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Heute vor 15 Jahren: Kiefer, Schüttler und vier olympische Matchbälle

Bis in die Nacht zum 22. August 2004 kämpften Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler um Olympisches Gold - und mussten am Ende lernen, ihre Silbermedaille zu lieben. Erinnerungen an eines der nervenaufreibendsten Doppel aller Zeiten.

von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet: 22.08.2019, 20:45 Uhr

Nicolas Kiefer, Rainer Schüttler
© Getty Images
Nicolas Kiefer, Rainer Schüttler

Kiefer und Schüttler hatten es bis ins Finale des Olympischen Doppelturniers geschafft, es war an sich schon eine Sensation. Ihre Gegner: Fernando Gonzales und Nicolas Massu aus Chile. Gonzalez hatte sich bereits Einzel-Bronze gesichert, hatte nur drei Stunden zuvor in knapp dreieinhalb Stunden (mit 16:14 in Satz 3) Taylor Dent niedergerungen. Massu hatte das große Endspiel um Einzel-Gold einen Tag später vor sich./

Und dann kommt dieses Match, das so komisch beginnt. Denn von Müdigkeit ist bei Gonzales nichts zu spüren, und ohnehin spielen Massu und er kein Doppel, sie spielen zwei Einzel. Beide prügeln gemeinsam von der Grundlinie, Gonzales mit seiner Wahnsinns-Vorhand, die ein ums andere mal auf der Seite der Deutschen einschlägt - 4:0 steht es schnell, 6:2 gewinnen die Chilenen Satz eins. Und führen mit 4:2 in Durchgang zwei.

Kiefer wie aufgedreht

Aber Kiefer und Schüttler erholen sich, gewinnen die Sätze zwei und drei mit 6:4, 6:3, im Tiebreak des vierten Durchgangs führen sie mit 6:2. Vor allem Kiefer begeistert, feuert Schüttler und sich selbst immer wieder an, vier Matchbälle haben die beiden nun, das muss es gewesen sein.

Und dann geht einer nach dem anderen dahin. Beim ersten kreuzt Schüttler und wird mit einem Ball auf die Linie passiert, beim zweiten returniert Gonzales tief, beim dritten kriegen Kiefer und Schüttler die Kugel nicht tot, Massu passiert am Ende. Die größte Chance dann beim Aufschlag der Chilenen, als Schüttler einen Vorhand-Volley knapp hinter die Grundlinie legt. 9:7 gewinnen Gonzales und Massu den Tiebreak schließlich.

Dann kommt dieser verrückte fünfte Satz. Kiefer und Schüttler fangen sich direkt einen Aufschlagverlust ein - das war's, denkt man. Aber sie schaffen ihrerseits zwei Breaks zum 3:1. Plötzlich liegen wieder Gonzales und Massu mit 4:3 (mit Break) in Führung, abermals gleichen Kiefer und Schüttler aus. Ein 5:4 verpassen sie, wehren anschließend noch zwei Matchbälle ab, doch es reicht nicht mehr. Gonzales und Massu siegen um kurz vor 3 Uhr Ortszeit, mitten in der Nacht. Massu wird am Tag darauf auch gegen Mardy Fish gewinnen und den chilenischen Traum perfekt machen.

Kiefers Kindheitstraum

Vor allem das Bild von Kiefer bei der Siegerehrung bleibt einem für immer vor Augen, mit dem Lorbeerkranz und den ausgeweinten Augen. "So eine Chance kriegst du nie wieder", schluchzt er in der Pressekonferenz. Ausgerechnet Kiefer, der sonst so coole und oft unnahbar wirkende Niedersachse, wird so emotional wie nie zuvor, und man kriegt eine Vorstellung davon, wie wichtig vielen Spielern die von anderen geschmähten Olympischen Spiele mittlerweile geworden sind. Kiefer spricht über seinen Kindheitstraum und wie knapp alles war, immer wieder schaut er fast verachtend auf seine Silbermedaille.

Es braucht seine Zeit, bis auch Kiefer das Silber anders sieht. Heute ist er stolz darauf.  "Natürlich war es die schlimmste Niederlage und dennoch mein größter Erfolg. So scheinbar widersprüchlich kann der Sport sein", sagt er Jahre später im Gespräch mit tennisnet.com.

Auch wenn es in jener Nacht anders wirkte: Kiefer und Schüttler haben Silber gewonnen - und nicht Gold verloren.

von Florian Goosmann

Donnerstag
22.08.2019, 19:40 Uhr
zuletzt bearbeitet: 22.08.2019, 20:45 Uhr