Alles mit links für Angelique Kerber – aber nur auf dem Tennisplatz

Jörg Allmeroth bringt uns einen kleinen Einblick in das Gefühls- und Privatleben von Deutschlands Nummer eins.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 31.01.2016, 14:08 Uhr

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WTA - Angelique Kerber

Wenn sich Angelique Kerber mal so ganz von der Hektik ihres Berufslebens verabschieden will, dann fährt sie am liebsten herüber nach Polen, nach Puszczykowo. Dort, wo sie sich inzwischen auch eine Wohnung eingerichtet hat. Dort, wo ihre Großeltern leben. Und dort, wo es inzwischen auch eine "Angelique Kerber Tennis Academy" gibt, eine Talentschmiede für die Stars von Morgen. Im früheren Unterberg, 170 Kilometer von der deutsch-polnischen Grenze entfernt, hat Kerber ihre Ruhe, es geht beschaulich zu, es ist ein kleines Idyll. "Eine Wohlfühl-Oase", wie Kerber selbst sagt, "dort macht niemand großen Zirkus um mich."

"‚Angie' ist anspruchslos, echt bescheiden"

Das wird sich vermutlich auch nicht ändern nach dem größten Tag in ihrer Karriere, dem Tag ihres Endspieltriumphs in Melbourne gegen die Weltranglisten-Erste und Titelverteidigerin Serena Williams . Kerber findet inzwischen zwar auch Gefallen daran, mal bei ihren Expeditionen durch die Tenniswelt über rote Teppiche zu schreiten und ein bisschen vom Glitzer und Glamour des Profigeschäfts zu genießen, aber sie braucht das nicht wirklich für ihr persönliches Glück. "‚Angie' ist anspruchslos, echt bescheiden", sagt ihre Mutter Beata. Auch bei den Eltern in Kiel gibt es keine "Luxusbehandlung" für die berühmte Tochter, den neuen deutschen Sportstar: "Sie will auch gar nicht, dass ihr wie überall bei den Turnieren die Hand aufgehalten wird. Wir haben alle zwei Arme und zwei Beine, und damit kann jeder dem anderen in der Familie gut helfen." Was auch für Kerbers Schwester Jessica gilt, die in Kiel ein Kosmetikstudio betreibt.

Ihre Mama ist für Kerber wohl die wichtigste Bezugsperson. Viele Jahre saß die Mutter bei Kinder- und Jugendturnieren gemeinsam mit Vater Slawek (früher mal der Coach von Angelique) auf der Tribüne, verfolgte Hunderte Matches, war Trösterin, Motivatorin und psychologische Stütze: "Es war ganz wichtig, dass sie mich bei den Spielen sah, dass es diesen Augenkontakt gab. Das war immer sehr beruhigend." Daheim in Kiel kann sich die Mutter gerade genau so wenig vor dem Medienansturm retten wie Tochter Angelique in Melbourne, es sei so massiv gewesen, "dass ich jetzt erst mal nichts sage." Wohl auch deshalb, weil Beata Kerber das Gefühl hat, das sei nun zuallererst die Stunde der Tochter. Der ersten Deutschen, die in der Ära nach Steffi Graf, Boris Becker und Michael Stich einen Grand-Slam-Triumph geschafft hat.

"Er weiß genau, wie ich ticke"

Kerber hat über die Jahre stets nur einem kleinen Netzwerk von Freunden, Tennis-Dienstleistern und Weggefährtinnen auf der Tour vertraut. Torben Beltz gehört vorneweg dazu , der Trainer-Hüne, der nach einem vorübergehenden Abschied im Jahre 2014 dann im März der vorigen Saison wieder an Kerbers Seite zurückkehrte - und nun den vorläufigen Höhepunkt ihrer Karriere miterleben durfte. "Mir standen selbst die Tränen in den Augen, als es vollbracht war", sagt Beltz, der die neue Weltranglisten-Zweite schon in frühen Kinder- und Jugendjahren coachte. "Rückhaltlos" vertraue sie Beltz, sagt Kerber, "er weiß genau, wie ich ticke." Beltz (39 Jahre) ist nicht nur ein guter Stratege und Taktikfuchs, sondern eben auch ein unkomplizierter Gute-Laune-Typ, immer geradeheraus, immer bemüht, positive Stimmung zu verbreiten.

In Melbourne war auch der 28-jährige Frankfurter Simon Iden im "Team Angie" beschäftigt, ein Physiotherapeut mit offenbar sehr gutem Händchen, der auch schon für Jugendteams des DFB arbeitete. Gemeinsam mit Beltz und Iden ging Kerber am Tag nach dem Grand-Slam-Coup auch baden, im trüben Yarra River, der am National Tennis Center vorbeifließt. Es war die Einlösung einer ersten, aber noch nicht der ganzen Wettschuld für den Fall des Sieges - denn Beltz und Kerber haben sich auch noch zu einem Tanzkurs und einem Fallschirmsprung verpflichtet, wenn denn einmal die große Stunde bei einem "Major"-Wettbewerb schlüge. Eine, die für Kerber stets Vertrauensperson und Ratgeberin in allen Lebenslagen war, konnte wie Mutter Beata Kerber nicht in Melbourne beim Sieg dabei sein: Bundestrainerin Barbara Rittner , die Architektin des ganzen neuen Fräuleinwunders made in Germany. "Barbara und ich - wir können uns über alles unterhalten", sagt Kerber, "sie ist sehr wichtig für mich."

"Du bist der Wahnsinn. Ich möchte Dich heiraten."

Zu Kerbers engsten Freundinnen im Tennis-Nomadengeschäft gehören Caroline Wozniacki , eine Dänin mit polnischen Wurzeln, und die Polin Agnieszka Radwanska . Mit den beiden urlaubte sie auch schon nach den langen Saisonstrapazen im Inselreich der Malediven. Aber noch enger ist die Bindung zu Andrea Petkovic, die ihr einst auch den Weg aus dem größten Tennis-Schlamassel wies, 2011 war das, als sie die Darmstädterin Kerber in die Schüttler-Waske-Trainingsakademie nach Offenbach lotste und damit einen Karriereschub auslöste.

Ein Herz und eine Seele sind die beiden grundverschiedenen Charaktere auch jetzt noch, da Kerber weit an der ehedem stärkeren Petkovic vorbeigezogen ist. Petkovics wie immer nicht ernstgemeinter Twitter-Gruß an die liebe "Angie" am Samstagabend dürfte Kultstatus erlangen: "Du bist der Wahnsinn. Ich möchte Dich heiraten." Apropos: Im Klatschmagazin "Bunte" gab Singlefrau Kerber 2014 zu Protokoll, "dass es besonders schwierig ist, einen Mann zu finden, der für mein Leben Verständnis aufbringt."

Grundsätzlich eine Betäubungsspritze beim Zahnarzt

Dem "Sport-Informationsdienst" verriet Kerber jüngst auch ein wenig über ihre Vorlieben und Abneigungen: Sie fährt gerne schnell Auto, ohne Punkte in Flensburg zu besitzen. Sie mag Braten von der Oma, Wanderungen in den polnischen Bergen, lässt sich beim Zahnarzt grundsätzlich eine Betäubungsspritze geben, mag Tanzen lieber als Singen, isst niemals im Flugzeug, reist am liebsten nach New York. Unerwähnt blieb da noch: ihr Schuh-Tick. Und das Fußball-Faible für den FC Bayern München und Lionel Messi. Mit links macht sie im Übrigen alles nur auf dem Tennisplatz. Im sonstigen Leben ist sie Rechtshänderin.

von tennisnet.com

Sonntag
31.01.2016, 14:08 Uhr