Andrea Petkovics notorische Grübeleien – Akuter Weltschmerz, aber kein Karriereende
Andrea Petkovic braucht mehr Struktur in ihrem Berufsleben und eine ordnende Hand als Trainer.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
06.11.2015, 06:15 Uhr

Von Jörg Allmeroth
Auf die Frage, ob sie sich nicht zu kompliziert finde für das Leben in der Tretmühle der Tennis-Tour, hat Andrea Petkovic mal mit ihrer charmanten, entwaffnenden Offenheit gesagt: „Klar, ich wäre oft gerne jemand, der nur an Sätze, Spiele und Siege denkt. Der sich nicht so viele Gedanken um alle möglichen Dinge macht.“ Im nächsten Moment allerdings setzte Petkovic dann schon wieder dieses unnachahmliche Grinsen auf und verkündete kompromisslos: „Ganz ehrlich. Ich bin unterm Strich ganz zufrieden mit der ‚Ollen’.“ Und mit der „Ollen“ war ausnahmsweise nicht eine ihrer deutschen und weltweiten Freundinnen im Tennisgeschäft gemeint. Sondern sie selbst, Andrea Petkovic. Die Launische. Die Kapriziöse. Die Denkerin. Aber auch die Kämpferin, die nie, nie, niemals aufgibt.
Wieso man sich an diese kleine Episode erinnert in diesen Herbsttagen des Jahres 2015? Nun, Andrea Petkovic hat in einem ganz schwachen Moment der massiven Verletzlichkeit,bei einem WTA-Wettbewerb im chinesischen Zhuhai, nach einer 0:6,-0:6-Abfuhr gegen die Spanierin Suarez-Navarro,fast alles in Frage gestellt, was sie seit ungefähr anderthalb Jahrzehnten tut: den täglichen Kampf um die Wettbewerbsfähigkeit im Profitennis, die Duelle da draußen in den größten Arenen der Welt, das Herumreisen durch Zeitzonen und über die Kontinente.
Der Frust sitzt diesmal deutlich tiefer
Es hat schon oft solche Petkovic-Momente gegeben in den letzten Monaten und Jahren, ganz einfach, weil diese Tenniskarriere alles andere als geradlinig verlaufen ist, sondern gepflastert war mit bitteren, gruseligen Rückschlägen, immer und immer wieder. Keine Spitzenspielerin im modernen Tennis der Gegenwart hat mit so vielen empfindlichen Verletzungssorgen leben und ihnen andauernd trotzen müssen, und keine hat auch so oft angezweifelt, ob sie weitermachen solle. Ganz früh hat das eigentlich schon begonnen bei Petkovic, nämlich in der Zeit nach dem Abitur, als sie sich ein seltsames Ultimatum stellte, bei dem es darum ging, innerhalb von etwa anderthalb Jahren bis unter die Top 50 der Weltrangliste zu kommen. Aber es ging dann, selbstverständlich, hinein ins Abenteuer Profitennis.
Was uns das über den aktuellen Weltschmerz der Darmstädter Weltklassespielerin sagt? Dieser Frust, diese depressive Anwandlung ist offenbar noch ein Stück schlimmer, geht tiefer als bei früheren Gelegenheiten. Aber wenn nicht alles täuscht – und Petkovic hat selbst in diesem denkwürdigen Interview darauf hingewiesen – wird auch dieser Kummer vergehen. Ein Ärger, der wahrscheinlich schon in seiner Zugespitztheit verrauchte,als Petkovic das überflüssigste Turnier des Jahres verließ, diese sogenannte Elite Trophy der WTA, und sich ins Flugzeug Richtung Heimat setzen durfte. Sichtbar allerdings ist am Beispiel Petkovic geworden, wie sich der eigene und äußere Erwartungsdruck im Frauentennis in den letzten Jahren noch einmal drastisch verändert hat, nicht zuletzt, weil jedes einzelne Spiel so viel physischer geworden ist und mehr Intensität benötigt.
Ein „verschenktes“ Jahr, aber nicht das Ende
Am Ende der Saison kämpfen alle Spitzenkräfte mit einer körperlichen und seelischen Abgeschlagenheit, quälen sich regelrecht über die Ziellinie. Und Petkovic, die Grübelnde, trifft dieser Verschleiß-Zirkus noch mehr als die anderen. Sie kann Zweifel, Sorgen, Ängste, Mattheit, Versagensprobleme im Zweifelsfall nicht so wegdrücken wie schlichtere Gemüter in ihrer Berufswelt. Sie müsse überlegen, ob es weitergehen solle mit ihrer Karriere, sagte Petkovic in dem traurigen, tränenreichen Vier-Augen-Gespräch mit der Journalistin Courtney Nguyen – doch man kann sich sicher sein, dass dieses Überlegen zum Weitermachen führt. Vor allem, wenn der Wettkampf-Stress nun auch mal abgefallen ist von der eigentlichen Leaderin des deutschen Frauentennis.
Es gibt Spieler im Tennis, die Schwierigkeiten haben, weil sie über so viele Talente, Optionen und Schlagmöglichkeiten verfügen, übrigens etwas, was den jungenRoger Federerbeinahe hätte scheitern lassen in seiner Karriere. Und dann gibt es noch Spieler und Spielerinnen, für die es schwer ist, Tennis als ihr ganzes Himmelreich zu begreifen. Zu denen zählt auch Petkovic, der natürlich in ganz vielen Welten viele Türen offen stehen würden und die immer gern mit dem Einstieg in andere Berufsuniversen kokettiert hat. Im Interview sagte Petkovic, sie habe das Gefühl gehabt, das letzte Jahr sei irgendwie verschenkt gewesen im Tennis, es hätte vielleicht viel schönere Alternativen gegeben.
Coming-Out ein versteckter Selbsthass
Auch das muss man im Kontext sehen, denn die nun beendete Saison war von neuem Verletzungspech flankiert, sie legte aber auch schonungslos offen, dass Petkovic nach all den Jahren noch immer nicht das geeignet professionelle Umfeld gefunden hat, um ihr Wirken und ihre Erfolgsfähigkeit im Tennisbetrieb zu maximieren. Der Hass, den Petkovic in dem Coming-Out in China beschreibt, den Hass aufs Tennis, ist in Wahrheit ein versteckter Selbsthass – auf die hartnäckige Schwierigkeit, sich als Kleinfirma im Tour-Business zu organisieren und zu strukturieren. Vor allem fehlt die harte, ordnende Hand eines erfahrenen Coachs, und es fehlt auch die Bereitschaft, Tennis als Familiensache konsequent hinter sich zu lassen.
Petkovic will nun zum Ausspannen nach New York fliegen und sich Gedanken machen, wie es weitergehen soll. Vielleicht geht es gar nicht so sehr um die Frage des Weitermachens, sondern um das Wie der künftigen Karriere. Existentiell schwer zu beantworten sind diese Fragen allerdings nicht.