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Australian Open: Die Brutalität der verlorenen Big Points - Zverev verdient sich auch in der Niederlage Respekt

Alexander Zverev musste sich im Australian-Open-Halbfinale Dominic Thiem knapp geschlagen geben. Am Ende waren es ein paar wenige Punkte, die den Unterschied ausmachten.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 31.01.2020, 17:44 Uhr

Alexander Zverev bei den Australian Open
© Getty Images
Alexander Zverev

Am Ende sind es oft die Kleinigkeiten, die große Matches auf den größten Bühnen entscheiden. Die berühmten paar „Big Points“, die alles auf dem Centre Court binnen Sekunden drehen und wenden können. Als Alexander Zverev sich im vierten Satz seines Australian Open-Halbfinales gegen Dominic Thiem verzweifelt gegen die Niederlage stemmte, erlebte er die ganze Brutalität seines Sports in dichter Folge. Viele kritische Situationen hatte er – mit 1:2-Sätzen im Rückstand - eben noch meisterhaft überstanden, zum 5:5 und 6:6 mit souveränen Aufschlagspielen ausgeglichen. Doch als es dann in den Tiebreak ging, diese unbarmherzige Tennis-Lotterie, waren zwei kurze Black-Outs des 22-jährigen Hamburgers schon genug, um seinen erstaunlich realistisch gewordenen Titel-Traum jäh platzen zu lassen. 

Ein leichtsinnig vergebener Schmetterball, ein haarsträubender Doppelfehler – und schon waren Satz, Spiel und alle Hoffnung nach gut dreieinhalb Stunden verloren. 6:3, 4:6, 6:7 (3) und 6:7 (4): So lautete schwarz auf weiß die unglückliche Schlussrechnung für Zverev im ersten Grand Slam-Vorschlussrundenduell seiner Karriere. 133 Punkte hatte er gewonnen, 138 Punkte sein befreundeter, vier Jahre älterer Rivale – den Unterschied machten letztlich vor allem die Tiebreaks aus. „In den entscheidenden Momenten spielte er sein bestes Tennis. Ich nicht“, sagte Zverev hinterher, „das ist die Geschichte dieses Spiels.“

Zverev vergibt zwei Satzbälle

„Auf Messers Schneide“ sei das Match gewesen, befand später Thiem, der König der „Kurzentscheidung“: „Ich hätte genau so gut jetzt auch draußen sein können.“ Allerdings: Thiem, der bullige Fightertyp, hatte schon im hartumkämpften Viertelfinale gegen Rafael Nadal als Tiebreak-König aufgestrahlt, mit drei gewonnenen Tiebreak-Sätzen gegen den mallorquinischen Matador. Das Schwerste dürfte Thiem dennoch erst bevorstehen, das finale Treffen mit dem siebenmaligen Turniersieger Novak Djokovic am Sonntag. Djokovic hat bisher jedes Endspiel in Melbourne gewonnen. „Ich glaube, Dominic hat eine Chance in diesem Finale. Er spielt momentan Riesentennis“, erklärte Zverev.

Die Tiebreaks waren die größte Schwachstelle Zverevs in dieser Nachtvorstellung in der Rod Laver-Arena. Aber ein anderer Augenblick war kaum weniger entscheidend für den Ausgang dieser spannungsgeladenen Partie – nämlich das zehnte Spiel im dritten Akt, in dem Zverev bei 5:4-Vorsprung zwei Satzbälle gegen den aufschlagenden Wiener hatte, aber nicht den entscheidenden Punch setzte. „Ein Schlüsselmoment“ sei es gewesen, sagte Zverev hinterher, der nur fünf von vierzehn Breakbällen verwertete, „du kriegst nicht viele dieser Chancen, und wenn du sie hast, solltest du sie mitnehmen.“  So wie in der ersten Phase des Spiels, in der der Weltranglisten-Siebte dem Geschehen klar seinen Willen aufdiktiert und den perfekten Start erwischt hatte. Zverev wirkte zunächst sehr konzentriert, sehr ruhig im bisher größten Grand Slam-Match seiner Karriere, der Satzgewinn war deshalb komplett logisch und verdient.

Becker: "Thiem war der etwas bessere Spieler"

Aber Thiem, der in fünf vorherigen Matches vier Stunden mehr auf den Courts verbracht hatte, ließ sich keineswegs abschütteln. Der Mittzwanziger, längst vom Sandplatzexperten zum modernen Allrounder gereift, spielt schon länger in Topmatches gegen Topgegner auf einem exklusiven Level – er hat keine Angst vor großen Namen. Und auch keine Angst vor großen Herausforderungen. Obwohl Zverev mehr als 80 Prozent seiner ersten Aufschläge ins Feld brachte, fand der Österreicher als kluger Abwehrstratege die geeigneten Mittel, um die stärkste sportliche Waffe seines Gegners zu entschärfen. Gegen etwas schwächere Gegner hätte es für den stark servierenden Zverev womöglich zu einem Start-Ziel-Sieg gereicht, nicht aber gegen Thiem, den alten Freund und Weggefährten. 

„Thiem war der etwas bessere Spieler. Aber auch Sacha kann stolz sein auf eine Leistung, die ihm vor zwei Wochen noch niemand zugetraut hätte“, sagte TV-Experte Boris Becker, „wenn man schon verliert, dann auf diese Art und Weise.“ Und tatsächlich war auch dies zu notieren: Anders als bei anderen Grand Slam-Turnieren verdarb sich Zverev seine insgesamt bemerkenswerte Gesamtnote in der Stunde der Niederlage nicht im geringsten. Es war ein Scheitern in allen Ehren. Es gab keine Ausraster, keine Ausflüchte, kein wiederholtes Lamentieren mit Schieds- oder Linienreichtern, keine Beschimpfungen in Richtung seiner Betreuungs-Truppe. Die Krönung seines gedrehten Saisonauftakts – vom Serienpleitier beim ATP Cup zum wieder gefürchteten Grand Slam-Wettkämpfer – blieb ihm zwar verwehrt, gleichwohl ging auch er als Gewinner trotz Niederlage vom Centre Court. „Absoluten Respekt“ habe sich Zverev erworben, vielleicht sei das Turnier für ihn der „Durchbruch“, der „Beginn von etwas Größerem“, urteilte Ex-Superstar John McEnroe als Fernsehexperte.

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von Jörg Allmeroth

Freitag
31.01.2020, 19:43 Uhr
zuletzt bearbeitet: 31.01.2020, 17:44 Uhr

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