"Das beste Tennis meines Lebens"

Ein Mann mit Lern- und Nehmerqualitäten: Alexander Zverev dreht die Sommerstory für sich um und holt den zweiten Masters-Titel seiner Karriere.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 14.08.2017, 11:18 Uhr

Mit Roger Federer ist Alexander Zverev derzeit auf Augenhöhe

Montreal/Hamburg. Es war die Traumbesetzung im deutschen Wimbledon, vor rund zwei Monaten - Alexander Zverev, der junge Lokalmatador, im letzten Showdown der Gerry Weber Open 2017 gegen Roger Federer, den Größten aller Zeiten. Ein Traumendspiel wurde es dann ganz und gar nicht, Federer gewann haushoch, es war eine schmerzliche Lehrstunde für Zverev. Federer stürmte anschließend zu seinem achten Wimbledon-Titel, und Zverev verließ das Theater der Tennisträume in London frustriert, sogar als Chancentod wurde er nach einer bitteren Achtelfinal-Niederlage gegen den Kanadier Milos Raonic klassifiziert.

Man muss diese kleine Vorgeschichte noch einmal aufblättern, um zu begreifen, was Alexander Zverev stark und stärker macht. Und warum er da steht, wo er steht in diesen Augusttagen des Jahres 2017, nämlich sehr weit vorne in der Welt des Herrentennis, sogar nun schon auf Platz sieben der Rangliste. Gern gebrauchen Hochleistungssportler die Redewendung, Niederlagen und Rückschläge machten sie nur stärker, nichts habe einen größeren Lerneffekt für sie. Oft wirkt das wie eine Floskel, wie eine einstudierte Phrase. Doch Zverev, dieser 1,98-Meter-Riese aus Hamburg, ist ein Musterbeispiel fürs konstruktive Verarbeiten von Enttäuschungen - wieder stand er nun, in Montreal, an einem Finalsonntag Federer gegenüber, dem einschüchternden Giganten, aber jetzt war es Zverev, der souverän und machtvoll die Regie auf dem Centre Court führte. 6:3 und 6:4 siegte er gegen den Maestro. Nie hatte man das Gefühl, Zverev könne das Diktat über die Partie aus der schwungvollen Hand geben. Später sagte er: "Ich habe gerade das Gefühl, dass ich das beste Tennis meines Lebens spiele. Ein Tennis, das zu meinem Weltranglistenplatz passt."

Hellsichtiger Schritt

Zverev wirkt oft mürrisch, verdrießlich und bockig, wenn er sich in schweren Tennismomenten zu erklären hat. Das war besonders nach den Grand-Slam-Niederlagen in diesem Sommer zu beobachten, in Paris und Wimbledon. Öffentlich sagte Zverev im All England Club sogar, er sei es leid, aus Niederlagen zu lernen. Doch anschließend stürzte er sich mit umso größerem Feuereifer in die Arbeit für die US-amerikanische Hartplatzsaison, er vollzog auch einen ziemlich hellsichtigen Schritt, als er den früheren Weltranglisten-Ersten Juan Carlos Ferrero in sein Betreuerteam mit aufnahm. Ferrero ist keiner der prominentesten Namen in der Riege der Supercoaches, aber er ist einer, der sich in aktiven Zeiten gegen die absoluten Topnamen zu erwehren wusste und kluge Strategien gegen sie entwarf. "Zverev hat ein sehr sorgfältig ausgesuchtes Team von Assistenten beisammen", sagt der frühere amerikanische Davis Cup-Coach Patrick McEnroe. "Es ist auch ein Teamerfolg, der hinter seinem Aufschwung steht."

