Raimund Stefanits zur neuen ITF World Tour: "Die Reform muss gekippt werden"

ÖTV-Vizepräsident Raimund Stefanits zeigt sich alles andere als erfreut über die neue ITF World Tour. "Die Reform muss gekippt werden", betont der 57-Jährige. Wie das gelingen soll, erklärt er im exklusiven Tennisnet-Interview.

von Nikolaus Fink
zuletzt bearbeitet: 11.02.2019, 13:21 Uhr

Seit Beginn des Jahres gibt es die neue ITF-Tour
© GEPA
Raimund Stefanits

Herr Stefanits, unter anderem hörte man bereits vom DTB kritische Stimmen gegenüber der Reform, vom Österreichischen Tennisverband war bislang wenig zu hören. Wie sieht der Standpunkt des ÖTV aus?

Raimund Stefanits: Ich finde es nicht richtig, was die ITF da macht. Man erschwert den Jugendlichen, ihrem Job nachzugehen. Es ist sehr ernst und wir als ÖTV haben versucht, entgegenzuwirken, indem wir Veranstalter suchen, die mit dieser World Tour umgehen können. Der ÖTV hat die Veranstalter der ITF-Turniere massiv unterstützt. Zum ersten Mal werden wir im Herren-Bereich ein 25.000-Dollar-Turnier in Vogau austragen. Bei diesen Events können wir die Spieler mit Wildcards ausstatten. Bei den Damen wird es zwei 25.000-Dollar-Turniere geben, eines in St. Pölten und eines in La Ville (Wien, Anm.). Das ist unsere Antwort auf die neue World Tour.

Worauf genau bezieht sich die Kritik an der neuen ITF World Tour?

Stefanits: Ich gehe hier mit Dirk Hordorff in fast allen Punkten mit. Die Verantwortlichen von der ITF haben sich überhaupt keine Gedanken gemacht. Wir haben Anfang des Jahres und man sieht schon jetzt, dass viele Spielerinnen und Spieler ihren Beruf nicht nachkommen können, weil es keine Plattform mehr für sie gibt. Ist ein Spieler nicht unter den ersten 100 in der Jugend-Weltrangliste (in Österreich gibt es derzeit weder bei den Burschen noch bei den Mädchen eine(n) Spieler/in, Anm.), gibt es keine Möglichkeit, bei den vielen Turnieren automatisch reinzukommen. Die Raster sind deutlich kleiner, es gibt weniger Turniere, daher wird es unglaublich schwierig werden, auf der Tour Fuß zu fassen.

Wie sieht bislang die Reaktion der österreichischen Spielerinnen und Spieler aus?

Stefanits: Es gibt unglaubliche Reaktionen: Wir haben beispielsweise heute (8.2.2019) eine Mail vom österreichischen Fed-Cup-Team aus Luxemburg bekommen. Es wird alle fünf Spielerinnen (Melanie Klaffner, Julia Grabher, Barbara Haas, Mira Antonitsch und Sinja Kraus, Anm.) betreffen. Es wird zudem die Spieler in der Südstadt und auch die Kaderspieler treffen. Die Spieler haben massive Probleme, überhaupt in die Turniere reinzukommen. Sie müssen teilweise wo hinfahren, wo sie nicht einmal wissen, ob sie mitspielen dürfen. Die Kosten sind natürlich dennoch da.

Via Social Media machten viele Profis auf die Verschlechterungen aufmerksam – unter anderem auch Kerstin Peckl, die die neue Tour als „Jobvernichtungsmaschine“ beschreibt. Was bedarf es, um den Spielerinnen und Spielern nach der Reform dennoch einen geordneten Einstieg in den Profialltag zu ermöglichen?

Stefanits: Es gibt für mich nur einen Weg: Die Reform muss gekippt werden. So schnell es geht. Da müssen alle Länder mitmachen. Zumindest einmal müssen wir es schaffen – und das muss schnell passieren – dass die Qualifikationen offen werden. Das ist für mich ansonsten echt eine Jobvernichtungsmaschine, wenn die Qualifikationen bei den Challenger-Events aus vier Personen bestehen und die Hälfte davon für Wildcards reserviert ist. Wie soll das funktionieren? Die Qualifikationen der ehemaligen Future-Tour waren teilweise offen und es konnten zumindest 64 Leute teilnehmen. Die Raster waren fast immer voll. Jetzt kommen sie mit 24 Leuten aus – da ist es unglaublich schwierig, reinzukommen.

Die Qualifikationen müssen offen werden.

Raimund Stefanits

In weiterer Folge gibt es auch für die Veranstalter Probleme. Wer soll sich das noch antun? In Österreich ist das große Problem noch nicht da, weil die Turniere von uns unterstützt werden. Wenn sie aber nach einem Jahr merken, dass es viel schwieriger geworden ist, ein Turnier auszutragen, wird es auch für uns schwieriger werden, Veranstalter zu finden. Diese Sorge habe ich natürlich und daher fordere ich vehement, dass man die Qualifikationen öffnet, damit die Spieler ihrem Beruf nachgehen können.

