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Südstadt inside, das große Interview

Die Kritik an ÖTV-Sportchef Gilbert Schaller in neuer Dimension: Erstmals werden alle Missstände aus der Insider-Perspektive geschildert.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 23.07.2010, 10:42 Uhr

Alex Pfann, Steirer, Jahrgang 1966, spielte selbst als Profi (Career High 661 im Jahr 1987), arbeitete später als Trainer – unter anderen mit Horst Skoff – und kam im Herbst 2007 zum ÖTV-Trainerteam unter Gilbert Schaller in die Südstadt. Pfann übernahm die ÖTV-Gruppe Nico Reissig, Marc Rath, Pascal Brunner, Gerald Melzer, zu Beginn war auch Philip Lang dabei und die Heeressport-Gruppe. Zwei Jahre später verließ Pfann den ÖTV.

Nun spricht er als Insider über die Hintergründe der Arbeit des Trainerteams unter Schaller, er berichtet detailliert von den strukturellen und personellen Schwächen und Problemen in der Kaderschmiede des Österreichischen Tennisverbandes, spricht Desinteresse, persönliche Eitelkeiten, Unprofessionalität an.

Pfann, seit fast einem Jahr nicht mehr beim ÖTV, spricht ohne Zorn, „ich will auch niemanden anschütten“, sagt er, „aber man muss endlich die Wahrheit sagen. Es geht mir darum, dass sich endlich etwas bewegt im Tennis in Österreich.“

Alex Pfann, Ex-ÖTV-Trainer, im tennisnet.com-Interview. Teil 1: Wie ein junger steirischer Trainer in Rekordzeit seine Motivation verlor.

Eine Anmerkung der Redaktion vorab: Wir haben uns dazu entschlossen, das ausführliche Gespräch mit Pfann aufgrund seiner Brisanz und der Vielzahl der wertvollen Einblicke in den Alltag der wichtigsten Kaderschmiede des österreichischen Tennis ungekürzt zu veröffentlichen. Aufgrund der Länge wird es in den kommenden Tagen in fünf Teilen zu lesen sein.


Alex Pfann, die Vorgeschichte: Da kommt ein Steirer zum ÖTV, ein junger Trainer, wahrscheinlich bis in die Haarspitzen motiviert …

… das kann man wohl sagen. Ich habe den Schilli Schaller gekannt, seit ich zehn war. Wir sind als Tennisspieler miteinander aufgewachsen. Ich habe ihn immer geschätzt als Mensch, bodenständig, ehrlich, da hat immer alles gepasst, und auch als Profi, als der er ja um Welten weiter gekommen ist als ich. Unter einem Sportdirektor Schaller arbeiten, diese Idee hat mir irrsinnig getaugt.

Klingt nach Aufbruchsstimmung – obwohl Schaller ja schon damals kaum Erfolge vorzuweisen hatte.

Ich war jedenfalls extrem motiviert. Und es war ja auch die Rede davon, dass ein internationaler Trainer kommt. Dass da Bedarf bestanden hat, war klar. Jürgen Hager, Thomas Weindorfer, Walter Grobbauer, Conny Gruber, Schilli und ich, wir waren international alle Nobodies als Trainer. Keiner von uns hat einen Spieler in die Top 50 oder Top 100 gebracht, weit davon entfernt.

Aber Motivation kann ja zumindest teilweise internationale Erfahrung aufwiegen.

Theoretisch ja. Aber die Stimmung war schon damals in der Profigruppe ziemlich schlecht. Im Sommer 2007, kurz bevor ich dazu gekommen bin, hat es einen Riesenkrach zwischen Weindorfer und Hager gegeben, das war eine Belastung für alle.

Nun ja, in jedem Team gibt es Meinungsverschiedenheiten.

In diesem Fall waren sie extrem. Mein Problem war: Hager und Weindorfer waren meine wichtigsten Ansprechpartner, weil ich ja die Gruppe dahinter betreut habe, die Jüngeren, Nico Reissig, Marc Rath, Pascal Brunner, Gerald Melzer, Philip Lang.

