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Australian Open: Andy Murray - Das bravouröse Comeback des Doch-Nicht-Rentners

Andy Murray stellte in der ersten Runde der Ausralian Open 2022 erneut seine Kämpferqualitäten unter Beweis. 

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 18.01.2022, 14:01 Uhr

Andy Murray stellte erneut seine Kämpferqualitäten unter Beweis
© Getty Images
Andy Murray stellte erneut seine Kämpferqualitäten unter Beweis

Vor drei Jahren und vier Tagen stand Andy Murray in der Melbourne Arena und hörte sich gerührt die Nachrufe auf seine Karriere an. Es war sein scheinbar allerletzter Abend bei den Australian Open an jenem 14. Januar 2019, Murray hatte in fünf dramatischen Erstrunden-Sätzen gegen den Spanier Roberto Bautista-Agut verloren, ein paar Tage zuvor hatte der der verletzungsgepeinigte Schotte seinen Rücktritt vom Profitennis im Saisonverlauf angekündigt. Von den großen Stadion-Anzeigetafeln flimmerte damals ein eilig produziertes Video, mit emotionalen Grußadressen der Stars und Superstars der Szene an den leidenden Kollegen. Rafael Nadal etwa bedauerte, dass es bald nicht mehr zu den großen Duellen mit Murray kommen werde, und Roger Federer gab kurz und bündig zu Protokoll: „Andy, ich bin Dein größter Fan.“ Murray musste schwer schlucken, einige Tränen kullerten ihm über die Wangen. Mit hängenden Schultern verließ er schließlich den Schauplatz.

Doch als am Dienstag das Erstrunden-Kapitel bei den Offenen Australischen Meisterschaften des Jahres 2022 geschlossen war, hatte genau jener Sir Andrew Barron Murray – der vermeintliche Tennisrentner – die wohl frappierendsten und beeindruckendsten Zeilen geschrieben. Denn gegen seine eigenen Absichten, gegen alle Erwartung und Logik war der 34-jährige immer noch und wieder drin in seinem geliebten Geschäft der harten Grand Slam-Ausscheidungsspiele: Zurückgekehrt nach zwei Hüftoperationen und einer längeren Verletzungspause wegen Beckenproblemen, legte der zähe Schotte in gewohnter Fighterstatur ein bravouröses Melbourne-Comeback hin – nach knapp vier Stunden grüßte der dreimalige Grand Slam-Champion als 6:1, 3:6, 6:4, 6:7, 6:4-Sieger gegen den Georgier Nikoloz Basilashvili. „Mann, bin ich kaputt“, stöhnte der Langstreckenexperte auf den Centre Courts nach dem verschleißenden Marathonduell in der John Cain Arena – jenem umgetauften Stadion, in dem er 2019 eigentlich schon in den Australian Open-Ruhestand verabschiedet worden war.

Auch Kohlschreiber beeindruckt

Murrays Sieg war nicht der einzige erstaunliche Auftritt eines nicht unter zu kriegenden Tennis-Veteranen: Wenngleich unter dem Radar der größeren internationalen Tennisöffentlichkeit geschehen, war doch auch der selbstbewusste 6:4, 7:5, 7:6-Auftaktsieg des 38-jährigen Philipp Eberhard Hermann Kohlschreiber gegen den Italiener Marco Cecchinato ein Grand Slam-Ausrufezeichen. „Tadellos“ sei das Match gewesen, befand der tüchtige Augsburger später, der sich seine Auftritte im Tourbetrieb auf die alten Tage nur noch nach Lust und Laune aussucht. Den 15. Start in Melbourne hatte der langjährige Davis Cup-Spieler zunächst gar nicht im Arbeitskalender stehen gehabt, erst auf den letzten Drücker entschloss er sich zur Dienstreise ans andere Ende der Welt. Inzwischen ist Kohlschreiber auf Platz 134 der Weltrangliste abgerutscht, die Pandemie raubte ihm oft genug die Motivation, noch weiter um Spiel, Satz und Sieg zu streiten. Nun aber will der Routinier wenigstens noch mal bis Wimbledon im Sommer „Vollgas geben“: „Ich denke, dass ich dem ein oder anderen Ärger machen kann.“ Vielleicht auch dem Spanier Bautista-Agut, dem er am Donnerstag gegenüberstehen wird.

Und Murray? Auch er findet sich mittlerweile in ungewohnten Weltranglisten-Regionen wieder, zwischen dem Bolivianer Hugo Dellien und dem Franzosen Pierre-Hugues Herbert ist der ehemalige Frontmann nunmehr auf Platz 113 eingestuft. Doch sein Kampfgeist, seine mentale Härte sind immer noch legendär, selbst nach all den Leidens- und Pausenmonaten, die ihn von der globalen Tenniskarawane fernhielten. Murray kann Schmerzen und Pein wie kaum ein zweiter aushalten, auch gegen Basilashvili schleppte er sich oft schweren Schrittes zwischen den Ballwechseln über den Platz. Um dann aber im erbitterten Schlagabtausch auch noch die letzten, bitteren Schritte auf schnellen Beinen zu machen. „Unverwüstlich“ nannte ihn Schwedens ehemaliger Superstar Mats Wilander. Schon in der vergangenen Woche hatte Murray einen überzeugenden Start in die Saison 2022 hingelegt, als er in Sydney bis ins Finale gelangt war – nur ging das in der leidigen Einreiseposse um Novak Djokovic völlig unter.

Der Australian Open-Lauf des Schotten, der in seiner Karriere sage und schreibe fünf Finals in Melbourne verlor, hatte das Zeug zu einer noch längeren Wohlfühlstory: Gegen den japanischen Qualifikanten Taro Daniel, die Nummer 120 der Tennis-Hitliste, galt Braveheart Murray in Runde zwei als Favorit. „Ich werde laufen, solange meine Füße mich tragen“, sagte Murray. Der Mann, dessen letztes Melbourne-Stündlein eigentlich vor drei Jahren und vier Tagen geschlagen hatte.

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