ATP Finals London: Alexander Zverev - Auf und nieder, immer wieder
Alexander Zverev hat nach seinem grandiosen Auftritt gegen Rafael Nadal im zweiten Match bei den ATP Finals gegen Stefanos Tsitsipas eine Niederlage kassiert. Symptomatisch für eine Saison mit vielen Höhen und Tiefen.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
14.11.2019, 18:22 Uhr

Als Alexander Zverev am Mittwoch mit hängenden Schultern aus der O2-Arena schlich, paßte dieser Abend von London zu seiner ganzen Tennis-Saison 2019. Das Bild war verwirrend, widersprüchlich, uneindeutig. Im ersten Gruppenspiel hatte Zverev einen brillanten, beinahe makellosen Zwei-Satz-Sieg gegen den Weltranglisten-Ersten Rafael Nadal gefeiert, nun, nach einer glatten 3:6, 2:6-Abfuhr gegen den Griechen Stefanos Tsitsipas, war er in seiner scheinbar ewigen Achterbahnfahrt erst mal wieder in Bodennähe angekommen.
Ein Triumph, ein herber Rückschlag, ein schnelles WM-Hochgefühl, ein Frusterlebnis – London war gefühlt wie überall für den 22-jährigen Hamburger, der in den letzten Wochen und Monaten immer wieder nach Konstanz und Gleichmaß an seinem Arbeitsplatz suchte. Und diese Suche auch bis zum allerletzten Pflichtauftritt in London verlängerte. „Trotzdem gehe ich optimistisch in das letzte Gruppenspiel. Das Gute ist: Ich habe es selbst in der Hand. Ich kann noch länger bei diesem Turnier bleiben“, sagte Zverev, der am Freitag gegen den Russen Daniil Medvedev anzutreten hat, den bisherigen Aufsteiger des Jahres.
Vorwürfe gegen Zverev
Zverevs Saison 2019 war gekennzeichnet durch Turbulenzen, durch Streitigkeiten und Zerwürfnisse außerhalb des Platzes – stete Unruhe im Kulissentheater, die selbstverständlich auch Wirkung entfaltete auf das, was sich auf den Centre Courts tat. Zverev kämpft inzwischen durchaus wieder mehr gegen seine eigentlichen Gegner an als gegen sich selbst und die (überwundenen) Belastungen im Umfeld, aber ganz ohne Aufregung geht es auch in London nicht bei ihm ab. Fast symptomatisch hatte sich der Deutsche nach der Abfuhr gegen Generationsgenosse Tsitsipas auf einmal auch gegen Vorwürfe zu wehren, er habe womöglich auf einem Mobiltelefon in seiner Tennistasche irgendwelche Hinweise von seinem Team erhalten.
TV-Szenen legten den Verdacht nahe, Zverev war dabei zu sehen gewesen, wie er in der Tasche Handbewegungen ausführte, ähnlich der Bedienung eines Handys. Eine Überblendung des Fernsehbildes mit dem aktuellen Spielresultat verhinderte indes einen genauen Einblick. Viel Wind um nichts, befand Zverev später selbst. Er wisse nicht, was dort beobachtet worden sei, sagte er, „mein Handy war es jedenfalls nicht. Das habe ich in der Kabine gelassen.“ Wäre Zverev tatsächlich beim Einsatz eines Mobiltelefons erwischt worden, hätte er schmerzliche Sanktionen befürchten müssen.
Gegen Medvedev muss wohl ein Sieg her
Zverevs Blick auf die Saison 2019 kann sich in den nächsten Tagen noch einmal markant zum Guten hin verändern – oder einfach so bleiben, wie er bisher war: Nämlich als Blick auf schwankende Vorstellungen, auf mehr Tiefen als Höhen gerade bei den Grand Slams. Gegen Medvedev, den 23-jährigen Moskowiter, sollte er gewinnen, um allen möglichen Rechenspielen aus dem Weg zu gehen. Rein theoretisch könnte er ja nach den Kalkukationen in der höheren WM-Mathematik verlieren, wenn das zweite Gruppenspiel am Freitag zwischen Tsitsipas und Nadal das gewünschte Ergebnis liefert. Bleibt Zverev, so oder so, weiter im Turniergeschen drin, ist noch alles möglich, bis hin zu einem Überraschungscoup wie im Vorjahr – damals hatte er am Finalwochenende hintereinander Federer und Djokovic besiegt, ein wenig auch zur eigenen Verblüffung.
Soweit darf und kann der Titelverteidiger aber noch gar nicht denken, Medwedew bleibt für ihn jenseits aller vagen Hoffnungen auf ein stürmisches Happy End zunächst die große Herausforderung, der US Open-Finalist ein ebenso unberechenbarer Kantonist wie er selbst, wie Zverev. Kürzlich, beim ATP-Masters in Schanghai, hatte Zverev im Endspiel gegen den Russen nicht den Hauch einer Chance besessen. Es war die erste Niederlage im fünften direkten Vergleich gewesen. Am Mittwoch hatte Medwedew auf der Londoner WM-Bühne einen denkwürdigen Centre Court-Blackout erlebt, als er noch eine 5:1-Führung mit Matchball im dritten Satz gegen Nadal verspielte. „Er wird umso mehr im letzten Spiel siegen wollen. Er kann ja auch noch ins Halbfinale kommmen“, sagte Zverev, „es ist eben ein Alles-oder-Nichts-Spiel.“