Mental-Coach Michael Berrer beantwortet Fragen zur "Mentalen Gesundheit", Folge 2

Im zweiten Teil unserer Artikel-Serie beantwortet der ehemalige deutsche Tennisprofi Michael Berrer Fragen aus dem facettenreichen Themenbereich "Mentale Gesundheit".

von Stefan Bergmann
zuletzt bearbeitet: 20.02.2023, 20:02 Uhr

© (c) Sascha Feuster
Michael Berrer stand in seiner aktiven Karriere auf Platz 37 der ATP-Weltrangliste

Ex-DTB-Spieler Michael Berrer ist voll im Leben nach der Tenniskarriere angekommen. Der heute 42-jährige Stuttgarter, der in seiner aktiven Sportlerlaufbahn bis auf Platz 37 des ATP-Rankings klettern konnte, arbeitet heute als Unternehmensberater und Mentalcoach. Zu seinen Klienten gehören Sportler als auch namhafte Unternehmen wie Porsche. Ziel ist es für Berrer immer, das Potential seiner Kunden so weit wie möglich auszuschöpfen. Auch tennisnet.com stand und steht der Davis-Cup-Starter Rede und Antwort. In einer mehrteiligen Artikel-Serie gibt der sympathische Baden-Württemberger Einblick und Expertisen zum Thema "Mentale Gesundheit".

tennisnet.com: Beginnen wir die heutige Session mal mit einer richtig schönen Allgemeinfrage: Was kann man dennaus dem Sport ürs Leben mitnehmen?

Michael Berrer: Ich glaube ganz, ganz viel. Zuallererst mal Motivation, sich Ziele setzen. Ich brauche schon im Leben ab und zu mal Ziele. Das kann man nicht immer machen. Ich bin kein Freund davon zu sagen: ‚Was wollen Sie in fünf Jahren mal sein?‘ Das finde ich in der heutigen Zeit ein bisschen komisch. Aber man kann ja natürlich auch so arbeiten. Auf jeden Fall: Zielsetzung ist ganz, ganz wichtig. Was motiviert mich? Was treibt mich morgens aus dem Bett? Das war beim Tennis ja ein „no brainer“. Also ich wusste, ich muss jetzt auf die Laufbahn gehen, weil ich will ja in drei Wochen mit Nadal drei Sätze spielen können. Also in Konsequenzen denken. Wenn ich das jetzt tu, dann habe ich da zwar keinen Bock drauf, aber ich muss es machen. Das ist das Gleiche wie: Ich muss eine Rechnung stellen, damit ich in drei oder in acht Wochen mein Geld auf dem Konto habe. Das mache ich nicht gerne, aber das muss ich einfach. Also das heißt, da so in diesen Ketten denken. Ein Sportler muss immer in Ketten denken, auch langfristig. Ich mache mit 16 Jahren das, damit ich mit 20 on top bin.

Und wenn mal etwas nicht so klappt, wie es soll?

Dann sind wir beim Thema Widerstandsfähigkeit. Wie gehe ich mit Rückschlägen um? Und das ist für mich eines der wichtigsten Themen. Ich merke immer, wie Menschen komplett aus dem Ruder geworfen werden, wenn mal was nicht so klappt. Aber mal ganz ehrlich: Im Tennis ist es ja nicht anders. Wenn du am Dienstag verlierst, spielst du am Samstag, wenn es blöd läuft, schon in der Quali beim nächsten Turnier. Also Chancen gibt es genug, und ich muss relativ schnell einen Mechanismus finden, wie ich damit umgehe. Und ich habe für mich halt gemerkt, das Erste ist mal die Akzeptanz, zu sagen, okay, es ist jetzt so. Keiner kann die Zeit mehr zurückdrehen. Vielleicht kann man mal kurz analysieren, woran es lag. „Lessons learned“ ist auch nicht ganz unwichtig, macht man in den seltensten Fällen. Und dann aber auch abhaken und sich wieder auf das Nächste vorbereiten oder die nächsten Dinge tun, damit es wieder erfolgreich wird. Es ist eigentlich ein ganz einfacher Prozess. Und dann kannst du auch geradezu nicht mehr in eine Negativ-Phase kommen, weil du bist ja schon wieder mit dem nächsten Spiel beschäftigt. Das finde ich ganz enorm wichtig.
 
