Novak Djokovic und eines der besten Jahre aller Zeiten – oder doch das beste?
Wo reiht sich die Fabelsaison von Novak Djokovic eigentlich ein? tennisnet.com hat sich das genauer angesehen.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
23.11.2015, 21:50 Uhr

Von Manuel Wachta
Was war das nur für ein irres Jahr, das Novak Djokovic da hingelegt hat?Aus den „Big Four“ ist längst eine reine One-Man-Show geworden– der Serbe dominiert das Herrentennis derzeit geradezu nach Belieben. Der 28-Jährige verzeichnete 2015 zweifellos eine der besten Saisons, die man in der Open Era des Tennissports je gesehen hat, wenn nicht das beste Jahr, und doch liegt der „Djoker“, wenn man nach der Prozentzahl der Matcherfolge geht, nicht an der Spitze der Liste. Sogar vier Spielzeiten gibt es in der Geschichte des „weißen Sports“, die Djokovics Fabelsaison diesbezüglich toppen. Hier zunächst die Reihung nach der Erfolgsquote.
1984:John McEnroe(82 Siege, 3 Niederlagen, Erfolgsquote 96,47 %)
Vor über 31 Jahren startete „BigMac“ in eine schier unglaubliche Saison: Mit seinem Sieg bei dem damals noch im Januar stattfindenden Masters in New York, gesamt 42 Matcherfolgen in Serie bis zu einer ersten Niederlage im French-Open-Finale, nach 2:0-Satzführung gegenIvan Lendl. Das brachte den Lauf des temperamentvollen US-Amerikaners in jenem Jahr aber auch nicht mehr zum Stoppen, nur in der ersten Cincinnati-Runde und ausgerechnet im Davis-Cup-Finale, das gegen Schweden prompt 1:4 endete, schritt der heute 56-Jährige noch als Verlierer vom Platz. McEnroe gewann die Grand Slams in Wimbledon und den US Open, das erwähnte Masters sowie noch zehn weitere Turniere: Philadelphia, Richmond, Madrid, Brüssel, Dallas, Forest Hills, Queen’s, Toronto, San Francisco, Stockholm.
1974:Jimmy Connors(93 Siege, 4 Niederlagen, Erfolgsquote 95,88 %)
Kein Spieler feierte mehr Siege als „Jimbo“ (laut ATP-Statistik 1254). Vor mehr als 41 Jahren verbuchte der US-Amerikaner seine erfolgreichste Spielzeit, gewann bei den Australian Open, in Wimbledon und bei den US Open – mit dem Kalender-Grand-Slam wurde es nur nichts, da Connors an den French Open wie so oft nicht teilnahm. Die imposante Erfolgsliste abseits der „Majors“ beinhaltete außerdem: Roanoke, Little Rock, Birmingham, Salisbury, Hampton, Salt Lake City, Tempe, Manchester, Indianapolis, Los Angeles, London, Johannesburg. Unter dem Strich standen nur vier bescheidene Misserfolge: vom Endspiel in Omaha, den Viertelfinals in Nottingham und San Francisco sowie dem Achtelfinale in Toronto – dazu ein Nicht-Antritt im Finale in South Orange.
2005:Roger Federer(81 Siege, 4 Niederlagen, Erfolgsquote 95,29 %)
Zehn Jahre ist eine der dominantesten Spielzeiten der Tennisgeschichte jetzt her – obwohl der „Maestro“ bei den Australian (gegenMarat Safin) und den French Open (gegenRafael Nadal) „schon“ im Halbfinale scheiterte. In Wimbledon und New York war der Eidgenosse hingegen nicht zu stoppen, und auch sonst in der Saison gerade zwei Mal: im Monte-Carlo-Viertelfinale vonRichard Gasquetund im denkwürdigen Masters-Cup-Finale vonDavid Nalbandian. Nicht unerwähnt darf bleiben: Bis auf die Pariser Niederlage gegen Nadal fielen alle drei hauchdünn aus. Zudem zog sich Federer im Herbst im Training in der Heimat eine Knöchelverletzung zu. Bloß mit fremder Hilfe konnte der heute 34-Jährige den Court damals verlassen, bekam einen Gips und Krücken verpasst, versäumte die Masters-Turniere in Madrid und Paris-Bercy sowie sein Heimturnier in Basel. Beim Masters Cup kehrte er zurück – mit bekanntem Ausgang.
