Tennis-Kommentator Markus Theil im Interview: "Man muss diesen Job lieben und leben"

Tennis-Kommentator Markus Theil über die unterschiedliche Arbeit auf kleinen und großen Tennisturnieren, das Kommentieren mit Experten und Geschichten über geschrubbte Motorboote.

von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet: 18.06.2023, 16:47 Uhr

Markus Theil
Markus Theil

Markus Theil (55) ist eine der bekanntesten Tennisstimmen in Deutschland, er ist unter anderem für Servus TV und Eurosport im Einsatz. Theil ist selbst ein Könner auf dem Platz, war unter anderem in der 2. Tennis-Bundesliga aktiv. Als Kommentator feiert er aktuell sein 25-jähriges Jubiläum.

Markus, wir sprechen hier beim ATP-Turnier in Stuttgart, das du für Servus TV kommentierst. Ist es im Vergleich zu Grand-Slam-Turnieren entspannter, ein kleineres Turnier zu begleiten?

Es ist wesentlich entspannter. Zum einen ist die Matchzuteilung einfacher, sie kommt früh, die Auswahl ist nicht so groß. In Stuttgart waren wir die Woche über zwei Kommentatoren für vier Matches, Philipp Eger und ich. Dazu zwei Experten. Das ist überschaubar. Bei den Grand-Slam-Turnieren für Eurosport gibt es verschiedene Modelle mit Eurosport 1 und 2, dazu Discovery plus, mit dem Exklusiv-Fenster für die deutschen Spielerinnen und Spieler. Während der vergangenen French Open hatte ich zudem sieben verschiedene Experten, die zugeteilt wurden./

Könnt ihr als Kommentatoren auch Wünsche äußern, welche Spieler oder Matches ihr gerne hättet?

In Stuttgart mit Servus TV gab es diese Option, aber es hat sich eingespielt, dass unser Redaktionsleiter einteilt. Wir hatten anfangs diskutiert, ob wir lieber zwei Matches am Stück machen wollen, oder lieber das erste und dritte oder das zweite und vierte. Wir haben uns darauf geeinigt, lieber eine Pause einzulegen. Bei Eurosport während der Grand-Slam-Turniere kommt es eigentlich nicht vor, dass wir Wünsche äußern. Das Programm und die Zuteilung sind zu komplex, es ist speziell an den ersten Tagen zu viel. Wenn jeder noch Wünsche hätte, würde es alles extrem komplizieren. Man muss diesen Job ohnehin lieben und leben. Es gibt quasi keine Partie, zu der ich sagen würde: Nee, die will ich nicht kommentieren.

Mit Eurosport seid ihr nicht mehr vor Ort bei den Grand-Slam-Turnieren. Wie ist die Arbeit aus München im Vergleich zu Melbourne, Paris oder New York?

Natürlich geht fast nichts darüber, live vor Ort zu sein. Dennoch haben beide Varianten ihre Vor- und Nachteile. In den Kabinen im Court Philipp-Chatrier in Paris war es früher extrem eng, nach den Umbauten hatten wir viel mehr Platz. In New York ist die Klimaanlage wiederum heftig: Alle Europäer versuchen immer, sie mit Pappkartons abzudecken, weil sie brutal kalt ist (lacht). Das Schöne vor Ort ist, dass man die internationalen Kollegen trifft: Man sitzt neben Eurosport Frankreich oder Eurosport England oder neben Kollegen aus China. Das ist hilfreich, die wissen über ihre Spieler ja mehr. In München hingegen haben wir ein super Studio mit vielen Kommentatoren-Kabinen – das ist ein großer Vorteil. Auch der ständige Anwesenheitsstress fällt weg, und der ist bei Grand-Slam-Turnieren enorm: Man ist den ganzen Tag auf der Anlage, trifft extrem viele Leute und hat ständig das Gefühl, noch jemanden ansprechen zu müssen. Das ist einerseits toll, zehrt aber auch an einem.

Vor Ort ist es aber ein Vorteil, die Profis selbst oder ihre Teams zu treffen, also Infos aus erster Hand einzuholen, oder?

