Wozniacki "Nr. 1 aus Mangel an Alternativen"

Die Dänin beendet das Jahr an der Spitze der Weltrangliste und profitiert vom Generationswechsel auf der Tour.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 29.10.2010, 13:08 Uhr

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Von Jörg Allmeroth

Schon nach sieben Spielen eilte Piotr Wozniacki zum ersten Mal zu seiner nervösen Tochter Caroline auf das Spielfeld herunter. Energisch erteilte der ehemalige Fußball-Profi und Selfmade-Tennistrainer in der Hocke neue Direktiven und operierte gleichzeitig noch als Seelenmasseur fürs verschreckte Kind. Es sollte nicht die letzte Intervention des eigensinnigen Coachs bleiben an einem Abend, der eine einzige sportliche Qual war – ein Holpern und Stolpern bis zum 3:6, 6:1, 6:1-Sieg von Caroline Wozniacki gegen die Italinerin Francesca Schiavone und der Gewißheit, auch nach dem letzten Ballwechsel der Saison auf Platz eins der Weltrangliste zu stehen. „Ein sagenhafter Erfolg“ sei das, sagte Wozniacki später überglücklich, „damit hätte ich nie so früh gerechnet.“

Masters als lästige Pflichtübung

Die blonde Dänin, gefürchtet für bedeutungslose Wortschlangen in Interviews ebenso wie für ihr trockenes Grundlinienspiel, konnte sich am Ende kaum noch dagegen wehren, die Führungsposition zu behalten. Sie ist beim Saisonfinale der acht Besten des Jahres 2010 zwar in allenfalls mittelprächtiger Form, aber die liebe Konkurrenz wirkt noch ein gutes Stück schwächer und absolviert das einst so strahlende Masters oft nur wie eine lästige Pflichtübung. „Man sieht relativ wenig Motivation und Spielwitz“, erklärt der Münchner Physiotherapeut Alex Stober, einst in Diensten von Größen wie Pete Sampras, nun im Tross von Doha-Ersatzspielerin Li Na (China) unterwegs.

Wozniacki ist eigentlich noch längst nicht soweit, um schon als Frontfigur der Branche zu taugen – aber in dem seltsamen Wanderzirkus der Damen muss einen die Hackordnung auch nicht weiter verwundern. Die 20-jährige Dänin, eine bisher solide Arbeiterin ohne sportlichen Esprit, nutzt nur dankend die Chancen aus, die ihr die großen, nur bei den wenigen Saisonhöhepunkten hochkonzentrierten Stars lassen. Spielerinnen wie die kapriziösen Williams-Schwestern oder auch Kim Clijsters und Justine Henin sind gar nicht mehr an der eher symbolhaften Nummer eins-Position interessiert, ihr Schaffen ist auf die vier Grand Slams ausgerichtet und manchmal auch noch auf die Weltmeisterschaft.

Meisterin der Konstanz

Erst kürzlich hat die deutsche Fed Cup-Teamchefin Barbara Rittner in einem Gespräch mit tennisnet.com auf den Umstand hingewiesen, dass die Spitzenpositionen im Tennis früher „regelrecht zementiert“ und die absoluten Topleute „fast unschlagbar“ gewesen seien. In die Fußstapfen von Spielerinnen wie Navratilova, Evert, Graf, Hingis, Seles oder auch den Williams-Schwestern könne aber zurzeit „niemand treten“: „Was kann eine Wozniacki besser als Petkovic oder Görges“, fragte die Leverkuserin provokant. Die naheliegende Antwort lautet: Bloß konstant spielen. 35 der letzten 37 Matches hat Wozniacki gewonnen, ihre Bilanz im Spätsommer und Herbst ist ziemlich beeindruckend. Eine Meisterin der Konstanz ist sie freilich, und das ist eine schwere Einschränkung, nur bei den mittelgroßen und kleineren Wettbewerben gewesen, bei den vier Grand Slams der Saison kam sie kein einziges Mal ins Endspiel. Sie ist daher, ohne Vorwurf an sie selbst, eine der faktisch schwächsten Nummer-eins-Spielerinnen der Geschichte, vergleichbar nur mit der Serbin Jelena Jankovic, die vor zwei Jahren die Saison auf dem Gipfel beendete – ohne dass jemand wirklich wusste, warum das nun geschehen war.

Für die PR-Strategen der Tour ist Wozniacki, die blonde Dänin, gleichwohl ein Geschenk: Sie macht mit ihrer Dynamik und Power auf dem Centre Court eine ebenso gute Figur wie als strahlendes Model auf den Titelseiten der bunten Blätter. „Sweet Caroline“, wie die „Washington Post“ sie nannte, ist meistens gut gelaunt, unkompliziert - und zu allen kleineren und größeren Reklameaktivitäten im Dienste des Frauentennis bereit. Auch nach fünf Minuten im Blitzlichtgewitter wird man von ihr keine verdrießliche Miene sehen. „Ich liebe das Rampenlicht. Ich genieße es sogar“, sagt sie. Die Verpackung stimmt eigentlich immer bei ihr, beim sportlichen Inhalt ist noch Raum für Steigerung vorhanden. Wobei auch nicht auszuschließen ist, dass in den ewigen Wechselspielchen an der Spitze sehr bald schon wieder andere vorne stehen werden – und Wozniacki ein ähnliches Schicksal wie der noch viel älteren Jankovic droht. Die läuft heute noch immer einem Grand Slam-Sieg hinterher, und wirkt nicht unbedingt wie eine Anwärterin, die Platz eins zurückerobern würde.

"Erfahrung ist unbezahlbar"

Den stärksten Eindruck bei der laufenden Weltmeisterschaft haben weder Wozniacki noch sonst eine der jüngeren Topspielerinnen des angeknockten Circuits hinterlassen. Das Galapaket liefert – wie schon unlängst in New York – die höchst rege Tennismama Kim Clijsters. Ihren Platz im Halbfinale sicherte sich die sympathische Flämin in der Nacht zum Freitag, genau um 0.51 Uhr, mit einem 6:4, 5:7, 6:1-Sieg über die Weißrussin Viktoria Azarenka. In der Geisterstunde legte Clijsters dabei erst so richtig los, spielte ihr bestes Tennis genau in dem Moment, in dem die meisten dachten, das Match werde kippen. „Die Erfahrung, wie man in solchen kritischen Situationen reagiert, ist unbezahlbar“, sprach die ohne Mann und Kind angereiste Belgierin. Sie ist nun auch, im Kreis der Halbfinalistinnen (Samantha Stosur, Vera Zvonereva, Caroline Wozniacki), die Favoritin auf den WM-Titel. Gewänne Clijsters, wäre es ein Triumph der wahren Stärke inmitten all des schönen Scheins.

Foto: Jürgen Hasenkopf

von tennisnet.com

Freitag
29.10.2010, 13:08 Uhr