Und zu Beginn noch weitere Jugendliche …

… ja, Patrick Telawetz, Lukas Jastraunig und Yannick Weihs, die damals beim Bundesheer waren. Die sind mehr oder weniger übrig geblieben. Conny Gruber war ja zu den Mädchen gegangen, und Hager hat abgelehnt, mit den drei zu arbeiten.

Das waren dann acht Leute und ein Trainer. Klingt nach viel Arbeit.

In der Aufbauzeit von Oktober bis Dezember waren wir teilweise zu fünft beim Training auf einem Platz. Da ist es zugegangen wie bei einem Kindercamp in den Sommerferien. Das ist zwar ärgerlich und bei weitem nicht ideal, aber das sind organisatorische Dinge, die kann man in den Griff kriegen.

Wie war's atmosphärisch? Wenn Hager und Weindorfer nicht so gut miteinander konnten … in der Südstadt ist es ja nicht so wahnsinnig weitläufig.

Die Zusammenarbeit über die Gruppen hinweg hat ganz schlecht funktioniert. Weindorfer ist in die eine Richtung gegangen, Hager in die andere, ich bin als derjenige, der den Unterbau versorgen sollte, in der Mitte gestanden. In der Vorbereitung habe ich viel mit Walter Grobbauers Gruppe zusammen gemacht, mit Dominik Wirlend, Max Neuchrist, Tristan-Samuel Weissborn, das hat gut geklappt. Aber mit den oberen Gruppen leider gar nicht.

Quergefragt: Kommt es nicht eher auf das Gefüge innerhalb der Gruppen an als auf die Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen?

Nein, genau das wäre ja die große Stärke eines ÖTV in der Südstadt! Dass Spieler nicht nur von einem Trainer betreut werden, sondern dass auch das Know-how von anderen einfließt. Kein Trainer ist perfekt, man kann oft durch einen Input von einem Kollegen eine wichtige Anregung kriegen. Ist ja klar, dass acht Augen mehr sehen als zwei. Ich hätte mir gewünscht, dass man sich einmal in der Woche zusammensetzt, alle Trainer, und die Entwicklung der einzelnen Spieler analysiert. Ich habe gehört, dass das jetzt angeblich schon besser klappen soll – aber damals bin ich mit meinem Wunsch gegen eine Mauer gerannt.

Wieso hat das nicht geklappt?

Jede Gruppe hat ihren eigenen Brei gekocht. Das lag sicher auch an den Problemen zwischen den Trainern.

Deren Chef Gilbert Schaller konnte oder wollte da nicht eingreifen?

Konnte oder wollte nicht, genau.

Wie haben Sie das „System Südstadt“ kennen gelernt? Welchen Platz hatten Sie?

Ich war unter den Trainern ein wenig ein Außenseiter. Die Stimmung in meiner Gruppe war sehr gut. Ich habe den Ruf gehabt, dass ich zu locker bin, dass bei uns eine zu lockere Stimmung ist. Ich bin draufgekommen, dass das System relativ autoritär ausgerichtet war, da wurde von oben herab trainiert, die Trainer haben angeschafft, die Spieler mussten gehorchen. Wer nicht genug geschimpft hat, war kein guter Trainer. Ich sehe das halt anders. Trainer und Spieler müssen zusammen arbeiten, da muss es Vertrauen und Offenheit geben. Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass es im Spitzensport ohne Vertrauen keine Leistung geben kann.

Dagegen wird ja niemand was sagen.

Nun ja, ich bin schief angeschaut worden, als „der Hobbypsychologe“, weil ich mit meinen Spielern geredet habe, weil ich mittags mit ihnen in der Südstadt-Kantine war statt mit den anderen Trainern im Büffet zu essen. Ich wollte die Zeit auch in der Pause nützen, um meine Spieler besser verstehen zu können, weil ich sicher bin, dass man besser mit ihnen arbeiten kann, wenn man sie besser kennt.

Das sind nun alles Dinge auf einer atmosphärischen Ebene, …

… die für Spitzenleistung extrem wichtig ist, möchte ich noch einmal betonen.

Aber wie war die Arbeit in der Südstadt damals strukturiert?

