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Australian Open: Chaos und Spektakel - Kyrgios und Kokkinakis im Finale

Nick Kyrgios und Thanasi Kokkinakis spielen am Samstag um den Doppel-Titel bei den Australian Open 2022. Auch weil die beiden neben viel Anarchie sehr starkes Tennis auf den Court bringen.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 28.01.2022, 13:17 Uhr

Kaum zu glauben: Thanasi Kokkinakis und Nick Kyrgios stehen in Melbourne im Finale
© Getty Images
Kaum zu glauben: Thanasi Kokkinakis und Nick Kyrgios stehen in Melbourne im Finale

Als sich Nick Kyrgios vor zwei Wochen mit seinem Kumpel Thanasi Kokkinakis für den Doppelwettbewerb der Australian Open einschrieb, wollte er eigentlich „nur ein bisschen Spaß und eine gute Zeit haben“. Tatsächlich liegt nun eine Menge persönlicher Spaß hinter ihnen, eine gute Zeit auch – doch was hinzugekommen ist, verblüfft gerade die Tenniswelt beim Grand-Slam-Turnier von Melbourne. Kyrgios und Kokkinakis grüßen am vorläufigen Ende einer wild bewegten Tenniskampagne als Überraschungsfinalisten, die Zirkusshow der beiden Akteure mit proletenhaftem Charme erlebt am Samstag in einem inneraustralischen Endspiel gegen Matthew Ebden und Max Purcell ihren denkwürdigen Höhepunkt. Chaos, Spektakel und Sensationen pflasterten den Weg von „KyKo“, eines Duos, das den australischen TV-Stationen die größten Einschaltquoten bescherte – mehr noch als bei den Auftritten von Nadal und Co. „Wir mögen es, wenn es wild wird“, sprach Kyrgios am Donnerstag nach dem 7:6, 6:4-Sieg gegen Marcel Granollers/Horacio Zeballos (Spanien/Argentinien), „und das mögen eben auch viele Fans.“

Das Vergnügen der lieben Konkurrenz hielt sich allerdings in Grenzen. Als die beiden Lokalmatadoren etwa am Dienstag das neuseeländisch-deutsche Pärchen Michael Venus/Tim Pütz besiegten und dabei regelmäßig das Publikum aufhetzten, platzte Weltklassemann Venus später der Kragen. Kyrgios habe den „Reifegrad eines Zehnjährigen, wohlwollend“, so Venus, „und man sieht, warum im Einzel nie was aus ihm geworden ist.“ Er verhalte sich auf dem Court „wie ein Idiot.“ Auch Pütz war nicht sonderlich amüsiert, mit Entertainment habe es nichts zu tun, wenn die Zuschauer zu Störungen animiert würden: „Das ist einfach nur unsportlich.“ Turbulenzen um die beiden Aussies hatte es schon in der zweiten Australian-Open-Runde gegeben, nach dem Sieg gegen die an Nummer eins gesetzten, mehrfachen Grand Slam-Champions Mektic/Pavic (Kroatien). Angeblich hätten Betreuer des kroatischen Duos in den Katakomben Kyrgios Prügel für dessen Provokationen auf dem Platz angedroht.

Kyrgios im Einzel gegen Medvedev raus

Kyrgios war im Einzel bereits in der zweiten Runde gegen Turnier-Favorit Daniil Medwedew ausgeschieden, Partner Kokkinakis sogar schon zum Auftakt gegen den Karlsruher Yannick Hanfmann. Im Doppel schienen sie keine Chance zu haben, doch dann wurde aus dem sanften Turnierausklang vermeintlich ohne Perspektive die bisher wunderlichste Melbourne-Geschichte des Jahrgangs 2022. „Beide sollten eigentlich weit vorne in der Weltrangliste als Einzelspieler stehen, haben ihr Talent aber noch nie richtig auf den Platz gebracht“, sagte Schwedens ehemaliger Weltklassemann Mats Wilander, „als Doppel entfalten sie jetzt eine riesige Kraft.“ Es wirke, so befand auch Ex-Genius John McEnroe, „als wollten sie der ganzen Welt trotzig zeigen, was sie drauf haben. Und das ist eine ganze Menge.

Das Grand -Slam-Leben mit Kokkinakis und Kyrgios war eine einzige Show, ein ebenso fragwürdiger wie aberwitziger Zirkus auch. Den Heimvorteil nutzten die beiden Krawallos jedenfalls gnadenlos aus, stachelten die teils alkoholisierte Anhängerschaft zu lautstarker Unterstützung auf. Die Gegner des australischen Duos wurden mal beschimpft, mal ausgebuht oder in Schlagaktionen irritiert. War nun alles erlaubt, was irgendwie gefällt oder erfolgreich ist? Eine Frage, die Australien durchaus spaltete – eine Nation, die sich stets mehr als alle anderen etwas auf ihren reinen Sportsgeist einbildete. In Zeitungen und Online-Medien stritten Traditionalisten dabei erbittert mit meist jüngeren Landsleuten, die sich gegen den „Mief einer alten Fankultur“ wandten.

Die Leistung der Gelegenheits-Allianz war dabei unumstritten, sie sprach schwarz auf weiß für sich. Auf dem Weg ins Finale besiegten Kokkinakis und Kyrgios die Nummer 1, die Nummer 3, die Nummer 6 und die Nummer 15 der Setzliste – fast allesamt langjährige Spezialisten und Champions im Pärchenbetrieb der Profis. Die beiden Australier agierten nur selten wie ein eingespieltes Duo, aber ihr Talent reichte dennoch für den Sprung ins Finale aus, ins erste rein australische Endspiel seit 1980 (Kim Warwick/Mark Edmondson gegen Peter McNamara/Paul McNamee). „Wir bringen etwas ganz Neues auf den Platz, eine andere Energie, ein gewisses Charisma“, sagte Kyrgios, der sogenannte Bad Boy des Tennis. Neun Jahre nach dem Juniorentitel im Doppel in Wimbledon standen er und Kokkinakis nun, plötzlich und unerwartet, vor einem erstaunlichen Pokalcoup bei den Profis. 

Hier das Doppel-Tableau in Melbourne

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von Jörg Allmeroth

Freitag
28.01.2022, 14:05 Uhr
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