Alexander Zverev - das Weiter-So-Prinzip und seine Folgen

Zwei Matches, zwei Niederlagen - so die bisherige Bilanz von Alexander Zverev beim ATP Cup in Brisbane. Eine Folge auch der Promotion-Tour mit Roger Federer und der dadurch verkürzten Saison-Vorbereitung.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 06.01.2020, 12:03 Uhr

Alexander Zverev kommt 2020 früh ins Hadern
© Getty Images
Alexander Zverev kommt 2020 früh ins Hadern

Wenigstens in den unendlichen Weiten des Internets war er ein echter Hit, ein Spitzenreiter. Wohin man auch in den letzten Tagen auf Twitter, Facebook oder Instagram blickte, Alexander Zverev war stets schon da mit seinen teils gespenstischen Einlagen aus dem Tennisstadion von Brisbane. Es war ein trauriges Spektakel, das die Netz-Voyeure da während des neugeschaffenen ATP Cups bestaunen konnten: Zverev beim furienhaften Zerhacken eines Schlägers, umrahmt von den entgeisterten Teambetreuern Boris Becker und Michael Kohlmann. Zverev in wütenden Selbstgesprächen bei einer wahren Orgie von Doppelfehlern. Und dann auch Zverev bei einer bitteren Premiere, der öffentlichen Beschimpfung seines Vaters Alexander sen. („Halt die Klappe. Was redest Du da.Du erzählst mir irgendeinen Scheiß.“). Becker, dem manches an diesem Verhalten nicht ganz fremd war, der allerdings nie seinen eigenen Vater derart bloßstellte, notierte einen „Fall für den Psychologen.“ Zverevs Formkrise minimierte gleichzeitig, trotz eines holprigen 2:1-Sieges gegen Griechenland, auch die Chancen aufs Weiterkommen der Deutschen beim ATP Cup, um als einer der zwei besten Gruppenzeiten durchs Ziel zu gehen, musste in jedem Fall ein klarer Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Kanada am Dienstag her.

Eins jedenfalls war nach diesen ersten paar Tagen des neuen Jahres schon klar: Zverev, der Weltranglisten-Siebte, hatte seine Probleme der Spielzeit 2019 mit in die soeben begonnenen „Zwanziger“ herübergeschleppt. Die Probleme der fehlenden Konstanz, die Probleme eines äußerst dünnen Nervenkostüms, die Probleme, ganz handfest, mit seinem Aufschlag, die Probleme einer zu oft zu defensiven Spielanlage. Normaler Weise sollten Tennisprofis wie Zverev beim ersten Einsatz einer frischen Serie ausgeruht, entspannt und zupackend wirken, mit einem positiven Blick voraus auf das Kommende, aber bei dem 22-jährigen Hamburger mit Wohnsitz Monte Carlo wirkte alles rückwärtsgewandt, ganz so, als ließen ihnen die Dämonen der Vergangenheit nicht los. Wie in den letzten Wochen der Saison 2019 musste Zverev mit ansehen, wie ihm Generationsgenossen die Show auf der ATP Cup-Bühne stahlen und ihn mit Spitzenleistungen distanzierten. Der Australier Alex de Minaur gehörte dazu, Zverevs ungeliebter Rivale Stefanos Tsitsipas, der ihn im direkten Vergleich zum fünften Mal hintereinander schlug. Aber auch Leute wie Russlands US Open-Finalist des Jahres 2019, Daniil Medvedev.

Zverev als Nebendarsteller von Federer

Zverev hatte in der letzten Saison lange Zeit mit Problemen außerhalb des Courts zu kämpfen, die Streitigkeiten mit seinem Ex-Manager Patricio Apey lasteten lange Zeit auf seiner Seele. Im Sommer erfasste ihn eine sportliche Krise, in manchen Spielen schlug Zverev damals bis zu 20 Doppelfehler. Alles wurde ein wenig besser, als Zverev sich dann der Management-Agentur Team 8 von Roger Federer und dessen Geschäftsbesorger Tony Godsick anschloss. Aber richtig gut wurde es auch nicht, bei der ATP-WM in London, bei der Verteidigung seines 2018er-Pokalgewinns spielte er nur eine Komparsenrolle. Zverev wirkte dort, in der O2-Arena müde und überspielte, das Naheliegende wäre eine längere Auszeit, eine totale Tennis-Abstinenz gewesen. Doch stattdessen reiste Zverev Ende November noch einmal tagelang als Nebendarsteller bei Federers großer Südamerika-Showtournee umher. Wohlgemerkt: Es war jener Zverev, der sich zuvor über den Termin des neuen, in jenen Tagen anberaumten Davis Cup-Finalturniers beklagt und in diesem Zusammenhang verkündet hatte, er werde das Ganze aus der Hängematte auf einer Urlaubsinsel verfolgen.

Die erste Erkenntnis, die Zverev gewinnen müsste nach den zwei Auftaktpleiten der laufenden Saison, ist eine einfache: Seine Interessen decken sich nicht mit denen von Federer, dem Freund und Firmenkollegen. Während Freigeist Federer in den ersten Tagen von 2020 noch an seinem Zweit-Wohnsitz Dubai hart trainierte – er hatte dem ATP Cup überraschend die kalte Schulter gezeigt – merkte man Zverev in Australien auf Schritt und Tritt die Unausgeglichenheit an, eine dünnhäutige Gesamtverfasstheit, die mit dem Erkennen der eigenen Defizite zu tun hat. Selbst altgediente Tourbeobachter konnten sich kaum erinnern, schon einmal eine vergleichbar entwaffnende Aussage eines Profis gehört zu haben, einen verbalen Offenbarungseid wie den von Zverev – der nämlich bekannte nach dem Matchdesaster gegen den Australier de Minaur, er habe „nicht genug trainiert“ für diese Saison. Da konnte auch Becker, der von Zverev ernannte Teamkapitän, nur noch betreten dreinschauen. Vielleicht rätselte auch Becker, wieso Zverev sogar noch einen weiteren Showkampf mit Federer Ende Dezember in China bestritten hatte, auf dem Weg nach Australien.

Boden auf Djokovic und Nadal verloren

Vieles an Zverevs bisherigem Auftritt bei dem Teamwettbewerb in Brisbane wirkte konfus, improvisiert, planlos. Man hatte den Eindruck, als ob Zverev mit der naiven Vorstellung ins 2020er-Rennen gegangen war, dass sich irgendwie schon alles richten und glätten werde, dass das neue Jahr auch neues Glück bringen müsse. In Vorleistung war er für diese Sehnsucht, für diesen Wunsch aber nicht getreten, sein Spiel war nichts anderes als die Entsprechung des Weiter-So-Prinzips, fernab jeglicher Reformen oder Innovationen. Dass abseits des Aufschlags alles okay sei mit seinem Spiel, wie Zverev in der Partie gegen Tsitsipas im Dialog mit sich selbst feststellte, war eher Illusion als Wahrheit.

Schlechter hätte es nicht beginnen können, das neue Jahr. Das Jahr, in dem sich Zverev nicht mehr nur als Herausforderer gegen die Tennis-Weltherrscher wie Djokovic, Federer oder Nadal beweisen muss, sondern mehr noch gegen jene, die in seinem Nacken schon lauern, ihn zu überholen. Ersten Boden hat er dabei schon verloren.

von Jörg Allmeroth

Montag
06.01.2020, 13:15 Uhr
zuletzt bearbeitet: 06.01.2020, 12:03 Uhr