ATP Challenger: Jannik Sinner schreibt in Bergamo Geschichte

Jannik Sinner. Diesen Namen dürfen sich Tennisfans merken. Der Teenager aus Italien gewinnt bei den mit 46.000 Euro dotiertenInternazionali di Tennis Trofeo Faip-Perrel in Bergamo seinen ersten ATP-Challenger-Titel. Im Finale schlug er Landsmann Roberto Marcora mit 6:3 und 6:1.

von Florian Heer
zuletzt bearbeitet: 25.02.2019, 16:28 Uhr

Jannik Sinner hat in Bergamo Geschichte geschrieben
© Florian Heer
Jannik Sinner

Von Florian Heer aus Bergamo

Ein 17-jähriger gewinnt einen Titel auf der ATP-Challenger-Tour. Fast schon ein gewohntes Bild in den letzten sieben Jahren, wo dies immer der Fall war. In der Liste der Champions befinden sich auch die Namen von Nick Kyrgios, Alexander Zverev, Denis Shapovalov und Félix Auger-Aliassime. Sinners erster Triumph in der „zweiten Liga“ des Profi-Herrentennis geschah jedoch in besonders beeindruckender Weise.

Ausgestattet mit einer Wild-Card und angereist von einem ITF-World-Tennis-Event in Aktobe, Kasachstan, konnte Sinner lediglich eine einstündige Trainingseinheit absolvieren, bevor er in der ersten Runde Lucas Miedler aus Österreich schlug. Siege über den an Nummer neun gesetzten Salvatore Caruso, Viktor Galovic, den an Nummer 4 gesetzten Gianluigi Quinzi und Tristan Lamasine folgten.

Durchschlagskraft auf dem Platz

Je länger das Turnier dauerte, desto mehr schien Sinner die Leichtigkeit seines Spiels auf den Platz übertragen zu können. Hoch konzentriert, kaum eine Miene verziehend verzauberte der rotblonde Teenager mit Baseball-Cap das Publikum und teilweise auch seine Kontrahenten. Mehrfach schlugen die harten Grundschläge Sinners links und rechts von seinen Gegnern ein. Aggressives Vorhandspiel mit viel Drive, eine solide Rückhand, ein guter Aufschlag und Return stellen die erfolgreichsten Waffen dar. Auch den Weg ans Netz scheute der 1,90 große Italiener nicht.

Er vertritt somit die neue Generation von hochaufgeschossenen Tennisspielern, die trotz ihrer stattlichen Größe unglaublich beweglich auf dem Platz sind. Dies zeigt sich im Besonderen, wenn Sinner doch einmal in die Defensive gerät. Dann konnte der Rechtshänder des Öfteren mit hervorragenden Verteidigungsschlägen die Angriffe gekonnt parieren und sich ein ums andere Mal in den Ballwechsel zurückkämpfen.

Triumph auf heimischen Boden

Im Endspiel gegen seinen den 29-jährigen Roberto Marcora war auch dies der Schlüssel zum Erfolg. Über 2.000 Zuschauer feierten am Sonntagnachmittag in Bergamos alt-ehrwürdiger und bis auf den letzten Platz gefüllten PallaAgnelli-Arena „ihren“ Jungstar nach seinem Zwei-Satz-Erfolg in nur 71 Minuten.

„Ich bin gleich gut ins Match gekommen,“ analysierte der eher introvertiert wirkende Sinner seinen Triumph nüchtern. „Ich habe mich vor dem Finale auch gut gefühlt, gut retourniert und auf seinen Ballwurf geachtet. Es ist einfach klasse gelaufen.“

Ein großes Fest zur Feier seines ersten Titels als Tennis-Profi wird auch ausbleiben. „Ich glaube nicht, dass es eine Party geben wird. Wir werden bereits morgen nach Trento fahren, wo mein nächstes Turnier ansteht,“ gab sich Sinner zielgerichtet.

Der Blick bleibt auf dem Platz

Überhaupt macht der Teenager einen durchweg fokussierten Eindruck. Der erste kleine aufkommende Rummel bezüglich seiner Person, wenn über „Tennis-Twitter“ sofort die Schlagzeile verbreitet wird „erster Challenger-Champion des Jahrgangs 2001“, scheinen ihn kalt zu lassen.