Klar! Das Internet macht vieles möglich, aber es geht nichts über die direkte Quelle. In Stuttgart habe ich versucht, die Spieler oder Trainer am Vortag abzuklappern – am Spieltag selbst ist das schwierig. Von Kontakten aus den Zeiten vor Ort profitiere ich heute noch sehr. Profis, die neu hochgekommen sind, habe ich teils noch nicht persönlich kennengelernt. Dann muss man über das Management gehen, was schwieriger ist. Nicht im deutschsprachigen Raum, aber mit Südamerikanern beispielsweise, die einen nicht kennen. Kleinere Turniere wie Stuttgart sind ein großer Vorteil: Hier kann ich mich mit dem Trainer auch am Hotel oder Trainingsplatz verabreden. Vor einem Jahr habe ich zum Beispiel den Trainer von Lorenzo Musetti kennengelernt, stand immer wieder mit ihm in Kontakt. Diesmal war er nicht hier, aber ich konnte mit ihm telefonieren. Das war amüsant: Er hatte in Erinnerung, dass ich Italienisch spreche, aber das ist doch sehr brüchig (lacht). Übers Telefon ist es schwieriger, sich Feinheiten erklären zu lassen – im direkten Austausch vor Ort, mit Gesten, geht das besser.

Wie bereitest du dich auf Matches von Spielern vor, die noch recht unbekannt sind?

(überlegt) Der erste reguläre Weg ist es, auf die News durchzuschauen – bei unbekannten Spielern findet man aber nicht viel. Zudem gibt es zu jedem Match die „Media Notes“ auf der ATP-Seite. Das sind aber teils nur fünf, sechs Stichpunkte. Ich überlege dann: Wen kennst du aus dem Umfeld? Oder aus dem selben Land? Auch an Journalisten oder Sportlern. Oft haben unbekannte Spieler wiederum Physiotherapeuten, mit denen man schon mal in Kontakt stand und die einen weiteren Kontakt geben können. Auch die Managements wissen meist, welche Spieler von wem betreut werden. Dann kommt das Internet. Ich lese viele Tennisartikel aus internationalen Zeitungen und Zeitschriften, und habe zum Beispiel ein Digital-Abo von L’Equipe. Man muss zudem schauen, wie man googelt. Nur mit dem Namen kommt man oft nicht voran, es braucht weitere Stichworte. Auf den Webseiten von Turnieren, bei denen die Spieler erfolgreich waren oder gewonnen haben, findet man oft Siegerinterviews, die einen weiterbringen. Es ist wie ein Puzzle, das man nach und nach zusammenfügt. Was mir hilft: Ich archiviere alles, habe jeden Spieler in einer Datei. Die überfliege ich immer mal wieder und schaue, was vor ein paar Jahren los war.

Ist das Kommentieren von bekannten Spielern einfacher oder besteht hier wiederum die Gefahr, alte Geschichten oft zu wiederholen?

Die Gefahr besteht vor allem, wenn man einen Spieler mehrmals pro Woche kommentiert. Man muss sich einteilen, was man erzählt. Ohnehin ist die Dosierung entscheidend. Wenn es eine kurze, fachliche Info ist, vom Trainer beispielsweise, kann man sie ruhig öfters erzählen.

Hast du ein Beispiel?

(überlegt) Wenn beispielsweise Michael Russell über Taylor Fritz sagt, dass Rasen sein Lieblingsbelag ist und er sich als einen der weltbesten Spieler darauf sieht, kann man das durchaus mehrmals bringen. Andere Geschichten hingegen nicht. In Stuttgart fiel mir vor einem Match von Marton Fucsovics ein, wie er einst mit Roger Federer zusammenstand, Rogers Söhne angekommen sind und gefragt haben: „Papa, wann hörst du auf, Tennis zu spielen?“ Und Roger zeigte auf Fucsovics und sagte trocken: „Wenn der mich mal schlägt!“ (lacht) Super-lustig natürlich, aber das kann man nicht jedes Mal erzählen. Ich plane auch nicht, welche Geschichte ich bringe. Zum Glück habe ich ein ganz gut funktionierendes Gehirn, das viele Dinge verknüpft.

Also auch Gefühlssache?

Absolut, und manchmal ergibt sich eine Story von selbst. Das Halbfinale von Jan-Lennard Struff habe ich mit Tommy Haas kommentiert, und Tommy hatte seine Kappe auf, verkehrt herum. Und er ist der Grund, warum „Struffi“ sie ebenfalls so trägt – weil Tommy sein Vorbild war! Das ist keine neue Geschichte, aber in dem Fall hat sie sich angeboten. Nicht jeder Zuschauer ist solch ein Hardcore-Fan und weiß, dass ich sie vor einem Jahr schon mal erzählt habe.

Tommy Haas mit Kappe rückwärts: Das hat auch "Struffi" nachhaltig beeindruckt
© privat

Tommy Haas mit Kappe rückwärts: Das hat auch "Struffi" nachhaltig beeindruckt

Wann im Match kann man solche Storys erzählen und wann besser nicht?

