Australian Open: Die Schattenseiten des Happy Slam
Während die Australian Open in die Endphase einbiegen, hat Turnierdirektor Craig Tiley mit einigen Nebenschauplätzen zu kämpfen.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
27.01.2022, 10:50 Uhr

Es gibt alte Weggefährten von Craig Tiley, die behaupten, er würde Haus, Hof und seine eigene Großmutter verkaufen, um den Erfolg der Australian Open zu garantieren. Tiley ist der mächtige Turnierdirektor des ersten Grand Slam-Turniers der Saison, und wenn er in den letzten Jahren und auch in der Corona-Krise stets ein Ziel hatte, dann war es dies: Den Major-Wettbewerb auf dem Fünften Kontinent bedingungslos auf Augenhöhe mit der lieben Konkurrenz aus Paris, Wimbledon und New York zu halten. Tiley, der umstrittene Chef, ging dafür an die Grenzen des Möglichen, er überschritt nach dem Eindruck vieler Szenebeobachter auch manchmal die moralischen Limits – aber er selbst, der gebürtige Südafrikaner und Propagandist des sogenannten „Happy Slam“, ist mit sich und der Tenniswelt regelmäßig und auch aktuell im Reinen: „Unser Turnier hat eine glänzende Zukunft vor sich. Wir haben schwere Zeiten immer stark gemeistert.“
Seitdem Tiley in Melbourne in Amt und Würden ist, hat er sein Tun und Handeln stets mit einer scheinbar großen Standortgefahr begründet: Wenn Sportfunktionäre und die Politik nicht aufpassten, dann werde das Grand Slam-Spektakel unweigerlich in einen der Wachstumsmärkte in Asien oder in der Golfregion abwandern. Selbst in diesem Jahr, in der nächsten Corona-Krisenperiode, argumentierte der 60-jährige für liberale Regelungen bei den Australian Open, um ihren Status nicht zu gefährden. Die ganze Causa Djokovic entfaltete ihre zerstörerische Wirkung nur, weil Tiley und seine Crew bei Tennis Australia zunächst den kategorischen Eindruck vermittelten, kein ungeimpfter Spieler dürfe am Turnier teilnehmen. Nur um dann diskret Lobbyarbeit zu betreiben, vor allem mit dem Ziel, doch Ausnahmegenehmigungen zu erwirken – dabei schielte man ganz bewusst auf Frontmann Novak Djokovic. Bis heute wich Tiley allen Fragen aus, wieso Djokovic überhaupt eine dieser Ausnahmegenehmigungen erwirken konnte, obwohl er eine Antragsfrist am 10. Dezember 2021 verstreichen ließ.
Navratilova: "Erbärmlich"
In diesem Jahr lässt sich der sonst allgegenwärtige Oberhäuptling kaum einmal vor den Kameras der internationalen TV-Crews oder im Medienzentrum blicken. In der Djokovic-Affäre schwieg er tagelang, setzte dann zu einer phrasengespickten Verteidigungsrede an – und danach machte er als Spitzenmann auch keine gute Figur, als auf der Turnieranlage plötzlich Aktivisten und Fans mit „Wo ist Peng Shuai“-Schriftzügen auftauchten, in Erinnerung an den ungeklärten Fall der chinesischen Weltklassespielerin. Die Polizei musste auf Geheiß von Tennis Australia einschreiten, da der Verband ein verbotenes politisches Statement erkannte und nicht etwa den Hinweis auf einen Menschenrechtsfall von sexuellem Missbrauch. Tennislegende Martina Navratilova nannte das Vorgehen von Tiley und Co. „erbärmlich“ – inzwischen wurden die Slogans auf der Bekleidung der Fans erlaubt, auf Bannern blieben sie indes verboten.
Erstaunen konnte das Vorgehen der Australian Open-Verantwortlichen aber nicht wirklich. Denn der Grand Slam in Melbourne hat sich in jüngerer Vergangenheit zu einem gigantischen Kommerzspektakel verwandelt, bei dem auch und gerade chinesische Sponsoren eine wichtige Rolle spielen – unabhängig von den politisch komplizierten Verhältnissen zwischen Australien und China. Das Turnier sei zu einer Geldmaschine geworden, Moral und Traditionen spielten keine Rolle mehr, sagt ein ehemaliger Tennis Australia-Funktionär, der seinen Arbeitgeber wie viele andere zuletzt verlassen hat. Viele nahmen es Tileys Truppe auch übel, dass etwa im vergangenen Jahr eine Rekord-Preisgeldsumme an die Tennisstars mitten in der ersten schweren Corona-Krise ausgeschüttet wurde – und gleichzeitig keine Skrupel bestanden, noch öffentliche Subventionsgelder zu beantragen.
Highlight-Matches enden nach Mitternacht
Die Pandemie hat schwere Löcher in den Turnier-Haushalt gerissen, der Verband musste sich wiederholt frisches Geld über Kredite besorgen. Kein Wunder, dass die Spielpläne sich stets dem Diktat von finanzkräftigen Sponsoren und TV-Konzernen beugen müssen. So entsteht denn auch ein Zwiespalt bei den Profis und ihrem Begleittross – einerseits freut man sich über Preisgeldrekorde und die Erfüllung aller möglichen Wünsche während des Aufenthalts in Melbourne. Ärgert sich aber andererseits über die Spielansetzungen, die sich mehr und mehr in den späten Abend und die Nacht verlagern, um TV-Bedürfnisse auf fernen Märkten zu befriedigen. Matches, die weit nach Mitternacht enden, sind mittlerweile keine Ausnahme mehr, sondern tägliche Realität. In der zweiten Turnierwoche finden ohnehin fast alle relevanten Matches in Abendsessions statt.
Während das Turnier nun auf die Zielgerade einbog, hatte Tiley schon wieder den Blick nach vorne gewandt, zu den Australian Open 2023. Er sei sich sicher, so Tiley, dass Djokovic bei dem Turnier starten wolle, schließlich sei er „die Nummer eins im Tennis.“