Sie haben erwähnt, dass es enger Zusammenarbeit zwischen den Verbänden bedarf. Wie lautet der Tenor bei den ausländischen Verbänden zu der Reform?

Stefanits: Ich kann nicht genau sagen, was meine Kollegen denken. Intern diskutieren wir aber selbstverständlich darüber, was wir jetzt machen können. Mir persönlich war bewusst, dass der Plan der ITF nicht funktionieren kann. Die Spieler sind die Leidtragenden, aber auch die Verantwortlichen. Es gibt schon viele Turnierveranstalter in Ägypten oder Griechenland, die sich das nicht mehr antun wollen. Sie sehen den wirtschaftlichen Nutzen nicht mehr, da die Qualifikationen und somit die Einnahmen durch Nenngelder eingeschränkt sind.

In Österreich werden 2019 sechs ITF-Turniere stattfinden. Im selben Zeitraum wird aber kein Challenger-Turnier über die Bühne gehen. Droht Österreich den Anschluss an die internationale Spitze zu verlieren?

Stefanits: Der Aufwand für ein Challenger-Turnier wäre einfach zu hoch. Ich bin außerdem der Meinung, dass Einsteiger sich auch nach einem Challenger-Turnier weiterentwickeln müssen und nicht regelmäßig in der Lage sind, dort zu punkten. Die Besetzung bei den Challengern wird enorm stark werden. Der Cut-Off wird bei 250 oder darunter liegen. Rodionov, Miedler, Novak oder Gerald Melzer können dort ja ohnehin mitspielen. Für sie wird es auch nicht einfacher werden, aber sie haben zumindest die Möglichkeit, ihrem Beruf nachzugehen.

Der Aufwand für ein Challenger-Turnier wäre zu hoch.

Raimund Stefanits

Ein Challenger-Turnier hat meiner Meinung nach für uns auch nicht die Wertigkeit wie ein 15.000- oder 25.000-Dollar-Event, da diese von den jungen Spielern mehr gebraucht werden. Wir brauchen in erster Linie Spieler, die auf die Tour kommen und das kann nur über diese Events erfolgen. Daher haben wir mit Wels, Telfs und Krambach drei 15.000-Dollar-Turniere, die vom ÖTV unterstützt werden und bei denen jeweils eine Wildcard an einen Österreicher vergeben wird.

Als Hauptkriterium für die Einführung der neuen Tour wurde unter anderem der Kampf gegen Wettbetrug angeführt. Wie stehen Sie zu dieser Argumentation?

Stefanits: Für mich ist das ein bisschen zu einfach. Natürlich müssen wir alle zusammen den Wettbetrug bekämpfen, das ist gar keine Frage. Speziell im unteren Bereich muss man Wetten verbieten, weil dort sind Tür und Tor offen. Im ehemaligen Future-Bereich gehört das definitiv untersagt. Aber diese Begründung der ITF ist mir trotzdem zu wenig, denn damit schränkt man unglaublich viele Spieler ein. Wir als österreichischer Tennisverband können das auf gar keinen Fall gutheißen.

Können Sie der Reform trotz der Kritik auch Positives abgewinnen?

Stefanits: Nein. Die Reform muss gekippt werden oder gehört zumindest ausgebessert. Wenn die ITF zeigen wollte, wie mächtig sie ist, dann gut... Wir müssen es jetzt zusammenbringen, dass die Qualifikationen größer werden und die Spieler ihren angestrebten Beruf ausüben können. Ich habe wirklich Sorge, dass unsere Spieler mit 19 oder 20 Jahren keine Perspektive mehr sehen und aufhören. Es ist nicht unsere Absicht, dass sie auf der Hobby-Tour landen. Zwischen Challenger-Tour und ehemaligen Future-Events wird eine enorme Kluft herrschen und das müssen wir ändern. Wir in Österreich werden nicht in der Lage sein, zehn 25.000-Dollar-Turniere zu veranstalten. Unser Anspruch ist es, die jetzige Anzahl zu halten – das wird unter den verschärften Rahmenbedingungen ohnehin schwer genug werden.

Welche konkreten Initiativen wird der ÖTV als Verband ergreifen, um diese Reform rückgängig zu machen?

Stefanits: Wir werden ein offizielles Schreiben an die ITF richten, in dem wir sagen, dass wir im Austausch mit anderen Verbänden stehen. Unter anderem sind das Deutschland, Serbien und Tschechien. Noch einmal: Das Ganze war von der ITF schlecht vorbereitet. Bis zum Schluss haben wir nicht gewusst, was genau passiert. Die Idee war für mich nicht ausgereift, das sieht man auch an der permanenten Namensänderung der Tour oder daran, dass man ab dem kommendem Jahr keine Punkte für die ATP-Weltrangliste erhält. Die Kämpfe zwischen der ATP und der ITF müssen aufhören, schließlich geht es um das Wohl unserer Spieler. Das bleibt derzeit auf der Strecke.

von Nikolaus Fink

Freitag
08.02.2019, 18:00 Uhr
zuletzt bearbeitet: 11.02.2019, 13:21 Uhr