Wildcards – die stetige Qual der Wahl

Während die rekordverdächtige Anzahl an Wildcards auf ATP-Ebene für Andy Murray fast überall als selbstverständlich angesehen wird, lässt das 100er-Jubiläum von Petros Tsitsipas beim Turnier in Madrid die Dauerdiskussion um die direkte Startberechtigung wieder aufleben.

von Dietmar Kaspar
zuletzt bearbeitet: 02.05.2023, 23:32 Uhr

Andy Murray kämpfte sich auch dank vieler Wildcards wieder nach vorne.
© Getty Images
Andy Murray kämpfte sich auch dank vieler Wildcards wieder nach vorne.

Für den wahren Tennis-Insider beginnt das Kribbeln vor einem Turnier weit vor dem ersten Aufschlag. Neben dem genauen Mustern der Meldeliste erwartet er mit Spannung, welche Spieler:innen in den Genuss kommen, per Wildcard direkt beim Turnier zu starten. Für Veranstalter und Turnierdirektoren gilt es, die unterschiedlichen Aspekte der Vergabe genau abzuwägen und letztlich die oft „undankbaren“ Entscheidungen zu treffen.

Combeback-Unterstützung für große Namen

Eine wesentliche Aufgabe auf Veranstalterseite ist es natürlich, das Event mit einem attraktiven Starterfeld über die Zuschauereinnahmen zu refinanzieren. Insofern ist es eine nachvollziehbare Praxis, namhaften Spielern eine Wildcard zu gewähren, die nach längeren Verletzungen aufgrund ihres aktuellen Rankings nicht im Feld vertreten wären. In Deutschland wurde die Thematik 2004 erstmals heiß in der großen Öffentlichkeit diskutiert, als der mit zahlreichen Davis Cup-Erfolgen dekorierte Erfolgscoach Niki Pilic im Zuge seiner Tätigkeit als Turnierdirektor beim ATP-Turnier in München seinem Landsmann Goran Ivanisevic als ehemaligem Wimbledonsieger auf Abschiedstour den Vorzug gegenüber Nachwuchsspieler Florian Mayer gab, der sich kurz davor beim Turnier in Estoril mit seiner ersten Halbfinal-Teilnahme auf der ATP-Tour bekannt machte.

Auch Murray und Wawrinka mit Bonus als Grand Slam-Champions

Mit Andy Murray kam in den letzten Monaten ein weiterer Wimbledon-Champion in den Genuss zahlreicher Wildcards. Insgesamt stehen für den Schotten in seiner Karriere 54 direkte Startberechtigungen auf ATP-Ebene, alleine 30 Stück seit dem Comeback nach seiner Hüftoperation, zu Buche. Einen entspannteren Ansatz verfolgte der dreifache Grand Slam-Sieger Stan Wawrinka nach seiner langwierigen Fußverletzung bei der Rückkehr auf die Tour. Nachdem er sich laut eigenen Aussagen nicht einmal mit dem Thema „Protected Ranking“ beschäftigte, sollte der Schweizer dennoch aufgrund zahlreicher Wildcards schnell wieder auf den großen Events starten.

Diskussionswürdiges Jubiläum von Petros Tsitsipas

Eigentlich ist die ursprüngliche Intention, mit den Wildcards talentierte und aufstrebende Nachwuchsspieler auf dem Weg in die Spitze zu unterstützen, im Idealfall wie gerade beim Combined-Event in Madrid mit dem sensationellen Lauf der jungen Russin Mirra Andreeva. Etwas absurd erscheint einem im Vergleich dazu die Vielzahl der vergebenen Direktmandate an Petros Tsitsipas, dem jüngeren Bruder von Weltklassespieler Stefanos. Trotz einem Karrierehoch mit gerade mal Nr. 727 im Einzel erhielt der 22-jährige, der aktuell auf Position 1503 gelistet ist, insgesamt 55 Wildcards für Einzel-Starts. Mittlerweile startet der Grieche fast nur noch im Doppel, meist an der Seite seines berühmten Bruders. Mit seinen insgesamt 45 Wildcards im Paarlauf hat er sich mittlerweile knapp an die Top 100 herangespielt und könnte dort in absehbarer Zeit auch ohne das Goodwill der Veranstalter bei den großen Events dabei sein.

Würdigung verdienter Spieler

Ein ebenfalls gewohntes Bild ist die Vergabe der direkten Startberechtigungen an verdiente Spieler, die sich noch einmal auf großer Bühne verabschieden möchten. Jedoch scheint man in Italien, wo der Verband bei der Vergabe der Wildcards das letzte Wort hat, nicht viel davon zu halten. So wurde der ehemaligen Nr. 18 der Welt, Andreas Seppi, ein letzter Start auf italienischem Boden beim ATP-Turnier in Florenz mit „Verschwendung“ als Begründung verweigert. Sein letztes Turnier bestritt der vielfache Davis Cup-Spieler somit bei einem Challenger in seiner südtiroler Heimat. Anders die Lage in Spanien. Als Anerkennung für seine 26-jährige Karriere bekam Feliciano Lopez, der mit 79 aufeinanderfolgenden Grand Slam-Starts Geschichte schrieb, vor wenigen Wochen von Turnierdirektor David Ferrer höchstpersönlich die Wildcard für das ATP-Turnier in Barcelona frei Haus geliefert. Ein Abschied beim Masters-Turnier in Madrid, wo Lopez seit 2019 auch als Turnierdirektor fungiert, hätte ihm bestimmt auch gut in den Kram gepasst, ist aber laut ATP-Regularien verboten. Zu diesem Thema hatte er bestimmt schon den ein oder anderen Austausch mit Tommy Haas, der als Turnierdirektor vom 1000er-Turnier in Indian Wells mit einem dortigen Abschied bestimmt auch mehr als geliebäugelt hatte.

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03.05.2023, 09:55 Uhr
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