„Natürlich bekommt man die ein oder andere Sache mit, aber ehrlich gesagt beschäftige ich mich mit derartigen Rekorden weniger,“ erzählt Sinner, gibt im gleichen Atemzug aber auch preis, dass er gerne mal einen Blick auf die Ergebnisse gleichaltriger Spieler wagt.

„Logisch schaut man, was die anderen Jungs machen. Als es am Anfang des Jahres bei mir nicht so gut lief haben die Coaches und ich Rudolf Mollekers Turnierverlauf beobachtet und gesehen, dass er das ATP-Challenger in Heilbronn im letzten Jahr mehr oder weniger aus dem Nichts gewinnen konnte. Natürlich schaue ich auch gerne auf Félix Auger-Aliassime, der lediglich ein Jahr älter ist als ich. Allerdings muss man sagen, dass er körperlich schon weiter ist.“

Vom Skifahren zum Career-High im Tennis

Das Sinner, der sich „als ganz normalen Burschen“ abseits des Courts bezeichnet, überhaupt den Weg in das professionelle Tennis angestrebt hat war nicht selbstverständlich. Geboren und aufgewachsen in den Südtiroler Bergen war Skifahren die eigentlich Sportart Nummer eins. „Ich war italienischer Meister im Riesentorlauf 2008 und Vize-Meister 2012,“ erzählt Sinner, der den flotten Wintersport aber schließlich als zu gefährlich erachtete.

„Man muss nur einmal stürzen und dann können die Knochen schon gebrochen sein. Ich habe mich für Tennis entschieden, da es ein Spiel ist, das im Wettkampf länger als nur eine oder eineinhalb Minuten dauert.“

Unter Piattis Fittiche

Im Alter von 14 Jahren zog es Sinner zu Erfolgscoach Riccardo Piatti und dessen Tennis Center in Bordighera, einem Ferien- und Badeort in Ligurien. „Ich fühle mich dort sehr wohl. Riccardo ist viel vor Ort und trainiert noch auf jedem Level selbst mit. Egal ob mit Borna Coric, mit mir oder mit Kindern. Das ist schon unglaublich,“ so Sinner, der in Bergamo vom erst 29-jährigen ehemaligen Profi Andrea Volpini begleitet wurde. Ambitionierte Zielsetzungen verbinden die beiden dabei.

„Klar, ich habe eine tolle Woche gespielt und mehrere Top-200 Spieler geschlagen, aber ich möchte noch mehr erreichen und meine Trainer helfen mir dabei. Als junger Spieler gibt es noch viel zu verbessern.“

Kein Blick auf die Weltrangliste

Auch wenn Sinner mit dem Turniererfolg in der Lombardei mehr als 200 Positionen gut gemacht hat und nun mit Nummer 324 der ATP-Weltrangliste auf einer persönlichen Höchstplatzierung geführt wird, gönnt sich der Teenager nur selten ein Blick auf seinen Karriereverlauf in Zahlen.

„Früher habe ich oft auf das Ranking geschaut, wobei allerdings nicht viel bei rauskam. Das Ziel für die Saison lautet 70 bis 75 Matches auf diesem Level zu spielen und somit einige Viertel- und Halbfinalteilnahmen. Ich werde nun auch vermehrt versuchen Challenger zu spielen, da ich denke, dass das Potential vorhanden ist,“ gibt Sinner als Parole für die Saison aus.

Als größtes Vorbild gilt für Sinner dabei Roger Federer, aber auch sein Südtiroler Kollege Andreas Seppi spielte eine einprägsame Rolle. „Als ich klein war hat er immer das Challenger in Ortisei gespielt. Da war ich natürlich stets vor Ort. Wir kennen uns auch und haben ab und an miteinander trainiert. Roger bleibt aber meine Nummer eins,“ strahlt Sinner. Ein erster kleiner Schritt, um der erfolgreichen Karriere des Swiss-Maestros nachzueifern, ist in Bergamo erfolgt.

von Florian Heer

Montag
25.02.2019, 16:45 Uhr
zuletzt bearbeitet: 25.02.2019, 16:28 Uhr