Ein Durcheinander. Da hat jeder Trainer gemacht, was er für richtig gehalten hat. Die Trainingsplanung war gleich am Anfang ein Schock für mich. Da gab es im Oktober einen gemeinsamen Schwerpunkt Ausdauer und Kraft – nicht ideal, aber lass ich mir noch einreden. Und dann war aber zur selben Zeit noch Technik auf dem Platz zu trainieren. Das passt gar nicht mehr zusammen, damit man das weiß, muss man nicht Sportwissenschaften studiert haben. Da waren Spieler um sieben Uhr Früh in einem intensiven Krafttraining und sind nachher zu mir auf den Platz geschickt worden zum Technik-Training. Völlig sinnlos. Die sind auf dem Platz gestanden, als hätten sie einen Holzstock geschluckt. Ich verstehe, dass die Ressourcen eng waren, aber da sind am laufenden Band Dinge passiert, die von professionellem Training so weit weg sind wie ein VW Käfer von der Formel 1.

Roter Faden?

Nicht erkennbar. Es war zum Beispiel auch extrem problematisch, wenn ich mit einer Gruppe auf Turnierreise war und andere Spieler zurücklassen musste in der Südstadt. Wenn ich zurück gekommen bin, haben mich die Eltern angerufen und sich beklagt, dass das mit dem Training überhaupt nicht funktioniert hat.

Aber die Trainer sind doch allesamt erwachsene Leute. Da kann man miteinander reden und einander aushelfen.

Was wie gesagt einer der größten Vorteile von einem ÖTV sein könnte, dass immer jemand da ist, der Spieler professionell betreut. Das hat aber überhaupt nicht geklappt, eben weil jeder sein eigenes Süppchen gekocht hat. Wenn meine Spieler zu betreuen waren, das war wie ein Supplierunterricht in der Schule, so auf die Art von: Macht's ein paar Rätsel und seid's ruhig, bis die Stunde vorbei ist – Von gescheitem Training keine Spur.

Resigniert man da? Lehnt man sich auf? Eckt man an? Was haben Sie getan?

Im Sommer 2008 hab ich für mich erkannt, dass ich mit diesem System in der Südstadt nicht klar komme. Weil ich nicht davon überzeugt war, dass es das Bestmögliche für die Spieler ist. Und ich habe als Trainer immer gesagt: Das Allerwichtigste ist, dass ich meinen Spielern in die Augen schauen kann und sagen kann, dass alles für sie getan wird, was möglich ist, wirklich das Bestmögliche, 500 Prozent. Dass sie alle Chancen haben, ihren Traum vom Profi zu verwirklichen. Dass es, wenn es scheitert – und es muss ja bei vielen scheitern, es können ja nicht alle in die Weltklasse kommen –, dass sie dennoch alle Chancen gehabt haben.

Das war von Anfang an in der Südstadt nicht so, wenn man Ihren Ausführungen folgt.

Gar nicht. Ich war verzeifelt. Aber man darf als Trainer den Spielern niemals zeigen, wenn man zweifelt, weil sie ja sonst das Vertrauen ins System verlieren. Das wäre das Allerschlimmste.

Konsequent wäre gewesen, schon nach einem Jahr in der Südstadt aufzuhören. Sie haben aber ein zweites Jahr angehängt. Warum?

Ich habe mit Schilli oft gesprochen, habe ihm gesagt, was alles schief läuft. Für mich war klar, ich höre auf. Er hat dann gesagt, er weiß das alles. Er hat versprochen, dass alles neu wird, dass zum Beispiel Jürgen Melzer und Stefan Koubek ins Training eingebaut werden, dass ein neuer Konditionstrainer kommt, alles neu.

Und Sie haben sich überreden lassen weiterzumachen.

Ja. Ich hab gesagt, das erste Jahr war ein Lehrjahr, man kann ja nicht beim ersten Gegenwind aufgeben. Ich hab gesagt, wir geben im zweiten Jahr umso mehr Gas.

Ende Teil 1.

Lesen Sie morgen in Teil 2: Wie die Flucht der Spieler aus der Südstadt begann, der Crash beim Krafttraining, wieso Spieler nur in der Mittagspause auf die Plätze durften.

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