Alexandr Dolgopolov - "Tennis hat mich auf den Krieg vorbereitet"

Der ehemalige ukrainische Topspieler Alexandr Dolgopolov stand vor 18 Monaten das letzte Mal auf dem Tennisplatz. Derzeit ist er Drohnenpilot für sein Heimatland in dem von Russland durchgeführten Angriffskrieg.

von Stefan Bergmann
zuletzt bearbeitet: 19.12.2022, 15:09 Uhr

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Vom Tennisplatz in den Krieg - Alexandr Dolgopolov

Seinen letzten Ballwechsel auf der ATP-Tour spielte Alexandr Dolgopolov am 15. Mai 2018 beim ATP-Masters-1000-Event in Rom, als er in der ersten Runde in zwei klaren Sätzen am Serben Novak Djokovic scheiterte. Danach folgten noch ein paar Partien bei Einladungsturnieren und nationalen Meisterschaften, bevor im Sommer 2020 dann endgültig Schluss mit wettbewerbsmäßigem Tennis war. Damals ahnte der dreifache Turnier-Champion (Bueonos Aires 2017, Washington 2012, Umag 2011) noch nicht, dass er eineinhalb Jahre später für sein Heimatland in den Krieg ziehen würde.

Aktuell kehrte der heute 34-Jährige erst kürzlich von einem Einsatz im bitter umkämpften Gebiet Kherson zurück. Dort hatte er in einem verlassenen Haus in einem komplett ausgebrannten Dorf seine Zelte aufgeschlagen. Ein unmenschlicher Vergleich zu den Annehmlichkeiten seines ehemaligen Tourlebens, wie Dolgopolov der britischen Tageszeitung "Daily Mail" anvertraute: "Dort sind überall Mäuse herumgelaufen. Es gab auch keine Toilette, man musste in Loch benutzen. Warmes Wasser war auch nicht vorhanden, man musste es aufkochen, um sich waschen zu können."

"Kann sehr gut unter Druck meine Leistung abrufen"

"Krieg ist eine Schweinerei", so der ehemalige Weltranglisten-13. verbittert. Er habe sein Leben komplett verändert. "Dolgo" ist vorwiegend als Drohnenpilot im Einsatz - neben Aufklärungsarbeiten, gibt es auch Missionen bei denen Menschen ums Leben kommen. Eine pragmatische Haltung zum Tod ist für den wohl erfolgreichsten ukrainischen Tennisspieler der jüngeren Sportgeschichte ein Muss, um nicht völlig in eine psychische Krise zu schlittern.

Die Gedanken an Tennis sind im Kugelhagel der verhärteten Fronten zwar großteils verloren gegangen, eines ist dem Mann aus Kiev allerdings durchaus bewusst: "Tennis hat mich mit Sicherheit auf den Krieg vorbereitet. Man denkt schnell, ich kann sehr gut unter Druck meine Leistung abrufen und ich gerate nicht so schnell in Panik. Viele Techniken, die man im Tennis nutzt, kann man auf den Krieg übertragen. Ich kann zügig Informationen verarbeiten - wir sich anpassungsfähige Wesen. Zuerst ist man in einem Schockzustand, dann versucht man ruhig zu bleiben und seinen Job zu machen. Falsche Entscheidungen können dir dein Leben kosten."

Der angekündigt harte Winter gibt Dolgopolov zu denken: "Es wird hart, mit schwerer Maschinerie vorzurücken, jetzt beginnt es zu frieren." Bleibt nur zu hoffen, dass der Wahnsinn im ostslawischen Staat möglichst bald ein Ende findet. Für Dolgopolov und die gesamte Ukraine.

von Stefan Bergmann

Montag
19.12.2022, 16:50 Uhr
zuletzt bearbeitet: 19.12.2022, 15:09 Uhr