Andre Agassi: Vom Australien-Boykotteur zum Melbourne-Liebhaber

Ande Agassi hat sich in den letzten Jahren auf der Tennistour eher rar gemacht. Sein Erscheinen bei den Australian Open ist nun der Auftakt zu einer kleinen Welt-Tournee. Gemeinsam mit Ehefrau Stefanie Graf.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 19.01.2024, 00:11 Uhr

Andre Agassi am Sonntag in der Rod Laver Arena
© Getty Images
Andre Agassi am Sonntag in der Rod Laver Arena

Als Andre Agassi 1995 zum ersten Mal die Australian Open mit seiner Anwesenheit beehrte, erschien sein Arbeitseinsatz so spektakulär wie ein Staatsbesuch. Viele Jahre hatte der Paradiesvogel die Reise von seiner Heimatstadt Las Vegas nach Melbourne verschmäht, der Trip gleich zum Saisonstart auf den fernen Roten Kontinent war ihm stets zu anstrengend gewesen. Kaum war Agassi damals auf dem Flughafen Tullamarine gelandet, war auch schon die Aufregung riesengroß – denn der Amerikaner hatte sich sein ohnehin dünnes Resthaar abgeschoren, marschierte mit großem Gepäck, großem Begleittross und gut polierter Glatze durch den Zoll. Und ein Name wurde ersonnen, der ihn durch jenen erstaunlichen australischen Sommer begleiten sollte: AGLATZI. Agassi kam, sah und siegte dann gleich bei seinem Debüt, holte den ersten von vier Titeln am Yarra River.

In diesen Tagen ist der 53-jährige Ehemann von Steffi Graf wieder einmal ans andere Welt gereist. Ohne seine berühmte Frau, aber mit der offenkundigen Absicht, sich wieder im großen Tennis bemerkbar zu machen. Er trug zu Turnierbeginn auch den Siegerpokal gemeinsam mit Australien-Legende Evonne Goolagong auf den Centre Court. Das Bild, wie Agassi später ein großes Poster seiner Ehefrau auf den verzweigten Gängen des National Tennis Centers küßte, ging bereits rund um den Planeten. Bald wird man Agassi und Graf wieder gemeinsam in aller Öffentlichkeit sehen können, Anfang Februar spielen beide bei einem Mega-Showkampf im Pickleball gegen das Pärchen Maria Scharapowa/John McEnroe. Angemesser Austragungsort: Das Seminola Hardrock Hotel in der Traumfabrik Hollywood. Um an der Seite von Gemahlin Graf gute Figur machen zu können, hat der große Altmeister enorm abgespeckt. Auf einem Tennisvideo, das er kürzlich bei Instagram postete, wirkte Agassi drahtig und recht schlank. Und traf die Bälle wie zu besten Zeiten.

Agassi und Graf in Roland-Garros

Das bekannteste Tennispaar der Welt hat offenbar noch einige Auftritte in diesem Jahr vor sich. Denn 25 Jahre nach dem legendären Pariser Grand-Slam-Wochenende, an dem erst Steffi Graf im Juni 1999 denkwürdig gegen Martina Hingis gewann und dann Agassi sein atemraubendes Comeback mit dem French-Open-Triumph krönte (gegen den Ukrainer Andrej Medwedew), planen die Eheleute eine kleine Tournee über europäische Centre Courts. Verhandlungen, so heißt es aus Agassis Umfeld, gebe es auch mit deutschen Turnierveranstaltern. 

Bereits verabredet ist ein Gastspiel im rumänischen Cluj bei einem großen Sportfestival, hinter den Kulissen zieht bei alledem der ehemalige ATP-Profi Justin Gimelstob die Fäden für Agassi und Graf. Als sicher gilt, dass Graf und Agassi Ehrengäste bei den Grand Slam-Festspielen in Paris sein werden – dort, wo einst auch ihre Liebe begann. Und wo das Major-Turnier auch eine Generalprobe für den bald folgenden olympischen Tenniswettbewerb im Stadion Roland Garros ist. Beide haben selbst schon Gold gewonnen, Graf 1988 in Seoul, Agassi 1996 in Atlanta.

Ein Commissioner nach NFL-Vorbild?

Der frühe Australien-Boykotteur Agassi wurde übrigens zum leidenschaftlichen, späten Melbourne-Liebhaber. Als er 2003 Rainer Schüttler im Finale besiegt hatte, erklärte er in der Rod Laver-Arena: „Ich fühle mich wirklich wie ein halber Australier.“ Drei seiner acht Grand-Slam-Titel holte er kurz vor und nach seinem 30. Geburtstag, allesamt in Australien. Als Tennispunk ins Tourgeschäft gekommen, als beliebiger Popstar der Szene kritisiert, ging Agassi schließlich als Elder Statesmen der Branche.

In den vergangenen Jahren forderten ihn einflußreiche Akteure seines Sports immer wieder auf, als eine Art Commissioner nach NFL-Vorbild einzusteigen – mit weitreichender Autorität und Entscheidungsgewalt, um das zersplitterte und zerstrittene Profitennis zu befrieden. Agassi allerdings zog es bisher vor, in der Spielerstadt Las Vegas ein eher zurückgezogenes Leben mit Ehefrau und Kindern zu führen, ohne Affären, ohne Skandale, ohne große Schlagzeilen. 

von Jörg Allmeroth

Donnerstag
18.01.2024, 21:00 Uhr
zuletzt bearbeitet: 19.01.2024, 00:11 Uhr