Doch das Wichtigste ist eben: Zverev hat enorme Nehmer- und Lernerqualitäten. Er kann selbst die härtesten Knockouts wegstecken, und er macht selten die gleichen Fehler zwei Mal. Auch seine bisher größte Leistung darf nicht vergessen werden: Denn der 20-jährige hat es in relativ jungen Jahren geschafft, seine Hitzköpfigkeit zu regulieren und auf ein gesundes Maß abzudämpfen. Ganz ohne Emotionen geht es nicht bei Zverev, aber diese Gefühlsausbrüche wirken längst nicht mehr so zerstörerisch und gefährlich wie noch vor ein, zwei Jahren. "Alexander hat sich viel besser im Griff. Und damit auch seine Gegner", sagt Federer, der sich bei dem Deutschen über nichts mehr wundert. "Er ist zuletzt zwei Level nach oben marschiert, bis hin zu diesen großen Titeln."

Stahlhart, auch mental

Seit Boris Beckers Zeiten hat kein junger Deutscher die Szene so verblüfft und fasziniert wie Zverev - vor allem, weil er sich dem langjährigen Trend zu immer mehr reiferen und erfahreneren Champions entgegenstemmt. Im Hier und Jetzt ist der soeben aus dem Teenageralter entwachsene Hamburger der einzige, der es mit den Großen und Starken aufnehmen kann, er ist zu einem wirklich unübersehbaren Machtfaktor aufgestiegen. Zverev wirkt immer noch ein wenig zerbrechlich, dieser lange Lulatsch mit keinem Gramm zu viel am Körper, aber der Anschein trügt: Der Youngster ist stahlhart geworden, körperlich sowieso, mental allermeistens auch. Zwei Turniersiege in Serie in Nordamerika, zehn Matcherfolge, ließ er aussehen, als sei es die neue Normalität in seinem Leben. Wie sehr er mittlerweile sehr oft mit der Größe der Herausforderungen wachsen kann, illustrierte das Endspiel gegen Federer: Dort spielte er aggressiver, fordernder, riskanter als in jedem anderen Match in diesem Sommer. Es war keine Laune, sondern kühles Kalkül. Und es war - erfolgreich.

Noch reichlich Zeit

Im Touralltag hat Zverev schon zu den beiden Altmeistern Federer und Nadal aufgeschlossen, genau wie der Spanier und der Schweizer hat er zwei Masters-Titel errungen, noch dazu drei weitere Trophäen gesammelt (München, Montpellier und Washington). Er ist der drittbeste Spieler der Saison, schwarz auf weiß, aber auch nach allem, was sich an Eindrücken angesammelt hat bis Mitte August. Viele Kollegen, die sich seit Jahr und Tag in der Verfolgerrolle der Big Four abmühen, hat der 20-jährige schon überholt. Er wird zurecht als Bedrohung für das Establishment wahrgenommen, für die Big Five mit Federer, Nadal, Murray, Djokovic und Wawrinka. "Die Zukunft ist jetzt", twitterte Becker, der Champions von einst, über seinen tüchtigen Nachfolger. Stimmt genau.

Aber stempelt das alles Zverev nun zu einem Pokalfavoriten in New York, bei den US Open ab Ende August, bei denen er nun im Scheinwerferlicht auf prominenter Bühne stehen wird? Die Antwort: Nein. Grand-Slam-Tennis spielt sich in einem noch einmal anderen Kosmos ab. Noch größerer Druck, noch härtere Matches über stets drei Gewinnsätze. "Der nächste Durchbruch für Zverev kann nur noch bei einem Major kommen", befand zutreffend das US-Tennismagazin nach Zverevs zweitem Masters-Sieg in diesem Jahr, dem Montreal-Coup gegen Federer nach dem Triumph über Djokovic im Mai in Rom. Weltklasse ist Zverev allemal schon, einer der Besten mit gerade 20. Der Weg hinauf zu Grand Slam-Ruhm ist allerdings der anspruchsvollste überhaupt, die Besteigung eines Achttausenders. Dafür hat Zverev noch reichlich Zeit, man muss es noch nicht erwarten von ihm schon jetzt.

von Jörg Allmeroth

Montag
14.08.2017, 11:18 Uhr