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Australian Open - heute vor 30 Jahren: Als John McEnroe disqualifiziert wurde

"Big Mac" wurde 1990 in Melbourne als zweiter Spieler in der Grand-Slam-Geschichte wegen Fehlverhaltens disqualifiziert.

von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet: 21.01.2020, 08:24 Uhr

Bei John McEnroe lagen Genie und Wahnsinn ganz dicht beieinander. Der US-Amerikaner trug Dr. Jekyll und Mr. Hyde in sich und lebte seine Emotionen auf dem Tennisplatz bis aufs Äußerste aus. Legendär ist sein Spruch "You cannot be serious", der bis heute nicht nur Tennisfans ein Begriff ist. McEnroe flippte in jedem Spiel regelrecht aus, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte oder sauer auf sich oder seine Gegner war. "Ich möchte in Erinnerung bleiben als ein großer Spieler, aber ich denke, ich werde für viele immer der Spieler sein, der wütend wurde auf dem Platz" sagte "Big Mac" in den Endzügen seiner Karriere./

Im Laufe seiner Karriere entwickelte sich McEnroe vom "Bad Boy" zum Publikumsliebling. "Ich hätte es manchmal geliebt, wenn ein Schieds- oder Linienrichter einfach gesagt hätte: ‚Lass mich in Ruhe, du kleines Stück Dreck!'. Vielleicht hätten sie mich mehr anpflaumen sollen", sagte McEnroe über seine Ausraster auf dem Platz. Einer seiner legendären Ausraster, der schließlich in der Disqualifikation endete, ereignete sich bei den Australian Open 1990. Die große Zeit von McEnroe war zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen. Der damals 30-Jährige hatte seit den US Open 1984 kein Grand-Slam-Turnier gewonnen. Als Weltranglisten-Vierter gehörte McEnroe aber zu den Favoriten auf den Australian-Open-Titel.

Schreiendes Kind und Schlägerwurf

Im Achtelfinale traf McEnroe auf den Schweden Mikael Pernfors. Der US-Amerikaner gewann den ersten Satz mit 6:1, Pernfors holte sich den zweiten Satz mit 6:4. Im dritten Satz nahm das Unheil aus der Sicht von McEnroe seinen Lauf. "Big Mac" war über eine Entscheidung einer Linienrichterin wütend und beschimpfte diese. Stuhlschiedsrichter Gerry Armstrong sprach deswegen eine Verwarnung wegen unsportlichen Verhaltens aus. Obwohl McEnroe den dritten Satz mit 7:5 gewann, brodelte es in ihm. Im vierten Satz lief das Fass über beim "Enfant terrible". Als ein Baby im Publikum zu schreien begann, giftete McEnroe: "Gib ihm einen Drink, um Himmels Willen." Schiedsrichter Armstrong bat die peinlich berührte Mutter, das Kind herauszutragen, was diese auch tat.

Wenig später stand es im vierten Satz 2:3 und 30:30 bei Aufschlag von McEnroe. Es folgte der zweite Schritt in Richtung Disqualifikation. Der US-Amerikaner verzog eine Vorhand ins Aus und regte sich mit dem Werfen seines Schlägers darüber auf. Armstrong gab McEnroe, da dessen Schläger nicht mehr zu gebrauchen war, wegen Schlägermissbrauchs eine weitere Verwarnung. Die zweite Verwarnung bedeutete einen Punktabzug, was gleichzeitig dazu führte, dass McEnroe das Spiel zum 2:4 verlor.

Schimpftirade führt zur Disqualifikation

McEnroe schmeckte diese Entscheidung ganz und gar nicht und erklärte, dass die Bestrafung ungerechtfertigt sei, da er mit dem Schläger hätte weiterspielen können. Der US-Amerikaner rief nach Oberschiedsrichter Ken Farrar, der kurz darauf mit dem Turnierschiedsrichter Peter Bellenger den Platz betrat. Farrar erklärte McEnroe, dass die Entscheidung mit dem Strafpunkt bestehen bleibe. Nach einer kurzen Diskussion rief Armstrong zum Weiterspielen auf. Während McEnroe in Richtung Grundlinie ging, ließ er eine Schimpftirade los. "F... deine Mutter", rief der US-Amerikaner in Richtung Farrar. Farrar hörte die Beleidigung, drehte um in Richtung Schiedsrichterstuhl und gab Armstrong die Anweisung, McEnroe zu disqualifizieren.

