tennisnet.com Kolumne

Novak Djokovic und warum der Herbst 2016 so wichtig werden kann

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 09.10.2016, 08:12 Uhr

LONDON, ENGLAND - JUNE 29: Novak Djokovic of Serbia sserves during the Men's Singles second round match against Adrian Mannarino of France on day three of the Wimbledon Lawn Tennis Championships at the All England Lawn Tennis and Croquet Club on Ju...

Kann man es Comeback nennen? Sagen wir einfach,Novak Djokovickehrt in den nächsten Tagen in Shanghai ins Turnierleben zurück, zum ersten Auftrittseit dem verlorenen Grand-Slam-Finale gegen Stan Wawrinka in New York.

Es ist irgendwie ein kurioses Jahr für den „Djoker“. Nach seinem Erfolg bei den French Open, seinem 12. Grand-Slam-Titel, schien alles nur Formsache. Der Grand Slam mit den Major-Siegen 13 und 14. Der Sieg bei den Olympischen Spielen. Der „Golden Slam“ also. Auch im Gesamtbild stand das „Wann“, nicht das „Ob“ zur Debatte: „Wann wird Novak Djokovic die 17 Rekord-Major-Titel vonRoger Federerknacken?” war zumindest gefühlt die meistgestellte Frage in der Tennisszene.

Die einfache Rechnung: Federer und Nadal werden älter, Andy Murray bleibt als leicht schwächeres Djokovic-Spielgelbild kein Finalgegner, die Mittelgeneration um Kei Nishikori, Milos Raonic und Grigor Dimitrov sind vielleicht nun doch zu schwach, um ganz vorne mitzuspielen. UndDominic Thiem,Alexander Zverevund Nick Kyrgios noch ein, zwei Jahre zu jung zum Dauersiegen.

Moooooment!

Es war kein neues Szenario: Als Roger Federer in den Spielzeiten 2004 bis 2007 verrückte elf Major-Titel für sich entschieden hatte, schien es keine Frage, dass er die 20 plus erreichen würde. Dann kamRafael Nadalund bewies, dass er auch auf anderen Belägen als auf Sand siegen konnte. Als er mit drei Majors im Jahr 2013 und dem French-Open-Sieg 2014 seinen 14. Titel auf höchster Ebene holte, war für alle klar: Federers Rekord wird demnächst gebrochen werden – von Nadal. Nun also Djokovic, der, für viele überraschend, nach seinem French-Open-Sieg zum Ende dieser Saison erst mal mit 12 Titeln haushalten muss.

Aber vielleicht ist genau dieses Szenario ein Zeichen für alle, die stets voreilig von „geschenkten“ Draws und mangelnder Konkurrenz reden und Errungenschaften wie die von Djokovic nicht vollumfänglich würdigen. Ein Major-Sieg verlangt sieben Siege, die nur erreicht, wer körperlich als auch mental am Limit spielt. Selbstverständliche Siege? Gibt es nicht. Was passiert, wenn auch nur die letzten ein oder zwei Prozent fehlen, erlebte man im Sommer: In Wimbledon war Djokovic mental nicht auf der Höhe und traf auf einen Sam Querrey im Zerstörermodus; bei den US Open streikte zum ersten Mal seit langer Zeit der Körper – zudem stand mit Stan Wawrinka einer auf der Gegenseite, der in wichtigen Spielen über sich hinaus wachsen kann und dem man im stolzen Alter von 31 durchaus noch einige Siege zutrauen darf.

Der Zahn der Zeit

Apropos Alter: Auch Djokovic wird im kommenden Jahr am 22. Mai die 30 Lebensjahre vollenden. Die mehrfachen Ü30-Major-Sieger sind rar gesät: Rod Laver und Ken Rosewall stehen mit jeweils vier Titeln vorne, gefolgt von Andre Agassi, Jimmy Connors und Stan Wawrinka mit jeweils zwei. Besonders bemerkenswert: Laver gewann nach seinem zweiten Grand Slam im Jahr 1969 keinen weiteren Major-Titel mehr!

Sollte Djokovic bei seinem Lieblingsturnier, den Australian Open, seinen 13. Major-Titel holen, bräuchte er mindestens fünf Stück als über 30-Jähriger (was Rekord wäre), um die 18 zu knacken. Kein unmögliches Unterfangen, aber – siehe oben – sicher kein Selbstläufer.

Djokovic und das Motivationsloch

Zumal Siege am Fließband ihre Schatten nach sich ziehen. „Ich habe dieses Gefühl nach den French Open verloren. In den letzten Monaten spürte ich, dass es mir schwer fällt, mich wieder neu zu motivieren“,gab der „Djoker“ vor wenigen Wochen zu. Auch Coach Boris Becker sprach nach dem Wimbledon-Aus gegen Sam Querrey von einer „vernachlässigten Vorbereitung“. Menschlich nachvollziehbar, nachdem sich Djokovic seinen langen Traum vom Sieg in Roland Garros endlich erfüllt hatte – von einer „Maschine“, als die er gerne tituliert wird, jedoch nicht erwartet.

Djokovic hat psychologisch die richtigen Schlüsse gezogen.„Jetzt denke ich nicht mehr über die Anzahl der Titel nach“, sagte er vor Kurzem. „Wenn sie kommen, super, ich nehme sie natürlich gerne. Aber es gibt schließlich noch andere Dinge neben dem Tennis in der Welt.“

Alles Zukunftsmusik bis Januar, bis zum Start der Australian Open? Jein. Der Herbst 2016, mit Shanghai zum Auftakt, könnte für Djokovic ein Wegweiser sein. Legt er mit seiner vermeintlich wiedergewonnenen Lockerheit einen erfolgreichen Saison-Endspurt hin, wird er auch 2017 angehen können wie die vergangenen Spielzeiten: als der Spieler der Tour, den es auf noch unabsehbare Zeit zu schlagen gilt. Schwächelt er hier, kann sich das kleine Fragezeichen um seine Unbesiegbarkeit in seinem Kopf festsetzen – und im Kopf der Konkurrenz.

von tennisnet.com

Sonntag
09.10.2016, 08:12 Uhr