Wenn keine Werbung läuft, ist der Seitenwechsel optimal. Aber auch das Bild muss passen. Wenn ich über Spieler A erzähle und Spieler B wird eingeblendet, wirkt es komisch. Meist haben wir keinen Zugriff auf die Bilder. Ich kann nicht sagen: Jetzt zeigt mir mal den! Das funktioniert nur bei Turnieren, bei denen der Fernsehsender auch der „Host“ ist, die Kameramänner uns hören und reagieren. In Kitzbühel, mit Servus TV, ist das zum Beispiel möglich. Generell muss die Geschichte halt passen.

Wie ändert sich das Kommentieren, wenn du einen Co-Kommentator hast?

Es hängt davon ab, ob man sich schon kennt oder noch aneinander gewöhnen muss. In Paris hatte ich sieben verschiedene Leute neben mir: Boris Becker, Barbara Rittner, Mischa Zverev, Markus Zoecke, Charly Steeb, Andrea Petkovic und Sebastian Sachs. Alles unterschiedliche Persönlichkeiten mit unterschiedlicher Emotionalität und einem anderen Ansatz. Eine große Herausforderung, wie man da herangeht. Mit Charly und Sebastian hatte ich noch nie gearbeitet. Man muss vorfühlen, wie nah die Experten an den Spielern sind und wie sie Matches analysieren.

Mit Boris Becker, Barbara Rittner, Mischa Zverev arbeitest du hingegen schon länger zusammen.

Ja, und da war es ganz entspannt. Mit Barbara arbeite ich seit vielen Jahren zusammen, wir sind auf einer Wellenlänge, verstehen uns auch off-court sehr gut, haben auch schon mal zusammen den Schläger geschwungen während eines Grand-Slam-Turniers. Mischa stellt einem als Kommentator auch mal überraschende Fragen. Das machen wenige, aber auch das macht Spaß. Boris ist super darin, die Taktik zu lesen. Er weiß genau, was im Kopf des Spielers vorgeht. Bei ihm versuche ich gerne, Parallelen zu seiner aktiven Zeit zu finden. Das ist für mich ein großer Spaß und Boris erzählt die tollsten Geschichten. In Paris gab es in diesem Jahr extrem viele Fünfsatzmatches in den ersten Runden, auch bei den Frauen ging es extrem lange. Da muss man die Konzentration hochhalten, und da hilft es auch, wenn man einen Co-Kommentator an der Seite hat.

Servus-TV-Kollegen: Markus Theil mit Christopher "Kasi" Kas beim ATP-Turnier in Stuttgart
© tennisnet

Servus-TV-Kollegen: Markus Theil mit Christopher "Kasi" Kas beim ATP-Turnier in Stuttgart

Muss man sich manchmal zurückhalten, um den Experten gut dastehen zu lassen?

Ich hatte nach einem Match nie das Gefühl: Oha, heute hatte ich selbst ja gar nichts zu erzählen. Man spürt, wenn man ein Stichwort bringt, ob der Experte die Story kennt. Mit Christopher Kas hatte ich in Stuttgart die Situation zu Christopher O’Connell. Der hatte während seiner Verletzungszeit bei seinem Bruder in Sydney Motorboote geschrubbt. Da habe ich Kasi zum Spaß gefragt: „Hast du schon mal Motorboote geputzt?“ Kasi war gleich dabei, wie immer top vorbereitet: „Meinst du Sydney?“ Dann erzählt man die Geschichte zusammen. Ansonsten bringt man sie alleine. Wir sprechen uns in solchen Dingen nicht ab, wir reagieren spontan.

Führt ihr intern Diskussionen, wie parteiisch ihr sein dürft? Im Fußball, bei Länderspielen oder generell Team-Events, ist es ja eine Sache – Tennisspieler aber sind Einzelsportler, bei denen die Nationalität nicht die große Rolle spielen sollte.

Vom Sender gibt es dazu keine Vorgaben. Natürlich hegt man manchmal eine gewisse Sympathie für eine deutsche Spielerin oder einen deutschen Spieler – allein, weil man sie oder ihn besser kennt. Aber wir respektieren beide Sportler gleichermaßen. Wahrscheinlich ist die Erwartungshaltung zu Hause ähnlich. Mir wurde noch nie vorgehalten, zu parteiisch zu sein – auch wenn ich mir darüber selbst oft Gedanken mache. Wir drücken das auch aus, indem wir sagen: „Wir sind natürlich ein bisschen auf der Seite von…“ Auch wenn Mischa seinen Bruder kommentiert, herrscht großer Respekt vor dem, was der Gegner macht. Wir haben nicht nur die deutsche Brille auf – dafür liebe ich den Sport auch viel zu sehr.

Markus, vielen Dank für deine Zeit und alles Gute!

von Florian Goosmann

Sonntag
18.06.2023, 15:07 Uhr
zuletzt bearbeitet: 18.06.2023, 16:47 Uhr