Alex Stober im tennisnet-Interview: „Begonnen hat alles mit Michael Stich“

Alex Stober hat als Physiotherapeut mit einigen Allzeitgrößen des Tennissports gearbeitet: Michael Stich, Pete Sampras, Gustavo Kuerten, Andre Agassi, Angelique Kerber oder zuletzt mit Dominic Thiem. Im ersten Teil des großen tennisnet-Interviews beschreibt Stober seinen Einstieg ins Tennisgeschäft, die harten Jahre auf der ATP-Tour und die Arbeit mit Gustavo Kuerten.

von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet: 12.03.2022, 07:57 Uhr

Alex Stober kennt das Tennisgeschäft wie kaum ein anderer
© GEPA Pictures
Alex Stober kennt das Tennisgeschäft wie kaum ein anderer

tennisnet: Herr Stober. Sie sind seit mehreren Jahrzehnten einer der renommiertesten Physiotherapeuten im professionellen Tennissport. Wie hat das alles eigentlich begonnen?

Alex Stober: Da muss ich ja richtig in mich gehen, solange ist das schon her. Ich bin nach dem Abschluss meiner Ausbildung zum Physiotherapeuten recht schnell in eine Sport-Reha-Klinik eingestiegen. Wir hatten über meinen damaligen Chef einige internationale, bekannte Sportler bei uns zur Behandlung. Ich hatte relativ früh Kontakt zu Profis, was eine tolle Herausforderung war, gerade im Vergleich zu meinen anderen Kollegen, die mit „normalen“ Patienten gearbeitet haben. Ich bin also recht schnell in diesen Pool geworfen worden.

tennisnet: Wo war diese Klinik beheimatet?

Stober: Das war in Zirnsdorf, in der Nähe von Nürnberg. Unsere Klinik war das Kneippbad Zirndorf, als Patienten hatten wir etwa Balazs Taroczy aus Ungarn oder den Tschechen Tomas Smid. Weltklassespieler seinerzeit, dazu noch jede Menge Fußballer. Und so habe ich auch schon früh ein Angebot von der Tennis-Bundesliga-Mannschaft in Nürnberg bekommen, die ich neben meiner Tätigkeit in der Klinik übernommen habe. So ist auch meine Liebe zum Tennis entstanden.

tennisnet: Von der Bundesliga in das professionelle Tennis war es aber noch ein größerer Schritt.

Stober: Natürlich. Ich habe aber gute Kontakte geknüpft und ein paar Weltklassespieler haben mich gefragt, warum ich mich denn nicht bei der ATP bewerbe. Das habe ich gemacht, zu einer Zeit, als die ATP gerade von Paris nach Monte Carlo gezogen ist. Ich habe mich beworben, sehr hartnäckig übrigens, und kriegte dann irgendwann die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Das habe ich liebend gerne angenommen - und ich habe den Job bekommen.

tennisnet: Gab es da so etwas wie eine Eingewöhnungsphase?

Stober - "Ich habe gelernt, schnelle Lösungen zu finden"

Stober: Nein. Ich wurde gleich zur ATP-Weltmeisterschaft nach Frankfurt geschickt, zu den acht besten Spielern der Welt. Dort habe ich die ganz Großen kennengelernt, es war gegenseitige Begeisterung zu spüren - und so bin ich 1989 ins Profitennis eingestiegen.

tennisnet: Wie viele Physiotherapeuten waren zu jenem Zeitpunkt bei der ATP beschäftigt?

Stober: Im Vergleich zu heute war das ein absoluter Witz. Wir waren weltweit vier Leute und hatten noch ein paar Teilzeit-Therapeuten, die uns bei den großen Turnieren unterstützt haben. Es war verdammt viel Arbeit, aber da habe ich auch gelernt, schnelle Lösungen zu finden, damit die Spieler für den nächsten Tag wieder einigermaßen fit und spieltauglich sind. Ich musste lernen, anders zu therapieren, was für mich ein unglaublicher Reifeprozess war.

tennisnet: Und: was hat sich seit Ihrem Einstieg im Profitennis verändert?

Stober: Die Philosophie unseren Beruf betreffend hat sich unglaublich verändert. Heutzutage gibt es viel mehr osteophatische Therapien, Dry Needling, die ganzen Manipulations-Techniken - all das ist während der letzten 20 Jahre unheimlich revolutioniert worden. Um eben auch schnelle Lösungen für gewisse Probleme zu haben.

"Kleinere Turniere alleine geschmissen"

tennisnet: Was braucht der Physiotherapeut für eine erfolgreiche Behandlung bei Turnieren?

