger schnell überwindet und schnell nach oben kommt. Heuer geht alles nach oben, das ist klar - die Punkte, die er zu verteidigen hat, sind minimal und er hat die Klasse, dass er jederzeit bei kleinen Turnieren ein Viertelfinale bzw. bei den großen Turnieren mitspielen kann. Das ist auch gut. Ein Bild über das Ganze kann man sich erst Ende nächsten Jahres machen - da sieht man den diesjährigen Erfolg und dann die Verteidigung dieses Erfolges. Wo die Reise wirklich hingeht, sieht man in den nächsten zwei, drei Jahren. Die Marschrichtung passt aber.
Das Problem, das wir haben, ist, dass, wir gleich einmal den Boden unter den Füßen verlieren und es dem Spieler schwer machen. Mir ist lieber, es sagt jeder: „Aus dem wird nix" und er wird die Nummer 1, als wenn man ihn jetzt hochleben lässt und in fünf Jahren dann sagt: „Typisch Österreich, eh klar." Bei mir war es so: Laut dem früheren ORF-Kommentator Franz Krynedl hätt ich nie Tennisspieler werden dürfen, weil ich keine richtigen „Wadln" gehabt habe.
...Thiems Stärken und Schwächen:Er hat ein gutes Umfeld, eine gute Veranlagung und ist vom Kopf her gut. Er ist seriös in dem, was er macht. Sein Potenzial sind noch seine Schwächen.Michael Changwar mit 20 ein fertiger Spieler, der hat sich nie weiter entwickelt. Bei ihm sehe ich viel Potenzial, in jeglicher Hinsicht, und wenn er das verbessert, wird er ein super Spieler werden. Ich sehe ihn in der Entwicklung mitKei Nishikori, der alle Stufen der Entwicklung kontinuierlich durchgemacht hat.
...seinen Tipp für Thiem:Ich kann nur sagen: Viel im Ausland spielen, wenig in Österreich sein, ab und zu her kommen zum Bussi, Bussi geben und „Hallo" sagen und wenig Schulterklopfer - und dann wieder weg.
...den Vergleich zu seinem Aufstieg:Bei mir war es nicht so extrem, ich war ein bissl älter als er in meiner Entwicklung, bei mir ist es nicht so schnell gegangen. Ich habe mich auch Jahr für Jahr verbessern müssen und lernen müssen. Ich weiß nicht, welcher Typ Dominic ist, aber für mich waren die Matches zu Hause beim Davis Cup oder die zwei Turniere in Wien und Kitzbühel jedes Mal eine psychische Extrembelastung: Jeder kennt dich, jeder redet dich an, jeder will mit dir über irgendwas reden - aber die Energie hast du nicht, du musst dich auf deinen Job konzentrieren. Ich habe mich in Kitz beim Hinterseer versteckt, ich konnte nicht raus. Klingt brutal, aber es ist so.
...Jürgen Melzer:Er soll spielen, solange er Geld damit verdient und es ihm Spaß macht. Es kommt halt bald der Druck, Punkte zu verteidigen. Aber ein gutes Turnier und es sieht wieder anders aus. Ich hoffe, er schafft es nach seiner Schulterverletzung wieder erfolgreich zu spielen. Bei Tommy Haas hat man auch gesehen, dass es geht. Ich glaube aber nicht mehr, dass er in die Top 20 kommt, aber ich lasse mich überraschen.
...die Leistungen des ÖTV:Die Südstadt hätte ich schon vor zehn Jahren zugesperrt, die gibt es ja nur noch, weil es eine Förderung gibt. Gäbe es die Südstadt nicht, gäbe es kein Geld vom Bund - und dann gäbe es noch weniger. Das ist doch nur noch ein Kasperltheater. Ich wiederhole mich gerne immer wieder: Der Skiverband ist der einzige Verband in Österreich, wo du einen jungen Sportler an die Weltspitze bringen kannst - aber es ist ein Fünf-Nationen-Sport. Wir haben die Berge, die Ski-Industrie, den Tourismus und die meisten Sponsorgelder. Hätte der Skiverband aber jemals Berge erfinden müssen, hätten wir jetzt drei Maulwurfshügel. Stichwort Sportstättenbau in Österreich.