Man kann das Ganze ja vielleicht noch kleinteiliger sehen, weil im Endeffekt ist ja jeder Punkt, den man spielt eine Mini-Entscheidung. Wenn ich am Netz stehe, volliere ich jetzt nach rechts oder links? Und das kann natürlich in die Hosen gehen. Aber dann kann ich nicht sofort sagen, heute ist ein mieser Tag, sondern ich muss für den nächsten Punkt wieder ready sein. Das heißt, man muss sich da als Tennisspieler ja eigentlich ständig neu fokussieren, neu aufbauen. Und das ist ja sicher etwas, was man im im Privatleben wahnsinnig gut verwenden kann - oder auch im Berufsleben.
 
Absolut. Ich glaube, das ist eben das Gute am Sport. Du hast einen Vorteil, du kriegst eine direkte Konsequenz. Du kriegst ein sofortiges Feedback. Manchmal ist es nicht so, aber in den meisten Fällen schon. Und ich bin ein großer Verfechter des richtigen Mindset, dazu gehört ein gutes körperliches Auftreten, egal wie es eigentlich gerade um einen steht. Wenn du morgens in die Firma kommst und da sitzen sechs Leute mit dir im Büro, und du bist richtig schlecht drauf. Natürlich kannst du dann einfach der sein, der die Energie von allen rauszieht. Das kann passieren. Ich erwarte aber schon von den Leuten zu 80 %, dass sie mit einem guten Mindset reinkommen. Und sich dann aber auch jemanden suchen, wo sie sich mal auskotzen oder ausheulen können. Und das hat halt auch viel mit der Selbst-Gesprächsführung zu tun. Es ist immer wieder erstaunlich, wenn du in unteren Ligen bei Verbandsspielern unterwegs bist. Da wird jeder Ball kommentiert, da wird nur negativ geredet. Und das sind Dinge, die muss man üben. Das heißt, man muss üben, positive Selbstgespräche zu führen. Weil du bist ja dein bester Freund. Und wenn ich einen Vortrag vor 600 Führungskräften halten muss, dann rutscht auch mir das Herz in die Hose. Aber dann? Dann stelle ich mir halt vor, wie das danach super sein wird und wie die alle froh sein werden. Dann gebe ich mir noch mal die Doppel-Faust wie auf dem Tennisplatz, gehe da rein und mach es. Und ganz ehrlich: das Schlimmste, was passieren kann, ist in den meisten Fällen nicht so, dass die Welt davon untergeht, sondern dass irgendwas halt nicht passt.

Wenn man zu oft an das Schlimmste denkt, kann der Fokus ja nicht richtig ausgerichtet sein, oder?

So ist es. Im Sport musst du sehr schnell den Fokus auf Dinge richten können und auch ausblenden. Das ist heutzutage schon schwierig, finde ich. Eine Sekunde da auf Instagram, dann da auf der Website, dann da, da, da, … Das ist für mich schon ein Learning, es zu schaffen, Dinge, die nicht relevant sind, auszublenden und sich auf die wesentlichen Dinge, die wichtigen, zu fokussieren. Das beurteilen zu können, worauf ich die Aufmerksamkeit richten sollte. Das habe ich, glaube ich, im Sport gelernt. Und ich glaube, das ist sehr, sehr wichtig. Das heißt, da kann mir jemand recht reinschreien, mich irritieren wollen und ich versuche es zu schaffen, meine Aufmerksamkeit auf dem Relevanten gerichtet zu lassen Und das Vierte, was wir im Sport lernen können, - selbst als Tennisspieler - ist das Thema „Teaming“. Man stelle es sich so vor: Wir Tennisspieler bezahlen unsere Trainer, damit sie uns kritisieren. Aber ohne diese Kritik werde ich nicht besser. Also eine mega interessante Situation. Einige Firmen machen das mittlerweile sehr, sehr gut, dass sie ein eigenes Screening-Programm für Sportler haben, die sie in ihr Unternehmen holen. Weil letztendlich sind wir ja wie CEOs, die Leute bezahlen, damit sie uns als Berater besser machen. Und diese Erkenntnis ist so wahnsinnig wichtig: Dass man es alleine nicht schafft.

Wenn Du Fragen zum Thema "Mentale Gesundheit im Sport" hast, schicke sie uns gerne an: redaktion@tennisnet.com. Wir leiten Deine Frage (auf Wunsch anonym) an Michael Berrer weiter und werden sie in den kommenden Ausgaben hier veröffentlichen. Gemeinsam schaffen wir Bewusstsein für die Notwendigkeit von mentaler Gesundheit!

von Stefan Bergmann

Dienstag
21.02.2023, 09:55 Uhr
zuletzt bearbeitet: 20.02.2023, 20:02 Uhr