Stober: Eine Massagebank und meine Hände. Und mein Wissen.

tennisnet: Wie hat Ihr Einstieg in die professionelle Szene praktisch ausgesehen?

Stober: Die ersten Jahre bei der ATP waren sehr, sehr hart. Ich hatte bis zu 34 Turniere pro Jahr zu betreuen, vor allem auch kleinere wie die heutigen 250er. Gerade in Italien, auch noch in Deutschland. Bei den Grand Slams waren wir als ATP-Physios zu zweit und hatten noch lokale Hilfe. Erst 1992 haben wir erkannt, dass wir viel besser organisiert sein müssen. Und dass wir ein medizinisches Gremium bilden sollten. Wir brauchten qualifizierte Sportärzte, Orthopäden. Das war früher ja nicht so: Da waren viele Ärzte einfach Kumpel von Turnierdirektoren, wo man nicht wusste, wofür die ihren Doktor-Titel hatten. Heutzutage ist alles extrem geworden. Ich habe damals kleinere Turniere ganz alleine geschmissen. Da mussten drei, vier Leute gleichzeitig behandelt werden. Es waren große Herausforderungen, die aber auch viel Spaß gemacht haben. Nach zehn Jahren hat sich schon eine gewisse Müdigkeit eingestellt.

tennisnet: Im Gegensatz zu Physiotherapeuten, die ganze Mannschaften betreuen dürfen - oder müssen: Wie ist Ihr Ansatz im Tenniszirkus?

Stober: Als Einzelbetreuer hängt man sein Herzblut rein und sieht den Körper als Gesamtkonzept. Die Behandlungen brauchen viel Zeit und Intensität. Völlig egal, ob diese Behandlung eine oder zwei Stunden dauert. Man hört dann auf, wenn man zufrieden ist.

tennisnet: Moment! Wenn Sie als Physio das sagen - oder der Spieler?

Stober: Wenn ich das sage.

Gustavo Kuerten - charismatisch und lustig

tennisnet: Wie sind Sie nach Ihrer Zeit bei der ATP dann zum persönlichen Physiotherapeut einiger absoluter Weltstars geworden?

Stober: Die ersten Angebote waren sehr verlockend. Begonnen hat es mit Michael Stich. Das ging leider nicht sehr lange, weil Michael seine Karriere wegen einer Schulterproblematik früh beenden musste. Zum Glück war ich danach sehr gefragt und arbeite seit 2000 als Personal Physio Trainer. Man hinterlässt im Laufe der Jahre einen Fingerabdruck, an dem die Spieler auch erkennen können, was man zu leisten im Stande ist. Wenn man dann Spielern hilft, Turniere zu gewinnen, dann spricht sich das auch unter den Kollegen herum.

tennisnet: Auch nach Michael Stich liest sich die Liste Ihrer Klienten wie eine All-Star-Liste: Pete Sampras, Gustavo Kuerten, Rainer Schüttler, Paradorn Srichaphan, Andre Agassi, Tommy Haas, Li Na, Petra Kvitova, Angelique Kerber und Dominic Thiem. Und mit allen haben Sie es ja in die Top Ten geschafft bzw. diese dort gehalten. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll - vielleicht bei Kuerten?

Stober: Ich war während meiner Zeit bei der ATP auch zuständig für das deutsche Davis-Cup-Team, den ich letztendlich verlassen musste, weil Boris Becker damals sein eigenes Team mitgebracht hat. Bin dann aber recht schnell von den Brasilianern angesprochen worden - und habe das dortige Team fünf Jahre lang betreut. Das hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Auch wegen der unglaublichen Feiern nach den Siegen. Nach dem Ende meiner Zusammenarbeit mit Sampras hat mich Larry Passos angesprochen, ob ich mit Guga arbeiten möchte. Eine extrem reizvolle Aufgabe, wenn man sich daran erinnert, wie charismatisch und lustig Guga war. Super Spieler. Ich habe ihn immer „Wackeldackel“ genannt. Leider haben sich bei seiner Hüfte bald Schäden eingestellt, vor allem wegen dieser offen gespielten Vorhand.

Im zweiten Teil des Interview spricht Alex Stober kommende Woche über die Zeit mit Li Na, Dominic Thiem und lobt Rafael Nadal und Novak Djokovic.

von Jens Huiber

Samstag
12.03.2022, 15:15 Uhr
zuletzt bearbeitet: 12.03.2022, 07:57 Uhr