2006: Roger Federer (92 Siege, 5 Niederlagen, Erfolgsquote 94,85 %)
Das so bitter verlorene Masters-Cup-Endspiel und die Verletzungssorgen des Vorjahrs steckte Federer mehr als eindrucksvoll weg und erstrahlte im Jahr darauf in vergleichbarer Dominanz. Die Grand-Slam-Pokale bei den Australian Open, in Wimbledon und bei den US Open sollten es am Ende werden, mehr nur nicht wegen ein Mannes, der ihm wiederholt einen Strich durch die Rechnung machte: sein Langzeit-Rivale Nadal. Dem Spanier unterlag er in Dubai, Monte Carlo, Rom und bei den French Open jeweils erst im Finale, womit auch der Kalender-Grand-Slam ein unerfüllter Traum blieb. Zudem setzte es eine Zweitrunden-Niederlage in Cincinnati gegen den zu der Zeit 19-jährigenAndy Murray, doch sonst gewann Federer, was es alles nur zu gewinnen gab, mit insgesamt zwölf Titeln sogar einen mehr als im Jahr davor.
2015: Novak Djokovic (82 Siege, 6 Niederlagen, Erfolgsquote 93,18 %)
Wäre nicht ein wahrer „Atomlauf“ vonStan Wawrinkagewesen – ja, dann hätte der „Djoker“ wohl den Kalender-Grand-Slam vollbracht.Als erster Spieler in der Open Era triumphierte er zum fünften Mal in Melbourne,schaffte die Titelverteidigung auf dem „Heiligen Rasen“ von Wimbledon,war auch im „Big Apple“ nicht zu schlagen.Einzig die French Open fehlten also in der Sammlung.Djokovic begann das Jahr mit einerüberraschenden Viertelfinal-Niederlage in Dohagegen AufschlagmonsterIvo Karlovic. Das war der Startschuss zu schier unfassbaren 15 Finals in Folge –bis zum Triumph bei den ATP World Tour Finals in London am Sonntag. Bei jedem Turnier schnitt der zehnfache Grand-Slam-Champion gleich gut oder besser als im Vorjahr ab. Bei drei von sechs Niederlagen wurde ihm Federer zum Verhängnis.
Wo reiht sich Djokovics Jahr ein?
Geht man nach der Erfolgsquote, stünde Djokovic an fünfter Position, und freilich, Vergleiche zwischen verschiedenen Epochen des Tennis können zwangsläufig nur subjektiv und nie ganz exakt sein. Etliche Statistiken können Federer als den besten Spieler aller Zeiten belegen, und etliche auch diese Saison von Djokovic als die beste aller Zeiten. So verbesserte der Serbe den Rekord vonGuillermo Vilasvon 13 Finals am Stück aus dem Jahre 1977 (Djokovic 15), auch wenn die 16 Titel (Djokovic 11), davon 14 auf Sand (beides Bestmarken), des Argentiniers in einer Spielzeit unberührt blieben, ebenso dessen 145 Matchsiege (!) im selben Jahr. Ebenfalls Rekorde sind Djokovics sechs ATP-Masters-1000-Triumphe in einer Saison, und das obwohl er Madrid sogar ausgelassen hatte. Auch gewann kein Mann vor ihm vier Mal hintereinander das Jahresend-Turnier. Nie zuvor verzeichnete ein Spieler mehr als 30 Siege in einer Spielzeit gegen Top-Ten-Spieler – Djokovic beendete 2015 diesbezüglich mit einer 31:5-Bilanz, verlor insgesamt in diesem Jahr lediglich 37 Sätze. Nicht vergessen sein darf: Seine Erfolge fuhr und fährt er in der wohl stärksten Ära in der Geschichte des Herrentennis ein. Bei einer gewaltigen Dichte und einem Grad der Professionalisierung, wie es dieser Sport nie zuvor erlebt hat.
Möchte man eine Reihung vornehmen, bleibt die Frage, welchen Errungenschaften man mehr Gewicht als anderen gibt. Unter dem Strich lässt sich allerdings sagen: Das Jahr von Djokovic hat absolut seine Berechtigung, als das vielleicht beste aller Zeiten bezeichnet zu werden.