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Alexander Zverev sr. - Der große Schweiger mit dem Pokerface

Alexander Zverev hat beiden Australian Open erstmals das Halbfinale eines Majors erreicht. Großen Anteil daran hat sein Vater Alexander Zverev sr., der die Karriere seines Sohnes von Beginn an geplant und geführt hat.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 29.01.2020, 14:12 Uhr

Alexander Zverev sr. - der Fels in der Brandung im Team
© Jürgen Hasenkopf
Alexander Zverev sr. - der Fels in der Brandung im Team

Alexander Zverev sen. hat in den letzten Jahren Tausende Sätze und Hunderte Spiele seines Sohnes Alexander jun. verfolgt. Er hat alles erlebt, Euphorie und Enttäuschung, den Glanz, das Elend, krachende Niederlagen, wunderbare Siege. Aber wie er sich da draußen fühlte auf seinem oftmals einsamen Beobachtungsposten, hat man dem 60-jährigen Coach niemals wirklich angesehen. Oder von ihm gehört, was er über all das denkt, die Karriere des Sohnes, dessen Achterbahnfahrten, das schwierige Bild in der Öffentlichkeit. Der Trainervater ist ein Mann, der seine Emotionen in beinahe unheimlicher, übermenschlicher Weise kontrolliert.

Und er ist der große Schweiger, der Akteur im Team Zverev, der zwar viel weiß und erlebt, der aber nichts von alledem preisgibt. Wenn man Zverev senior („Mister No“) zu Zverev junior fragt, etwa nach dem Sieg bei der ATP-Weltmeisterschaft 2018 in London oder auch nach einem Triumphmoment wie gerade in Melbourne, nach dem Einzug ins erste Grand Slam-Halbfinale, dann antwortet Daddy so: „Fragen Sie Sascha.“ Sascha, so kennen ihn alle in der Tennisszene, seit den Tagen, als er als buchstäbliches Kind des Tennis mit der Familie um die Welt reiste – damals noch als jüngerer Bruder des ersten Zverevs auf der modernen Profitour, Mischa.

Alles bei Zverev auf dem Prüfstand

Tennis ist im Hause Zverev eine Familienangelegenheit. Oft ist das in den letzten Jahren geschrieben worden, aber in den letzten Tagen hat diese Feststellung noch einmal neues Gewicht erlangt. Denn bevor Sascha Zverev sich aufmachte, bei den Australian Open bisher ungekannte Winkel des Grand-Slam-Universums zu erforschen, hatte er einen Horror-Start in die Saison erlebt. Plötzlich, inmitten von Frust, Hektik und enormer Nervosität im Betreuerteam, schien alles auf dem Prüfstand zu stehen – zumal sich Zverev auch noch öffentlich mit seinem Vater beim gruselig verlaufenen ATP Cup angelegt und ihn vor laufenden Kameras beschimpft hatte („Halt´die Klappe..“). Das Echo des Auftritts war: Zverev brauche neue Impulse, neue Gesichter in seiner Firma, es sei Zeit, sich vom Vater zu trennen. Auch Boris Becker, Teamchef der deutschen Truppe in Brisbane, forderte Veränderungen. Damals sprach der Tennis-Kanzler davon, Zverev sei in einem dunklen Zimmer gefangen, es gehe darum, den Lichtschalter zu finden. Aber Zverev müsse das auch wollen.

Das Erstaunlichste an der ganzen Geschichte dieses Tennis-Januars: Es passierte überhaupt nichts, Zverev machte mit dem angestammten Team weiter, auch mit seinem Vater. Er trainierte hart vor den Australian Open, versuchte die Defizite einer ungenügenden Saisonvorbereitung auf den letzten Drücker wettzumachen. Und Vater Zverev war der gewohnte maskenhaft starre Oberaufseher, stets mit seinen zwei Gesichtsausdrücken – mit dem grimmigen und dem sehr grimmigen Blick. Er sei der „ganz normale Trainertyp“, scherzte Zverev am Mittwoch in der Rod Laver Arena, „einer, der seinen Spieler im Grunde nicht besonders mag.“ Noch ein weiterer Scherz kam aus Halbfinalist Zverevs Mund, auf Kosten des Daddys, nämlich der, „dass er nun sicher wieder eine ganze Zeit weinen wird.“ So wie übrigens auch am bisher größten Tag des jungen Hamburgers, am Tag des WM-Titelgewinns in London – damals hatte man Zverev senior so emotional angegriffen wie nie zuvor erlebt, tränenreich im Augenblick des Triumphs, nicht mehr das Pokerface aufgesetzt. Einer der überhaupt wenigen Sätze, die man je vom Papa gehört hat, fiel auch an diesem Tag: „Ich bin sehr stolz auf ihn“, sagte er da über den Sohn.

Nicht über Platz 175 hinaus gekommen

Zverev senior litt in seiner aktiven Zeit als Tennisspieler unter der Ungnade der politischen Zeit. Er war ein außergewöhnlicher Mann auf dem Court, voller Eleganz und Wendigkeit, ein Ästhet am Ball. Aber er durfte in Zeiten des „Eisernen Vorhangs“ nur selten zu Turnieren im Westen reisen, deshalb kam er über Platz 175 der Weltrangliste nicht hinaus. Anfang der 90er Jahre, als die Familie aus Russland nach Deutschland übersiedelte, arbeitete er als Tennislehrer, in Mölln und beim Uhlenhorster Hockey-Club (UHC). Aber rasch nahmen ihn und seine Frau Irina die ehrgeizigen Söhne in Beschlag, erst Mischa, später Sascha. Mischa schaffte den Sprung in die absolute Weltspitze nicht, auch weil die Eltern ein zu strenges Regiment führten. Sascha, der Jüngere, hatte anschließend mehr Freiheiten in seiner Entwicklung, es gab mehr Toleranz und Nachsicht.

Sascha Zverev versuchte zwei Mal mit Tennis-Kompetenz von außen, seinen sportlichen Horizont zu erweitern und seine Karriere zu beschleunigen. Aber das Projekt mit dem ehemaligen spanischen Topmann Juan Carlos Ferrero scheiterte genau so wie später das medial grell ausgeleuchtete Zusammenspiel mit Ivan Lendl. Womöglich lag es auch an der unzertennlichen engen Beziehung von Vater und Sohn, so recht wohl fühlten sich alle Neuankömmlinge nie im Team Zverev. Lendls Abschied etwa war auch durch eine Aussage von Daddy Zverev mitbefördert worden, er hatte trocken gesagt: „Zwei Trainer sind einer zu viel.“

Er ist nun weiter an Bord, auch bei der soweit erfolgreichsten Grand-Slam-Mission des Sohnes. „Ich suche die Schuld für schlechtes Spiel immer zuerst bei mir, nicht bei anderen, auch nicht bei meinem Vater“, sagte Zverev am Mittwoch, „letztlich haben mein Vater und ich bewiesen, dass wir gemeinsam Großes erreichen können, immer wieder.“ Sein Vater, so Zverev, werde noch für „eine lange Zeit Teil meines Teams sein.“

von Jörg Allmeroth

Mittwoch
29.01.2020, 20:05 Uhr
zuletzt bearbeitet: 29.01.2020, 14:12 Uhr