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Australian Open: Ein Morgen mit Dominic Thiem

Dominic Thiem ist mit einem Drei-Satz-Erfolg gegen Mikhail Kukushkin in die Australian Open 2021 gestartet. (Hier könnt ihr die Partie in unserem Live-Ticker nachlesen). In Frage stand dieser Sieg nie. Tennis-Insider Marco Kühn hat sich die Partie genauer angesehen.

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 08.02.2021, 13:44 Uhr

Dominic Thiem nach seinem Sieg gegen Mikhail Kukushkin
© Getty Images
Dominic Thiem nach seinem Sieg gegen Mikhail Kukushkin

Dominic Thiem krallte sich an diesem wichtigen ersten Satz fest. Wer will schon den ersten Satz in der ersten Runde des ersten Grand-Slams der Saison verlieren? Und dann noch gegen Mikhail Kukushkin. Seinerseits bekannt dafür Spaß an großen Favoriten auf großen Plätzen zu haben.

Diesen Spaß bekam Thiem zu spüren. Zu Beginn des ersten Satzes war Thiem präsent, auffällig nah an der Grundlinie positioniert. Es schien, als hätte Thiem seine Komfortzone zwei Schritte nach vorn verlegt Beinahe im Agassi-Stil nahm er die Bälle früh, ging sogar einer ins Rückhand-Eck platzierten Vorhand ans Netz nach, um diese mit einem schüchternen Vorhand-Volleystopp Richtung T-Linie abzuschließen.

Kukushkin solide wie ein Fels

Der Spielverderber Kukushkin nahm Thiem diesen Spielspaß rasch von der Bespannung. Was dazu führte, dass Thiem seine offensive Ausrichtung, nah an der Grundlinie, vergaß.

Solide wie ein Fels stellte er Thiem immer wieder Aufgaben. Wenig unerzwungene Fehler, flinke Füße sowie die an Daniil Medvedev erinnernde Vorhand gruben sich in den Kopf des Österreichers. Dieser zeigte sich nur punktuell beeindruckt, indem er sich mit dem Rücken zum Gegner drehend mit dem Schläger im Gesicht kratzte. Ob Kukushkin dies sah? Und diese Beobachtung ihm Selbstvertrauen gab?

Thiem blieb in den Ballwechseln cool und selbstbestimmt. Er führte den Tanz der Ballwechsel. Er bestimmte das Tempo. Je stärker Kukushkin am Satzerfolg schnupperte, desto solider wurde Thiem. Unterscheidet diese Fähigkeit einen sehr guten von einem guten Spieler? Vermutlich schon.

Die Bombe platzt

Einen abgewehrten Satzball später platzte die Bombe im erkämpfen Tie-Break. Eine Rückhand-Longline brachte das beruhigende 4:2. Es war eine der Rückhände, bei der Thiem am Klang der Bespannung hörte, dass sie ein Winner ist. Das gab Selbstvertrauen und Sicherheit. Der Abschluss des ersten Satzes war nach diesem Befreiungsschlag ein entspannter Aufgalopp Richtung Runde zwei.

Der Spielverderber lässt nicht locker

"Jetzt sofort das Break!" sprach ich leise in das dunkle Wohnzimmer hinein. Doch Kukushkin wehrte sich mit seiner Medvedev-Vorhand, mit der er Thiem rechts-links jagte. Er ging mit 1:0 im zweiten Satz in Führung und zwang Thiem in der Folge zu einer aus dem Lauf heraus zelebrierten Vorhand-Longline, die jeder Hobbyspieler einmal im Leben treffen will. Es brachte nichts. Der Spielverderber Kukushkin krallte sich an den zweiten Satz wie Thiem an den ersten. Break vor Kukushkin. 2:0. Es stellte sich die Frage: Ist Medvedev die besser entwickelte Version von Kukushkin?

Vor drei Jahren hätte sich Thiem vermutlich noch den Kopf zerbrochen und dem Gegner durch Emotionen gezeigt, dass sein Kopf gerade zerbricht. Diese Zeiten sind Geschichte. Thiem blieb nach dem frühen Break des Kontrahenten kontrolliert und ruhig. Er holte sich direkt das Break zurück und schlug souverän zum 2:2 auf.

Nachdem zunächst die Bombe platzen musste, platzte der Knoten. Wer Tennis spielt kennt dieses Unbehagen beim Schlag, direkt nach dem Treffen der Filzkugel, beim Ausschwung. Dies ist der Moment, wo man keinen Einfluss mehr auf den Schlag hat. Ab diesem Moment gibt man seine Kontrolle ab. Wer unsicher ist, der ist ein Kontrollfreak. Das gilt nicht nur für den Tennisplatz. Unter Druck, im Turnier, sitzt exakt ab dem Treffen des Balles eine unsichtbare Blockade. Diese löst sich, sobald man sich die Anspannung aus dem Schlagarm gespielt hat. Dann fliegt der Schlägerkopf beinahe frei von Gedanken durch den Ball. Wer weniger während der Ballwechsel denkt, der spielt besser Tennis.

Parallel dazu baut sich beim Gegner nur ein paar Meter weiter, auf der anderen Seite des Netzes, genau diese Blockade auf.

Dieses Phänomen geschah ab dem 3:2 im zweiten Satz.

Die Suche nach dem Groove

Zu Beginn des dritten Satzes stotterte der Motor noch ein wenig. Tennis hat nicht nur beim Stoppball sehr viel mit Gefühl zu tun. Der Spieler, der sich wohler fühlt, geht aggressiver auf die Bälle zu und trifft die Kugel sauberer. Dieses gute Gefühl ist in jedem Match mit Arbeit verbunden.

Dominic Thiem ist ein harter Arbeiter. Das ist nicht nur auf das körperliche Training bezogen. Die ständigen Ups und Downs eines Matches fordern die Emotionen eines Spielers zu einem Kampf mit sich selbst heraus. Fünf Minuten kommt keine Vorhand. Während dieser fünf Minuten trifft der Gegner viermal die Außenkante der Linie. Bleibt man ruhig oder lässt man sich von diesem Hin und Her emotional mitreißen?

Thiem konnte im dritten Satz seinen endgültigen Groove für das Turnier noch nicht ganz finden. Immer mal wieder stand er zu nah am Ball. Einige Fehler waren zu viel. Nichts, was sich in der zweiten Runde nicht verbessern ließe, um den Groove endgültig zu finden.

Ein paar Fragen bleiben offen. Ist Daniil Medvedev großer Fan von Mikhail Kukushkin? Haben die beiden beim selben Trainer die Vorhand erlernt? Ist Kukushkin vielleicht der Trainer von Medvedev?

Eine Sache hingegen ist klar: Dominic Thiem hat dieses komplizierte Match wie ein Champion gelöst.

Hier könnt ihr die Partie zwischen Thiem und Kukushkin in unserem Live-Ticker nachlesen

Hier das Einzel-Tableau der Männer

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Thiem Dominic

von Marco Kühn

Montag
08.02.2021, 13:41 Uhr
zuletzt bearbeitet: 08.02.2021, 13:44 Uhr

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