Australian Open - Vertraute, fremde Bilder aus Down Under
Zurück zur Normalität im Tenniszirkus? In Australien steht der erste große Test des Jahres 2021 an.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
31.01.2021, 16:19 Uhr

Als am Freitag die ersten Bilder eines Tennis-Schaukampfs aus Adelaide den Rest der Welt erreichten, fuhr einem unwillkürlich der Schreck in die Glieder. Es waren vertraute und doch fremdartige Bilder eines nahezu vollbesetzten Stadions, in dem prächtige Stimmung herrschte und keine Masken von den Zuschauern getragen wurden. Corona, die alles überwältigende Krise, die Geisteratmosphäre im Sportgeschehen hierzulande, auf dem europäischen Kontinent und fast überall auf diesem Planeten – es war alles weit, weit weg. Sie wirkte wie eine Utopie, wie eine Fiktion, diese Aufführung in Adelaide. Und war doch real.
Denn man wird sich nun in den nächsten Wochen durchaus an diese Bilder gewöhnen dürfen, an diese Bilder, die alles andere als gefährlichen Leichtsinn zeigen. Anfang Februar wird in Australien nämlich ein Tennis-Monat starten, der auch und vor allem eins ist: Ein Ausdruck des erfolgreichen Kampfs auf dem Fünften Kontinent gegen die sonst so lähmende Pandemie. Zur Erinnerung: Australien verzeichnete in den letzten zwölf Monaten knapp 29.000 Infektionen und rund 900 Todesfälle. Im November und Dezember gab es wochenlang überhaupt keine Neuinfektionen. Deshalb ist Tennis möglich in Australien, Tennis mit vielen Zuschauern, mit erstaunlicher Kulisse. Tennis, das seinen Höhepunkt ab dem 8. Februar mit den Australian Open findet, dem traditionell ersten Grand-Slam-Turnier der Saison.
Australian Open - der Happy Slam
Es ist dann zunächst und auf absehbare Zeit auch der erste Event von globaler Tragweite, der beinahe wie immer stattfinden wird. Die Behörden im australischen Bundesstaat Victoria jedenfalls gaben am Wochenende bekannt, dass während der beiden Turnierwochen etwa 400.000 Zuschauer auf die Anlage am Yarra River strömen dürfen – 30.000 Zuschauer an den ersten acht Tagen, 25.000 Zuschauer dann täglich bis zu den Finals am 20. und 21. Februar. Was bedeutet, dass die Endspiele vor beinahe vollem Haus in der Rod Laver Arena über die Bühne gehen werden. „Es wird ein Freudenfest für unseren Sport werden“, erklärte Turnierchef Craig Tiley (59), „das wird eine grandiose Atmosphäre sein.“
Tiley darf die Austragung des Wettbewerbs, aber auch die Zulassung von vielen Zehntausend Besuchern als massiven Erfolg für sich und sein Organisationsteam verbuchen. Der ehemalige Profi und Coach hatte monatelang erbittert darum gekämpft, die Australian Open stattfinden zu lassen, auch in jenen Tagen, in denen das ganze Land noch im harten Lockdown war und kaum jemand ans Stattfinden des sogenannten „Happy Slam“ glaubte. Der gebürtige Südafrikaner setzte sich mit seiner generalstabsmäßigen Turnier-Operation auch über die teil scharfe Kritik „Down Under“ hinweg, die den Wettbewerb als unnötigen Luxus betrachtete und die Privilegien des Tenniszirkus vor dem Hintergrund beklagte, dass noch immer viele Australier wegen Limitierungen auf die Einreise in ihr Heimatland warten. Tileys eigentlich nicht gerade überzeugendes Argument, dem sich auch die Regierung Victorias anschloss, lautete dagegen: Findet das Turnier in diesem Jahr nicht statt, ist der Standort in Gefahr. Dann drohten die Australian Open nach Asien abzuwandern.
Nadal lobt die Organisatoren
Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt, auch jene Turbulenzen, die einige Profis verursachten, als sie nach der Ankunft in Australien über ihre verschärften Quarantänereglungen und auch mal über das angeblich unzureichende Essensangebot in ihrer abgekapselten Zwangslage lamentierten. Am Wochenende konnte Tileys Veranstaltungstrupp es einerseits als Erfolg verbuchen, dass in dem mit diversen Charterflügen antransportierten Profikontingent nur ein einziger Infektionsfall registriert worden war (die Spanierin Paula Badosa). Und dass andererseits doch recht schnell Vernunft und Einsicht im Tennis-Tingelbetrieb eingekehrt waren – man fügte sich in die Isolation und dankte auch immer wieder den Australiern, tatsächlich im Land sein zu dürfen. „Es gehört zu den größten Leistungen überhaupt der vergangenen Jahre, dass wir diese Turniere spielen dürfen“, erklärte Altmeister Rafael Nadal, der zu jenen gehörte, die am Freitag bereits bei dem Schaukampf in Adelaide auf den Centre Court marschieren konnten.
Natürlich werden die Turniere der nächsten Wochen alles andere als sportliche Normalität abbilden. Schließlich ist der Wanderzirkus in zwei Lager gespalten: Es werden Spieler auf dem Platz stehen, die eine relativ unkomplizierte Vorbereitungsperiode hinter sich haben – mit fünfstündigem „Ausgang“ pro Tag zum Trainieren und Fithalten inmitten der speziellen Quarantäne. Und solche, die sich, wie Angelique Kerber, wegen Infektionen auf den Charterflügen (auch bei Flugpersonal etc.) in eine schärfere Quarantäne begeben und zwei Wochen lang ihr Hotelzimmer nicht verlassen durften. Sie habe nicht „mehr allzu große Erwartungen“ an die Turnierwochen nun, sagt Kerber, „aber ich bin froh, wieder Tennis spielen zu können.“
Zverev beim ATP Cup
Niemand weiß so recht, was sie nächsten drei Wochen bringen werden. Vieles deutet auf einen Durchmarsch der Elitespieler hin, die sich unter angenehmeren Bedingungen in Adelaide auf die Turniere hatten vorbreiten können. Aber es könnte auch sein, dass viele aus der Verfolgermeute unbeschwert und mutig drauflos spielen, ganz einfach, weil sie nicht viel von sich erhoffen - und deshalb eine „umso größere Gefahr darstellen“, wie Schwedens Ex-Star Mats Wilander meint.
Viel Tennis gibt es schon in dieser Woche, sechs Turniere in Melbourne. So viele wie nie zuvor an einem Ort in einer Woche. Bei den Herren findet neben zwei ATP-Wettbewerben auch der ATP Cup statt, ein nicht ganz ununmstrittener Nationenkampf, der nun aber höchst willkommen scheint. Deutschland mit Alexander Zverev, Jan-Lennard Struff und dem Weltklassedoppel Kevin Krawietz /Andreas Mies trifft in seiner stark besetzten Vorrundengruppe auf Titelverteidiger Serbien und Kanada. Angelique Kerber, die Australian Open-Siegerin des Jahres 2016, startet bei der Grampians Trophy, die kurzfristig noch für die Spielerinnen etabliert wurde, die den zweiwöchigen härteren Lockdown hinter sich haben. Kerber preschte nach dem Ende der verordneten Isolationszeit umgehend, in der Nacht zum Samstag, auf den Trainingscourt. Ihr Turniereinsatz beginnt allerdings erst am Mittwoch.