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Wenn Daniil Medvedev mit dem Gegner Eckenrechnen spielt

Was macht Daniil Medvedev so erfolgreich? Unser Tennis-Insider verrät es euch!

von Marco Kühn
zuletzt bearbeitet: 09.02.2021, 12:18 Uhr

Daniil Medvedev
© Getty Images
Daniil Medvedev

Stell dir vor, die Top 20 sind eine Schulklasse. Jeder hat in verschiedenen Disziplinen seine Stärken. Alex ist verdammt gut in Geschichte und malt die coolsten Comicfiguren. Karen ist stark im Sport und schafft 50 Liegestütze. Novak versteckt am cleversten seine Spickzettel und ist ein Mathegenie. Und dann ist da einer, der unauffällig alles mitmacht. Doch beim prestigereichsten Spiel, dem Eckenrechnen, weiß er immer die richtige Antwort. Und nicht nur das: Er findet diese Antwort auch immer am schnellsten.

Es ist zum Haare raufen

Beim Eckenrechnen gewinnt der, der am schnellsten die Aufgaben löst, die Konkurrenz hinter sich lässt und wieder in seiner Ecke steht. Daniil Medvedev tut exakt das auf dem Tenniscourt. Er wartet die Aufgaben des Gegners ab, löst diese blitzschnell und holt sich anschließend die Gratulation am Netz ab. Es ist für jeden Gegner zum Haare raufen, wenn er bei eigenem Aufschlagspiel und 15:30 dreimal in Folge den ersten Aufschlag direkt auf die Linie serviert. Es muss nerven, wenn er urplötzlich vorn am Netz steht, obwohl er die 45 Minuten zuvor nicht einen Volley gespielt hat. Wir untersuchen jetzt zwei Schritte im Spiel des stoischen Russen, um sein Erfolgsgeheimnis ein Stückchen enthüllen zu können.

Die "Ich schaue, was du tust"-Formel

Die Besten im Eckenrechnen nehmen bereits die Sprint-Haltung ein, während die Aufgabe noch formuliert wird. Ähnlich fokussiert analysiert Medvedev seinen Gegner. Er krabbelt in dessen Kopf, versteht seine Spielidee und findet blitzschnell Lösungen für diese Ideen. Wenn sein Kontrahent versucht, mit Netzangriffen die zermürbend langen Ballwechsel zu umfahren, dann weiß Medvedev nach drei Netzangriffen, wohin der erste Volley kommt. Wer denkt, dass Daniil mehr Fehler auf langsame Slice-Bälle macht, der wird schnell eines besseren belehrt. Warum Medvedev auch auf Tempowechsel sofort die richtige Antwort kennt, das klären wir im nächsten Abschnitt.

Es gibt im Tennis die Spieler, die selbst das Tempo vorgeben. Sie sind die, die agieren. Dazu zählen Dominic Thiem, Roger Federer oder auch Karen Khachanov. Dann gibt es die Jungs, die sich darauf spezialisiert haben auf dieses vorgegebene Tempo zu reagieren. Dazu gehören Novak Djokovic und eben Daniil Medvedev. Sie schauen, was der Gegner macht. Sobald sie das wissen, geben sie spielerische Antworten.

Daniil Medvedev ist niemand, der den Gegner vom Platz schießt. Er ist der, der den vom Platz schießt, der ihn vom Platz schießen möchte. Wie er dies von seiner geliebten Grundlinie praktisch umsetzt, das schauen wir uns jetzt an.

Die volle emotionale Kontrolle

Was unterscheidet Nick Kyrgios von Daniil Medvedev? Alles. Während Kyrgios wie ein Lausbub all seine kreativen, spielerischen Kunststücke vorführen möchte, spielt Medvedev die Filzkugel zum 19. mal humorlos durch die Mitte. Während Nick die Augen rollt, mit einer seiner vielen Persönlichkeiten diskutiert oder den Schiedsrichter noch mit in die Unterhaltung einbindet, steht Daniil gelangweilt fünf Meter hinter der Grundlinie und erwartet den gegnerischen Aufschlag.

Diese totale emotionale Kontrolle, von einigen auch gern "Langeweile" genannt, ist eine der größten Stärken im Spiel von Medvedev. Diese Kontrolle ermöglicht es ihm sein bestes Tennis zu spielen. Wie sieht dieses beste Tennis aus? Er spiegelt das Spiel des Gegners. Djokovic tut dies ebenfalls sehr gern. Vor allem dann, wenn er sich seiner selbst nicht ganz sicher ist. Medvedev hat auf dieser Idee seine gesamte Spielweise aufgebaut. Man kann sagen, er hat Djokovic beklaut.

Nun fragst du dich, was das Spiegeln des gegnerischen Spieles ist. Dazu hier einige Beispiele aus der Medvedev-Praxis:

Der Gegner spielt schnell in die Rückhand von Medvedev. Medvedev spielt schnell in die Rückhand des Gegners.

Der Gegner spielt einen Rückhand-Slice durch die Mitte. Medvedev spielt einen Rückhand-Slice durch die Mitte.

Der Gegner spielt schnell und flach. Medvedev spielt schnell und flach.

Der Gegner spielt halbhoch, mit viel Spin, auf die Rückhand. Medvedev spielt halbhoch, mit viel Spin, auf die Rückhand.

Das wäre zu einfach, oder? Richtig. Deswegen hat der gewiefte Russe dieser Idee noch ein paar Rätsel für die Konkurrenz hinzugefügt. Diese Rätsel nehmen auf dem Court die spielerische Gestalt in Form von Stopps, Netzangriffen, Vorhand-Inside-Out-Geschossen und einer hohen Variation beim Aufschlag an.

Was der Hobbyspieler lernen kann

Ein Fazit ist oft dröge. Lass uns lieber schauen, was du als Hobbyspieler von diesem cleveren Typ lernen kannst. Die emotionale Kontrolle ist ein langfristiger Prozess. Du kannst mal für dich herausfinden, was dich im Match triggert. Das Verhalten des Gegners? Leichte Fehler zu Beginn eines Matches, die dich unruhig machen? Starke Vorhände des Gegners, die du kaum auf deiner Bespannung kontrollieren kannst?

Finde drei Triggerpunkte. Sobald du diese hast, gehst du in den nächsten Schritt. Du analysierst, warum dich was triggert. Wer schnell verunsichert ist, hat zu geringes Selbstvertrauen. Wer sich über die Spielweise des Gegners aufregt, der fühlt sich bei seinen Schwächen ertappt. Wer schnell vom Gegner beeindruckt ist, der redet sich selbst klein und im selben Schritt den Gegner stark.

Taktisch kannst du dir die im Kern simple Spielidee von Daniil Medvedev anschauen. Viele Clubspieler wollen im Turnier zu viel aus dem Training umsetzen. Sie wollen wenig Fehler machen, viele Winner schlagen und 90 Prozent erste Aufschläge treffen. Das ist löblich, aber unrealistisch. Nimm dir lieber vor weniger Fehler als der Gegner zu machen.

Daniil Medvedev würde dir vermutlich genau dies für dein nächstes Match raten.

Mehr vom Tennis-Insider findet ihr hier!

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von Marco Kühn

Dienstag
09.02.2021, 13:10 Uhr
zuletzt bearbeitet: 09.02.2021, 12:18 Uhr

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