Jetzt kommen wir zu einer Weltsportart namens Tennis, und da glaubt der Verband, er kann einen Schüler mit zwölf, 13 Jahren übernehmen und glaubt, er kann einen Weltklasse-Sportler aus dem machen. Nein. Der Verband hat die Aufgabe des Breitensports, dass viele Kinder und Leute im Tennisklub spielen und eine Freude daran haben. Wenn sie dann 15 sind, nimmt sich jeder einen eigenen Coach und wird überall hinfahren und spielen - nur nicht in Österreich, denn hier gibt es ja keine Turniere, und die besseren Trainingspartner werden auch im Ausland sein. Zurück zum Thema Skifahren: Wir haben die Berge, also kommen alle zu uns.
...facebook und Twitter in der Tenniswelt:Ich war froh, dass ich nach dem Match duschen konnte und mich keiner angeredet hat. Das Letzte, was mir eingefallen wäre, dass ich fünf Minuten nach einem Match irgendwem schreib, wie mich grad fühle, und das auch noch auf Twitter. Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Ich hätte Fotos vom Erbrechen schicken können.(lacht)
...das heutige Tennis:Die heutigen Spieler spielen zwar schneller, aber heute ist alles langsamer. Bälle und Plätze sind langsamer als vor zehn, 20 Jahren. Nur: Wenn etwas langsamer auf mich zukommt, kommt der Spieler viel weiter wohin und kann viel mehr Bälle zurückbringen als damals. Und weil alles langsamer ist, stirbt auch das Volleyspiel aus - wenn man heute ans Netz kommt, ist man nur noch Opfer. Das aber auf jedem Belag, sogar in Wimbledon. Das ist ja nicht, weil alle jetzt super Passierschläge haben, sondern weil alles so langsam ist. Würde mit Bällen aus den 90er-Jahren gespielt werden, würden die aufgrund der heutigen Schläger und Bespannungen und weil sehr gerade gespielt wird, zig Meter ins Out gehen.
Würde heute noch auf den schnellen Hardcourts und auf schnellen Supreme-Belägen gespielt werden, wäre ein Rafael Nadal sicher nicht in den Top Drei. Würde man das alles wieder ändern, gäbe es wieder die Sandplatz-Spezialisten, die Hallen-Spezialisten, usw. - und dann gäbe es wieder variantenreiches Tennis. Man hätte damals nur die Beläge ändern müssen, aber die Bälle belassen, dann gäbe es heute weiter gemischtes Tennis und keinen Einheitsbrei.Sampras,Agassi,Courier,Becker, usw. - früher gab es 20 Spieler, wo jeder jeden schlagen konnte und wo das Tennis in den Top 20 qualitativ wesentlich höher war als jetzt. Heute? Gibt's Federer, Djokovic, Nadal, und den Rest kannst du austauschen.
...das Punktesystem:Das heutige Punktesystem ist eine Arbeitsplatz-Sicherung - ein geschützter Arbeitsplatz und viel Geld. Wenn du bei einem ATP-Masters-1000-Turnier und bei einem Grand-Slam-Turnier je ein Viertelfinale spielst, kannst aus den Top 100 ja schon gar nicht mehr rausfallen. Früher gab es sogar das Average-System: Die Punkte sind durch die Turniere dividiert worden - hast da einen Einser stehen gehabt, sprich eine Erstrunden-Niederlage, war das dein Tod! Da war Druck da, dass man in der ersten Runde nicht verliert. Heute bekommst du auf der ATP-Ebene so viele Punkte, dass du auf Challenger-Ebene fast nie den Sprung rauf schaffst.
...Rafael Nadal:Ich sehe keinen anderen Favoriten auf die French Open als Nadal. Es drängt sich jetzt keiner auf.
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