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Anna-Lena Friedsam vor Duell mit Kerber: Reizvolles Rendevous beim Geister-Slam

Anna-Lena Friedsam galt als große Hoffnung für die Nachfolger der Generation Kerber, Petkovic und Görges, dann aber kamen die Verletzungen. Nun ist Friedsam wieder da, in Runde 2 der US Open trifft sie ausgerechnet auf: Angie Kerber.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 02.09.2020, 10:51 Uhr

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Für Anna-Lena Friedsam läuft es in Lyon sehr gut
© Jürgen Hasenkopf
Anna-Lena Friedsam

Angelique Kerber hatte gerade ihre erste US Open-Aufgabe im menschenleeren Ashe-Stadion souverän hinter sich gebracht, da vernahm man in diesem fremdartig neuen Tennis-Universum ganz vertraute Töne von der deutschen Nummer eins. Sie habe „überhaupt nicht auf die Auslosung“ für das Turnier geblickt, konzentriere sich „voll und ganz“ auf die eigene Arbeit, das eigene Wirken, das eigene Firmenteam: „Ich sehe zu, dass ich weiter Vertrauen aufbaue. Sicherheit und Selbstbewusstsein“, sagte Kerber (32) nach dem glatten 6:4, 6:4-Sieg gegen die Australierin Ajla Tomljanovic, „es ist mir eigentlich egal, wer jetzt gegen mich kommt.“

Ob die Ahnungslosigkeit nun geschummelt oder echt war – in der zweiten Runde jedenfalls trifft die ehemalige Frontfrau des Damentennis am Mittwoch auf ein ziemlich vertrautes Gesicht. Auf Anna-Lena Friedsam, die couragierte Rheinländerin, die einst als aussichtsreichste Erbin der goldenen Generation um Kerber, Andrea Petkovic und Julia Görges gehandelt worden war. Für Kerber mag die Partie gegen Friedsam Grand-Slam-Alltagsgeschäft sein, für Friedsam (erste Runde 6:2, 6:2 gegen Caroline Dolehide) dagegen ist es ein großer Moment bei einem der größten Turniere der Welt. Ein Lichtblick nach vielen dunklen Tagen in den letzten Jahren. „Ich freue mich riesig auf das Match“, sagt die 26-jährige, die zwischenzeitlich mehr Zeit in Arztpraxen, Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen als auf dem Trainingsplatz verbrachte. Zwei Schulteroperationen hatten die 2015 und 2016 in die erweiterte Weltspitze vorgestoßene Friedsam heftig zurückgeworfen, ein ums andere Mal wurden ihre Comeback-Missionen von Rückschlägen begleitet. „Es war keine leichte Zeit“, sagt Friedsam, „aber aufgegeben habe ich nie. Der Glaube, es noch einmal schaffen zu können, war eigentlich immer da.“

Friedsam vor Corona-Pause wieder auf Vormarsch

Friedsam hat in ihren besten Augenblicken das mächtige Spiel, um jeder Gegnerin auf dem Centre Court gewaltig zuzusetzen. In der Branche wird das gern als „Big Game“ bezeichnet, die Fähigkeit, aus jedem Winkel des Platzes Siegschläge mit massiver Power zu platzieren. Vor vier, fünf Jahren zeigte Friedsam diese Qualitäten früh in ihrer Laufbahn, sie erreichte mit Anfang 20 bereits die zweite Turnierwoche bei den Australian Open, rutschte unter die Top 50 der Weltrangliste, wurde ins Fed Cup-Team berufen. Dann kamen die Verletzungen, die Sorgen, die Frustrationen. Die Fragen, wann und wie es weitergehen wird mit der eigenen Karriere. Aber nie die Resignation, der Impuls, „vielleicht alles hinzuschmeißen.“

Als das Tennisjahr 2020 für die meisten Spielerinnen schon in den Stillstand übergegangen war, auch für Kerber, sorgte Friedsam für Aufsehen. Anfang März war sie auf der Achterbahnfahrt ihres Tennislebens nämlich wieder auf dem Weg nach oben, beim Turnier in Lyon schlug sie mit der Russin Daria Kasatkina und Lokalmatadorin Kristina Mladenovic hochkarätige Konkurrenz aus dem Feld, konnte erst im Finale von Australian Open-Siegerin Sofia Kenin (USA) gebremst werden. „Es war auch die Bestätigung für die harte Arbeit, die ich in mein Comeback investiert habe“, sagte die Einser-Abiturientin, die sich einst gegen eine Karriere im Frauenfußball und fürs Tennis entschieden hatte. Und auch dies sagte sie, selbstbewusst und entschlossen: „Ich bin zurück im Spiel.“

Friedsam gegen Kerber: "Mutig spielen"

Was vermutlich richtig war. Buchstäblich aber danach leider auch nicht. Denn dem mutmachenden Auftritt in Frankreich folgte der Lockdown, das Herunterfahren des Tenniszirkus, die lange, lange Zwangspause. Friedsam ärgerte sich allerdings nicht lange, sie nutzte den Turnier-Stillstand bald, um weiter an ihrer Fitness und an ihrem Spiel zu feilen. Sie nahm auch gleich an den ersten Turnieren in Deutschland teil, organisiert vom DTB oder privaten Veranstaltern. Nun steht das US Open-Rendezvous mit Kerber an, mit der New York-Siegerin von 2016. Auf einem der großen Plätze im Billie Jean King Tennis Center, auf einer verwaisten Bühne dennoch. „Frei und mutig“ aufspielen wolle sie, sagt Friedsam. Es soll auch ein Spiel sein, das dem größeren Ziel folgt: „Ich will wieder an den Punkt kommen, wo ich schon einmal in meiner Karriere war.“ Weiter oben in der Rangliste, auf viel engerer Tuchfühlung zu den Besten und Erfolgreichsten.

Kerber, die dreimalige Grand-Slam-Siegerin, steht ihr da im Weg. Die alte Meisterin ist in New York nur auf Platz 17 gesetzt, aber es gibt nicht wenige, die ihr bei diesem Majorturnier im Ausnahmezustand einen Überraschungscoup zutrauen. Kerber wirkt drahtig, fit, ausgeruht. Entspannt in der Haltung, nichts erwarten zu dürfen und müssen: „Jeder Sieg ist ein Geschenk“, sagt Kerber, „ich hoffe, dass ich immer stärker werde.“ 

von Jörg Allmeroth

Mittwoch
02.09.2020, 13:31 Uhr
zuletzt bearbeitet: 02.09.2020, 10:51 Uhr