"Code violation, verbal abuse. Default, Mr. McEnroe. Game, set and match, Pernfors", sagte Armstrong in sein Mikrofon und verkündete die Disqualifikation von McEnroe. Dem US-Amerikaner wurde eine Regeländerung zum Verhängnis, die zu Jahresbeginn in Kraft getreten war. Die Schritte für die Disqualifikation wurden von vier auf drei reduziert. Somit konnte ein Spieler nach drei Verwarnungen wegen unsportlichen Verhaltens disqualifiziert werden. McEnroe hatte die neue Regel nicht im Kopf und stand nach der Bekanntgabe der Disqualifikation ungläubig und wortlos auf dem Platz.

McEnroe kennt neue Regel nicht

"Ich habe gedacht, dass die Regeln hier anders sind und dass wir mit den Grand-Slam-Regeln vom letzten Jahr mit der Vier-Stufen-Bestrafung spielen. Ich war überrascht. Ich schaute hinauf und sagte, ‚Oh, oh, sie werden mir ein Strafspiel geben.' Und urplötzlich sagen sie, dass ich disqualifiziert bin", sagte ein erzürnter McEnroe bei der Pressekonferenz. Der Oberschiedsrichter erklärte, dass die neue Regel "kein Geheimnis war" und diese sowohl im offiziellen Turnierhandbuch als auch in der Nähe der Umkleidekabine nachzulesen war. "Ich wurde persönlich beleidigt und bin im Tennis ganz gewiss noch nie sie so gerufen worden. Es stand außer Frage für mich, dass dies ein ernsthafter verbaler Missbrauch war. Wenn so etwas passiert, sind wir da, um diese Regel durchzusetzen", sagte Farrar zur Disqualifikation.

McEnroe zeigte sich auf der Pressekonferenz etwas einsichtig, kritisierte aber die harte Bestrafung. "Nun kenne ich die Regeln, nachdem ich disqualifiziert wurde. Nachdem ich drei Stunden dort draußen gespielt habe, denke ich, dass es unnötig war, mich wegen vier Wörtern zu disqualifizieren. Ich finde, dass es ein besseres Fingerspitzengefühl geben sollte. Sie haben das Gesetz für mich geschrieben. Das ist eine alte Geschichte, die irgendwann passieren musste. Ich kann nicht sagen, dass ich komplett überrascht bin über das, was ich getan habe. Pernfors schreit und die Leute lachen, weil sie denken, dass Schwedisch lustig ist. Ich kann nur mich selbst dafür verantwortlich machen. Wenn ich die neuen Regeln gewusst hätte, hätte ich wahrscheinlich dennoch meinen Schläger gebrochen. Aber ich hätte wahrscheinlich nicht das gesagt, was ich zu diesem Kerl gesagt habe, wenn ich gewusst hätte, dass ich einen Schritt von der Disqualifikation entfernt bin. Ich ließ mich dazu hinreißen."

Buhrufe und 6500-US-Dollar-Strafe

Die Zuschauer des Matches quittierten die Disqualifikation mit Buhrufen und schrien minutenlang: "Wir wollen McEnroe." Einer der schreienden Fans sagte: "Es ist fürchterlich. Er wird nie wieder nach Melbourne kommen, und ich kann ihm nicht die Schuld dafür geben." McEnroe war der erste Spieler in der Turniergeschichte der Australian Open und der zweite Spieler in der Grand-Slam-Geschichte, der wegen Fehlverhaltens disqualifiziert wurde. 1963 wurde der Spanier Willie Alvarez bei den French Open wegen schlechten Benehmens disqualifiziert.

McEnroe wurde mit einer Geldstrafe von 6500 US-Dollar belegt - 5000 US-Dollar für den Schlägermissbrauch, 500 US-Dollar für die verbale Entgleisung und 1000 US-Dollar für die Disqualifikation. Hätte sich "Big Mac" bei den drei weiteren Grand-Slam-Turnieren des Jahres 1990 eine weitere Geldstrafe von insgesamt 1000 US-Dollar eingefangen, so wäre er automatisch für das nächste Grand-Slam-Turnier gesperrt gewesen. Doch McEnroe war abgesehen von einer 500-US-Dollar-Strafe, die er bei den US Open 1990 kassierte, brav. Dennoch konnte er an den Australian Open 1991 wegen einer Schulterverletzung nicht teilnehmen. Die Befürchtung, dass "Big Mac" nicht mehr in Melbourne spielen würde, wurde allerdings nicht wahr. 1992 spielte McEnroe ein letztes Mal bei den Australian Open und erreichte im Alter von 32 Jahren das Viertelfinale.

Hier ist das komplette Match zwischen McEnroe und Pernfors:

von Christian Albrecht Barschel

Dienstag
21.01.2020, 08:19 Uhr
zuletzt bearbeitet: 21.01.2020, 08:24 Uhr